Kapitel 60

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Tyler

Wenn das Leben einen Moment lang gut läuft, sollte man wachsamer sein. Ich hätte gleich Verdacht schöpfen sollen, als Savannah und ich die besten Zeiten zusammen verbracht haben. So viel Glück ist mir nicht gewünscht. Es ist nicht mein Schicksal, glücklich zu sein. Auf jede Freude folgte Trauer. Ich erlaubte mir nie, dem Leben eine Chance zu geben, da ich nicht enttäuscht werden wollte. Und dann ließ ich mich bei Savannah fallen. Sie brachte mich dazu, dem guten Leben eine Chance zu geben. An ihrer Seite verflogen die dunklen Gewitterwolken über meinem Kopf. Mit ihr fühlte ich mich von meinen Lasten befreit, ich wollte einfach nur Leben. Jeden Tag mit ihr verbringen und sie necken, bis sie nach mir schlägt, ich sie an mich ziehen kann und sie mit Küssen zum Schweigen bringen.

Doch all das funktioniert nur in meinen Träumen. Und davon hatte ich in den letzten fünf Tagen viele. Nur nachts gebe ich mich der Vorstellung hin, dass wir beide noch ein Paar sind. Doch am nächsten Morgen, wenn der Wecker klingelte, prasselte die kalte Realität auf mich ein und von meinen Träumen blieb nichts als Staub zurück.

Ich habe mein Versprechen gehalten und Stacey ernsthaft aus der Klinik geholt. Es war überraschend leicht, da ich bereits als ihr Vormund eingetragen war. Tja, ihre Eltern wollten schon seit Jahren nichts mehr mit ihr zu tun haben. Meine Mom ließ sie direkt bei ihr einziehen, damit sie sich gemeinsam das Leben schön koksen können. Es ist die reinste Hölle, wieder hier zu sein. In meiner verdreckten Vergangenheit, die ich beinahe verlassen konnte. Zumindest für eine Zeit konnte ich dem Wahnsinn entkommen, aber alles Schöne findet irgendwann ein Ende.

Außer Savannah. Ihre Schönheit ist unsterblich.

Verdammt, ich muss immer an sie denken und ich meine wirklich immer. Gestern war ich im Geschäft, weil ich Mom ihren Alkohol kaufen musste und da sah ich rote Gummibärchen. Ich musste mich direkt daran erinnern, wie Savannah im Autokino in meinem Wagen saß und sie sich reinschaufelte, während sie vor sich hin kicherte. Ihre Präsenz ist überall spürbar, sie verfolgt mich wie mein eigener Schatten.

Ich liebe sie wirklich sehr, dass wurde mir klar. Ich war oft genug kurz davor, auf mein Bike zu steigen und darauf zu pfeifen, was Stacey mir androht. Ich setze Lionels Leben aufs Spiel, nur um bei einem Mädchen zu sein. Nicht bei irgendeinem Mädchen. Sondern bei dem Mädchen, bei der ich bis zum Rest meines armseligen Lebens sein will. Ich möchte zusammen mit Savannah alt werden, das wurde mir durch die Entfernung klar. Aber ich kann es nicht, weil mein eigenes Leben es nicht zulässt, mit so einem wunderbaren Menschen zu leben.

Stattdessen habe ich meiner Mom gerade ins Bett geholfen, nachdem sie auf dem Boden zusammengeklappt ist, da sie zu viel getrunken hat. Das ist mein Leben, ich sollte es endlich akzeptieren. Beim nächsten Mal bin ich schlauer und breche nicht die Gefühle eines anderen Menschen.

Nachdem ich Mom ins Bett gebracht habe, verlasse ich das Hochhaus und begebe mich zu meinem Bike. Ich möchte mich verpissen, bevor Stacey nach ihrem Besuch bei einer Freundin zurückkommt. Als ich mein Handy in die Hand nehme, bemerke ich die vielen verpassten Anrufe von Stacey. Sie schreibt, dass ich sofort zur meiner alten Schule kommen soll. What the Fuck? Was macht Stacey bitte in meiner alten Schule bei... Savannah!

Wie ein Irrer schwinge ich mich auf mein Bike und düse davon. Ich werde von dem ganzen Adrenalin geleitet, bis ich nach elendig langen Minuten den Parkplatz meiner alten Highschool erreiche und mein Handy nehme. Stacey hat geschrieben, dass sie oben bei den Kunsträumen ist und ich ahne schlimmes. Sie wird Savannah doch nicht entführt haben, oder doch? Stacey ist zu allem bereit, wenn sie genug Stoff bekommen hat. Ihr kann man nicht trauen und ihr Hass gegenüber Savannah muss riesig sein. Wie hat sie sie ausfindig machen können? Verdammt, man kann gar nichts vor einem Psycho verstecken.

Ich renne ins Gebäude und merke, dass niemand mehr hier ist. Es ist schon nachmittags und die einzigen die noch da sind, sind die Sportler auf dem Feld. Hier im Schulgebäude ist bereits Schicht im Schacht. Ich komme vollgepumpt mit Adrenalin oben an und marschiere zu den Kunsträumen. Alle Türen sind verschlossen, bis auf die letzte. Der Türspalt steht einen Spalt weit offen, groß genug, um hinein zu lunsen. Bevor ich eintrete, halte ich inne, da ich eine bekannte Stimme höre.

Savannahs.

Und bei diesem Klang stellen sich meine Nackenhaare auf. Ich hatte nicht damit gerechnet, ihre Stimme noch einmal zu hören.

»Ich kann verstehen, wie du dich fühlen musst, Stacey. Ich kenne dich zwar kaum, aber ich weiß, wie nervig es sein kann, wenn andere Menschen so tun, als wüssten wie, wie es dir geht.« Sie redet ganz sanft und ruhig.

»Wenn mir noch jemand sagt, was ich zu tun habe, flippe ich aus!« Staceys aufgebrachter Ton hallt durch die Tür.

»Mir ging es auch so. Zwar kämpfe ich mit anderen Problemen, aber das Resultat ist das gleiche. Meine Mom hat mich deshalb zu einer Therapeutin geschickt.«

»Möchte sie nicht mit dir über deine Probleme reden?«

»Doch, aber sie hat gemerkt, dass es nicht funktioniert. Und ich war erst skeptisch, aber zur Therapie zu gehen, hat mir mehr geholfen, als ich dachte. Klar, ich bin noch lange nicht geheilt, aber meine Denkweise hat sich verändert.« Savannah macht eine Pause. »Na ja, das war als Tyler noch hier war. Inzwischen fühle ich mich wie verloren.«

Etwas in mir bricht und wenn ich der Annahme wäre, ich besäße ein Herz, dann wäre es genau das.

»Du hast ihn so gern?« Stacey wird ruhiger, was mich überrascht. Ich beuge mich weiter nach vorne und schaue durch den Spalt. Savannah sitzt auf einen der Tischen und hat die Hände im Schoss gefaltet, während Stacey wie ein Flummi durch den Raum purzelt.

»Ja und durch dich weiß ich endlich, warum er einfach abgehauen ist. Er wollte dir helfen.«

»Mir helfen«, wiederholt Stacey lachend. »Ich habe ihm keine Wahl gelassen. Er sollte mich aus der Klinik holen und da ich sein kleines Geheimnis mit seinem Bruder kenne, hatte er keine andere Wahl.«

»Du willst ihn echt erpressen? Obwohl sein kleiner Bruder nichts dafür kann und Tyler nur versucht ihm Nahe zu sein? Warum solltest du das tun wollen?« Mich überrascht, wie ruhig und gelassen Savannah mit dieser tickenden Zeitbombe umgehen kann. Sie hat die Gabe mit Menschen zu sprechen, die neben sich stehen.

»Jetzt wo du es so sagst...« Stacey überlegt. »Eigentlich hätte ich nichts davon, wenn seine Eltern davon wüssten.«

»Ich glaube, du bist innerlich verletzt. Aber das ist nicht schlimm, daran kannst du arbeiten. Tyler hat dich aus der Klinik geholt und wenn du ihn magst, sollest du ihm das Glück mit seinem Bruder nicht zerstören. Wir alle verdienen doch etwas Glück, oder?« Savannah lächelt ihr aufmunternd zu.

»Und ich bin hergekommen, um dich zu quälen.« Die beiden lachen. »Du hast recht. Ich schätze, ich bin wirklich zu weit gegangen.«

Hat Savannah es gerade wirklich geschafft, mir meine Probleme zu lösen? Sie ist der Wahnsinn.

Das ist der Moment, in dem ich eintrete und es zwischen den beiden still wird. Als Savannah mich erkennt, hüpft sie vom Tisch und sieht mich erschrocken an. Von ihrem Lachen fehlt jede Spur.

»Savannah«, rutscht es mir viel zu erleichtert aus.

»Da bist du ja.« Stacey kommt auf mich zu. »Ich werde deinen Eltern nichts erzählen und danke, dass du mich da rausgeholt hast. Ich habe dir das Leben lang genug erschwert.«

Savannah geht an mir vorbei in Richtung Tür.

»Warte!« Ich greife nach ihrem Handgelenk, doch sie schüttelt es ab.

»Ich möchte keinen deiner Ausreden hören, Tyler.« Ihre eisigen Augen bohren sich in meine. »Du hast dich dazu entschieden zu gehen.«

Sie stürmt aus dem Raum und mir bleibt nur der Gedanke, wie ich sie zurückgewinnen kann. 

A sweet taste of loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt