Kapitel 34

2K 73 2
                                    

Savannah

Die ganze Nacht über wälze ich mich hin und her. Marzipan ist gegen drei Uhr nachts aus meinem Bett gesprungen, weil es ihn genervt hat. Ich habe ihn vergrault, weil ich an nichts anderes denken kann als an Tyler und an alles, was zwischen uns beiden passiert war. Es ist so frustrierend, dass ich meine schweifenden Gedanken nicht einfach abstellen kann um zu schlafen. Ich spüre schon den schmerz in meinem Rücken, weil ich mich alle paar Minuten auf die andere Seite drehe. Nichts hilft. Auch nicht mein Kissen, in das ich mein Gesicht presse und hineinschreie. Zum Glück wurde Mom davon nicht wach. Sie hat nicht mitbekommen, wie ich ins Haus geschlichen bin. Normalerweise bleibt sie wach, bis ich Heim komme, aber ich fand sie schlafend auf der Couch vor. Bevor ich mich in meinem Zimmer verkrochen habe, deckte ich sie zu und schaltete den Fernseher ab.

Es brachte nichts, als ich mir meinen Schlafanzug übergestreift habe. Ich rieche am kompletten Körper nach Tyler, das macht mich wahnsinnig. Es kommt mir so vor, als würde er neben mir im dunklen Bett liegen. Ich habe schon daran gedacht, das Licht einzuschalten. Wer weiß, dem kann man echt alles zutrauen. Ich halte das nicht aus, sein Geruch klebt an mir. Meine Haare riechen nach ihm, erinnern mich daran, wie er eine Strähne hinter mein Ohr geklemmt hat und mich auf die Stirn küsste. Gott, wenn ich nur daran denke, strömen sämtliche Schmetterlinge durch meinen Bauch. Mein Magen ist flau, ich fühle mich so aufgeblüht und mein Puls scheint sich nach mehreren Stunden noch immer nicht erholt zu haben. Es bringt nichts es zu leugnen, aber die Zeit mit Tyler war wunderschön. Zwar ein auf und ab der Gefühle, doch so sind wir beide. Wenn wir uns eine Zeitlang gut verstanden haben, folgt ein Streit. Meine Lippen prickeln noch, wenn ich sie mit dem Zeigefinger berühre und an den Kuss denke.

Und jetzt soll das alles vorbei sein? Ab morgen früh sollen wir beide so tun, als hätte es den gestrigen Abend nie gegeben? Ich schlage mich frustriert auf die andere Seite und starre an meine dunkle Wand. Es ist die einzig sinnvolle Entscheidung, das weiß ich. Aber aus irgendeinen Grund kommt mir die Zeit, in der ich durch die Schule gegangen bin und ihn gehasst habe, so lange her vor. Und dabei handelt es sich nur um wenige Tage. Es ist angsteinflößend wie schnell man sich an jemanden binden kann. Ich bin nicht emotional abhängig von Tyler. Das muss ich mir einfach immer wieder klarmachen. Wenn wir uns nur in der Schule zu Gesicht bekommen, wird es einfach sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Aber mit Tyler ist nichts einfach nur einfach. Und das bereitet mir Bauchschmerzen.

Ich bin ein Feigling. Das wird mir bewusst, als ich vormittags am Tisch sitze und erneut einen Anruf von Paige ignoriere. Ich tue einfach so, als würde ich das Klingeln nicht hören. Und dabei liegt mein Handy vor meiner Nase. Seufzend drehe ich das Display um und schaufle mir eine weitere Gabel voller Nudeln in den Mund. Das ist schon meine dritte Portion und es ist gerade mal kurz nach zwölf. Mein Magen fühlt sich so leer und flau an, genau wie in der Nacht. Es ist eine Ewigkeit her, als ich zuletzt so einen Heißhunger verspürt habe, es ist sehr ungewohnt für mich. Normalerweise sehen meine Augen gleich rot, wenn ich so viele Kohlenhydrate auf einem Fleck sehe. Gestern in Tylers Jeep konnte ich mir so viel Popcorn in den Mund schmeißen, wie ich wollte. Es hat mich nicht gestört, kein Gedanke hat mich davon abgehalten. Ich habe sogar meine Cola ausgetrunken. Ich habe eine neue Seite an mir entdeckt, eine Seite ohne Angst vor dem Essen. Mein Körper fühlt sich anders an. Ich fühle mich anders. Das kann nur zwei Sachen bedeuten. Entweder, es stimmt etwas nicht mit mir. Oder ich bin endlich zu dem geworden, was ich bin.

»Ich habe tatsächlich etwas vom warmen Wasser abbekommen.« Mom betritt den Essbereich und ist damit beschäftigt sich die Spitzen mit einem Handtuch zu trocknen. »Und ich dachte schon, ich müsste eine Eisdusche erleiden, so lange wie du drinnen warst.« Da hat sie nicht unrecht. Ich war insgesamt vierzig Minuten im Badezimmer. Zwanzig Minuten davon stand ich unter dem heißen Wasserstrahl und spülte mir sämtlichen Duft und alle Berührungen von Tyler ab. Mehrmals und immer wieder. Ich habe fast mein Duschgel aufgebraucht. Inzwischen rieche ich wieder wie ich, meine Haare duften nach Granatapfel und trotzdem bilde ich mir manchmal für eine Sekunde ein, seinen Duft und seine Anwesenheit noch zu spüren.

»Es ist Sonntag. Ich habe mir eine Kur in die Haare gemacht und versucht zu entspannen.« Ich schaufle mir noch eine Gabel in den Mund. Mom setzt sich auf einen der Sessel und rubbelt sich weiter die Haare trocken.

»Wie war es gestern im Autokino? Ich habe gar nicht mitbekommen, wie du ins Haus gekommen bist.«

»Das habe ich gemerkt. Deine Serie kann nicht besonders spannend gewesen sein, wenn du dabei eingeschlafen bist.« Sie kichert vor sich hin und wirft ihre feuchten Haare nach hinten.

»Ehrlich gesagt kann ich dir gar nicht mehr sagen, was ich überhaupt geschaut habe. Wie war der Film denn bei euch?«

Ich zucke bloß mit den Schultern und ziehe meine Beine auf den Stuhl. »Eigentlich haben wir nicht viel vom Film mitbekommen.« Mom wirft mir einen fragenden Blick zu, da realisiere ich erst, was ich gesagt habe. »Ich meine, wir waren so mit quatschen und Popcorn essen beschäftigt, dass wir nicht so auf die Leinwand geachtet haben. Du weißt doch, wie die Mädels so sind.« Ich lächle kurz und widme mich wieder meinen Nudeln.

»Waren nur die Mädels und du da?«, hakt sie nach. »Ich dachte, vielleicht wären noch ein paar Jungs aus deiner Klasse mitgegangen.« Meine Wangen laufen rot an, ich meide es, in ihre Richtung zu schauen. Ich werde ihr nichts von Tyler erzählen. Da gibt es gar nichts zu erzählen, da alles zwischen uns von heute an unbedeutsam ist. Dabei war er mein erster Kuss. Ein kräftiger Stich trifft mich mitten ins Herz.

»Zu einem romantischen Film? Ich glaube, dafür müsste man den Jungs mehr bieten als nur eine Einladung.« Ich schiebe mir eine Strähne hinter das Ohr. »Brandon war zusammen mit Regina da, mehr Jungs haben sich nicht blicken lassen.« Mom nickt langsam und erhebt sich.

»Es ist bestimmt schön wieder Zeit mit deinen alten Freunden zu verbringen. Sie haben dir sicherlich gefehlt und du ihnen auch.« Sie lächelt, legt sich ihr Handtuch um die Schulter und schlendert in die Küche, um sich einen Kaffee zu machen. Ich tue nichts weiter als zu nicken, während ich die Zähne zusammendrücke. Klar, habe ich sie vermisst. Und schon jetzt ignoriere ich sie, damit ich nicht ins Kreuzverhör gerate. Verdammt, früher oder später muss ich Paige und den anderen die Wahrheit erzählen. Sie haben es nicht verdient, dass ich schweige.

»Hast du etwa den ganzen Kochtopf geleert? Da sind ja kaum mehr Nudeln drinnen, die von gestern übrig geblieben sind.« Die Verblüffung ist ihr deutlich anzumerken. Wie im Nu steht sie über mir und sieht zu meinem Teller hinab.

»Ich hatte plötzlich starken Hunger«, verteidige ich mich bissig und esse noch mehr. Mom scheint ihren Plan sich einen Kaffee zu machen erstmal beiseitezuschieben. Sie nimmt neben mir platz und mustert mich eindringlich.

»Das ist toll, Schatz. Nur so...« Sie holt tief Luft. »Ungewohnt für dich.« Meine Muskeln verkrampfen sich und mein Hunger vergeht. Genervt schiebe ich den Teller von mir weg und greife stattdessen nach meinem Wasser, um die Reste runterzuspülen.

»Was soll denn daran ungewohnt sein? Menschen brauchen Nahrung und da ich gestern Abend nur Popcorn gegessen habe, fehlt mir eine wichtige Mahlzeit. Muss ich mich jetzt wirklich rechtfertigen, Mom?« Ich funkle sie an, doch meine Mom bleibt ganz ruhig und sieht abwechselnd von mir zu dem Teller.

»Du sollst dich nicht rechtfertigen«, beginnt sie und scheint unsicher zu werden. »Ich finde es super, dass du wieder richtig isst. Aber ist etwas vorgefallen?« Ihre Brauen ziehen sich zusammen und sie tätschelt nach meinem Arm. »Ich meine, ist etwas passiert? Gab es einen Auslöser dafür?« Meine Miene verhärtet sich, ich starre auf die dunkle Tischplatte und spüre nur kälte an der Stelle, an der sie mich berührt.

»Es gab keinen Auslöser. Vielleicht bin ich gar nicht so kaputt wie du immer denkst!«, zische ich sie wütend an. Meine Wangen kochen vor Wut, aber nicht nur wegen meiner Mom. Innerlich weiß ich doch, dass sie keine Schuld trägt und sie nur das Beste für mich möchte. Es ist einfach die Gesamtsituation. Alles! Mom und Dad, dass ich wieder hier bin, meine beste Freundin meide und andauernd an Tyler denken muss. Mir wird schlecht, die Nudeln in meinem Magen fühlen sich plötzlich so schwer wie bleich an. Bevor ich in Panik geraten kann, erhebt sich Mom und umarmt mich fest von hinten. Ich klammere meine Hände um ihre Arme, versuche mich auf meine Atmung zu konzentrieren und meiner Panik keinen Raumzugeben.

»Du bist nicht kaputt, du bist wunderbar! Wir alle lieben dich so wie du bist. Savannah, ich möchte nie wieder hören, dass du dich so bezeichnest. So habe ich nie über dich gedacht und so werde ich nie über dich denken. Du bist meine wundervolle Tochter.« Sie küsst mich auf den Scheitel, hält mich eine Ewigkeit fest, während ich gegen das Brennen in meinen Augen ankämpfe.  

A sweet taste of loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt