Kapitel 23

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Tyler

Der Kunstunterricht an der Schule ist für Amateure. Die Lehrer können einem genau so gut ein weißes Blatt auf den Tisch legen und verlangen eine Blume zu malen. Das wäre dasselbe Niveau wie die Aufgaben, die wir sonst bekommen.

Als es zum Schulbeginn klingelt stehe ich noch auf dem Parkplatz und ziehe mir gerade den Helm ab. Pünktlichkeit war noch nie eins meiner Stärken, das ist halt so. Ich kann mich nur an wenige Male erinnern, als ich pünktlich beim Gong in der Klasse saß. Mit einem entspannten Tempo laufe ich das mittlerweile leere Schulgelände entlang, betrete das Gebäude und steuere die breiten Treppen an. Der Kunstraum befindet sich ganz oben, ich lasse mir beim Treppensteigen viel Zeit. Ich werde eh nichts verpassen.

Ganz hinten im Flur komme ich an der geschlossenen Tür an und trete ein, ganz ohne zu Klopfen. Tja, ich bin eben kein Vorzeigeobjekt. Es ist ruhig in dem Kunstraum, jeder sitzt vor einer Holzleinwand auf einem Hocker ohne Lehnen. Das kann doch nur ungemütlich sein.

»Tyler.« Mrs Gonzales sieht von ihrem Pult hoch. Sie ist eine ältere Frau, die kurz vor der Rente steht und macht diesen Kunstunterricht locker schon seit dreißig Jahren. »Du bist zu spät. Was hat das für einen Grund?« Ihre faltige Haut und die kurzen Haaren erinnern mich an meine Grandma.

»Ich habe keinen Grund.« Ich zucke gelassen mit den Schultern. Meine Mitschüler nehmen mich gar nicht wahr, sie tuscheln und beginnen schon die Leinwände zu bemalen. Sie wissen, dass ich keine Gründe für mein Zuspätkommen erfinde.

»Tja, wenn das noch einmal vorkommt, schicke ich dich für die Doppelstunde runter ins Sekretariat. Und jetzt schnapp dir aus der Kammer eine Leinwand mit Farben und Hocker und platziere dich irgendwo im Raum. An der Tafel steht der Plan für heute.« Ich salutiere wie ein Soldat, pfeffere meinen Rucksack in eine Ecke des Raumes und steure auf die Kammer zu. Es stinkt nach abgestandener Farbe und an den dunklen Wänden hängen Gemälde, die auch von Kindergartenkinder gemalt sein könnten. Es ist klar, dass man sich hier im Kunstunterricht nicht sonderlich anstrengen muss um gute Noten zu bekommen. Es reicht schon einen Pinsel halten zu können um zu bestehen.

Mit wenig Anstrengung trage ich die Leinwand aus der Kammer und schaue mich im Raum um. Unwillkürlich suchen meine Augen nach einem bestimmten Mädchen und ich finde sie in der letzten Reihe. Und wie gewünscht ist neben ihr viel Platz frei, sodass ich mich ohne Probleme neben sie platzieren kann. Mit einem teuflischen Gefühl in der Brust gehe ich auf Savannah zu und stelle meine Leinwand direkt neben sie. Sie schaut mich nicht an, aber ich höre sie laut einatmen. Sie hat mich bemerkt und ist scheinbar nicht begeistert von meiner Präsenz. Schnell hole ich mir noch Farben und Hocker, dann nehme ich platz und werfe einen Blick auf sie. Ihr Seitenprofil ist wirklich schön, das ist mir nie sonderlich aufgefallen. Sie trägt ein gelbes Kleidchen und hat ein passendes Band in den Haaren, was ihre Strähnchen zusammenhält. Sie könnte jetzt über eine Blumenwiese hüpfen und Pusteblumen sammeln. Sie wirkt kindlich, aber auch sehr schön.

Grübelnd schaue ich mich im Klassenraum um. Der Raum ist wirklich riesig und doppelt so groß wie unser normaler Klassenraum. Letztes Mal ist der Kunstunterricht entfallen, weil Mrs Gonzales einen Arzttermin hatte. Es wundert mich, dass Savannah ganz hinten sitzt und niemanden um sich hat. Es gibt eine große Lücke bis zu den anderen, es scheint, als hätte sie sich verschanzt. Generell wirkt sie sehr in sich gekehrt, sie blickt nicht einmal nach oben. Als ich sie gestern vor dem Training gesehen habe wirkte noch alles ziemlich normal.

»Male eine offene Tür und lasse dann deiner Fantasie freien Lauf. Die Tür steht offen, man kann hineinsehen. Alles, was dahinter ist, ist dir überlassen. Male etwas, was dich fasziniert oder was in deinen Kopf schießt. Bei dieser Aufgabe sollst du deiner Fantasie freien Lauf lassen und den Pinsel einmal malen lassen«, lese ich leise von der Tafel vorne vor. Ich muss mich anstrengen die Worte überhaupt lesen zu können, weil der Raum so groß ist.

A sweet taste of loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt