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Schweigend kniete ich auf dem rosafarbenen Teppich vor meinem Bett und starrte auf das Ziffernblatt meines Weckers;
07:36 Uhr. Es war schon hell draußen und ich konnte die Vögel vor meinem Fenster zwitschern hören.
07:37 Uhr. Ein Sonnenstrahl bahnte sich einen Weg durch meine weißen Vorhänge und blendete leicht meine Sicht auf die Zahlen der Uhr.
07:38 Uhr. Von unten war das Klirren von Geschirr zu hören, welches gerade weggeräumt wurde.
07:39 Uhr. Nur noch wenige Sekunden, bis der Wecker zu klingeln beginnen würde.
07:40 Uhr. Kaum gab der Wecker einen Ton von sich, legte ich meine Hand auf die 'Aus'-Taste und er verstummte.
Am Bettrand abgestützt erhob ich mich vom Boden. Als ich an mir herunter blickte, sah ich, dass meine Knie, die gerade so unter meinem weißen Nachthemd hervorlugten, von den Reibungen meines Teppichs, rötlich geworden waren.

Ich ging hinüber zum großen Spiegel, der nebem dem Fußende meines Bettes an der Fensterbank stand.
Ein hellblaues, geblümtes Kleid mit weißer Spitze an Saum und Ärmeln verdeckte mir die Sicht auf mein Spiegelbild. Achtlos schmiss ich es zu Boden und sah in den Spiegel;
Ein kleines Mädchen im Teenager alter mit blasser, rosiger Haut blickte mir aus dem kalten Glas entgegen. Mein langes, hellblondes Haar, welches mir schon fast bis über den Hintern reichte, hing zerzaust und kraftlos über meine müden grauen Augen. Seit ich vier war, weigerte ich mich Stur dagegen, zum Friseur zu gehen und das Endresultat spiegelte mir entgegen.

Gähnend zog ich mir mein Nachthemd aus und ließ auch dieses zu Boden fallen. Nun stand ich nur noch in Unterhose vor dem Spiegel und konnte meinen Körper sehen. Unzufrieden strich ich mir über meine Brüste. So klein. Kein Wunder, dass ich von den Jungs in meiner Klasse 'Bügelbrett' genannt wurde. Aber von der Seite betrachtet konnte man doch sehr deutlich sehen, dass ich welche hatte.

07:47 Uhr. Um 8 müsste ich in der Schule sein.
Schnell wechselte ich meine Unterhose und schnappte mir einen BH aus meiner Unterwäsche-Schublade. Da ich mir auf die Schnelle kein süßes Outfit zusammenstellen konnte, zog ich mir einfach das geblümte Kleid über, welches ich eben zu Boden geworfen hatte und dazu eine weiße Strumpfhose mit Schleifenmustern. Meine Haare kämmte ich nur so semi sorgfältig. Es war der letzte Schultag vor den großen Sommerferien, ich musste für die paar Stunden Unterricht nicht aussehen wie das größte Supermodel.
Es war fünf Minuten vor 8. Die Tasche über die Schulter geworfen, sprintete ich den Kiesweg hinunter zur Schule.

×××

Die Schulglocke läutete zum Unterrichtsende. Die Gänge waren sofort gefüllt von jubelnden und schreinenden Schülern. Mühevoll drängte ich mich durch die Menge hindurch zu meinem Schließfach, um alle Bücher herauszuholen, da ich sie nicht mehr brauchen würde.
Ich knallte die Spindtür zu und erschrak heftig, denn hinter der Tür standen... Bowers und seine Gang.
Panik stieg in mir auf.
Diese Jungs waren in meiner Klasse und nicht gerade für ihre Freundlichkeit bekannt. Sie alle waren das pure Böse. Vorallem einer von ihnen machte mir Angst.
Patrick Hockstetter saß in vielen Kursen neben oder hinter mir und in seiner roten Stiftebox hatte er tote Fliegen, welche er mir schon des öfteren grinsend präsentiert hatte. Dieser Junge war krank und löste in mir ein starkes Gefühl des unwohlseins aus. Genauso aber auch die anderen drei Jungen.

Für eine Sekunde starrte ich die Jungs einfach nur an, dann wandte ich mich um und ging so schnell es mir möglich war, ohne dabei blöd auszusehen, auf den Hauptausgang zu nach draussen. Voller unbehagen realisierte ich, dass die Bowers-Gang mir folgte.
"Hey!", rief Bowers mir hinterher "Hey, Mini-McKober!"
Ich blieb nicht stehen. Vorallem jetzt nicht, wenn sie wieder damit anfingen, mir doofe Namen zu geben. Es machte mich so sauer, da wollte ich ihnen keinen Gefallen tun.

Hinter der Schule an der Ecke zur Landstraße blieb ich stehen. Hier konnte ich wenigstens kurz Luft holen.
Schwer atmend lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die Backsteinwand und schloss die Augen.
Ich wusste nicht, was die vier Jungen von mir wollten. Andauernd liefen sie mir nach, stalkten mich oder gaben mir gemeine Namen.
'Mini-McKober' war einer ihrer neusten Einfälle gewesen. Vor zwei Wochen hatte Victor angefangen mich so zu nennen und seit dem nannte mich die ganze Gruppe so und machte mich somit auf meine geringe Körpergröße runter.

Neben mir hörte ich Schritte. Langsam öffnete ich die Augen und erlitt erneut gefühlt einen Herzinfarkt. Wieder stand die Bowers-Gang vor mir. Sie alle grinsten breit und lachten ihr hässliches Lachen.
"Da bist du ja, Mini-McKober", grunzte Belch gehässig.
"Du bist so klein, wir hätten dich fast übersehen", lachte Victor auf.
Hättet ihr mal lieber wirklich, dachte ich verbittert.
"Deine Haare haben dich verraten", meinte Bowers plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Zögernd sah ich an mir hinab. Mein langes Haar wehte im Wind an der Wand entlang um die Ecke, wo man es sicher noch vom Schulhof aus sehen konnte, wenn man genau hinsah.

Gequält stöhnte ich auf. Es war aus. Die vier Jungs hatten mich umzingelt und eine Fluchtmöglichkeit bot sich nur, wenn ich zwischen Patrick und Victor hindurch rannte, was nahezu unmöglich war, da beide ihre Hände zur Seite ausgestreckt hatten.
"Seht euch nur die Panik in ihren großen Augen an", lachte Patrick und leckte sich erwartungsvoll über seine rauen Lippen.
"Wir tun dir doch nichts!", sagte Bowers in einem Tonfall, der das Gegenteil behaupten ließ. "Wir wollen nur, dass du dieses Jahrbuch signierst". Er grinste und hielt mir ein offenes Jahrbuch und einen Kugelschreiber hin. Zitternd nahm ich beides in die Hände. Auf der aufgeschlagenen Seite standen bloß drei Namen geschrieben; Henry Bowers, Belch Huggins, Victor Criss.
Patricks Name fehlte, was heißen musste, dass dies sein Jahrbuch war.

Skeptisch, doch noch immer zitternd blickte ich auf und sah Patrick ins Gesicht, was mir sehr schwer viel, da dieser Junge Panik in mir auslöste.
"Warum-", begann ich leise und unsicher "Warum soll ich dein Jahrbuch signieren, Hockstetter?"
Dieser Satz hatte mich eine menge Mut gekostet, welcher mich auch schon wieder verließ, aber dennoch sah ich den großen schlanken Jungen mit den langen braunen Haaren weiterhin an und wartete auf seine Antwort. Er grinste bloß.
"Mach einfach!", zischte Bowers und packte mich fest am Schopf. "Wenn du nicht den ganzen Sommer lang leiden willst, dann schmier jetzt verdammt nochmal deinen beschissenen Namen auf diese Seite!"
Winselnd vor Schmerz, da Bowers meine Haare nicht loslassen wollte, bemerkte ich wie Patrick einen hungrigen Gesichtsausdruck angenommen hatte. So schnell wie möglich wollte ich dieser Situation entfliehen, also nahm ich den Kugelschreiber zur Hand und klickte ihn. Meine Hand zitterte, während ich meinen Namen schrieb.
Allison McKober stand da nun in verkrackelter Schrift.
"Na geht doch", fauchte Bowers. Unsanft ließ er meine Haare los und drehte sich um, um zu gehen. Die anderen folgten ihm.

×××

Sobald ich meine Zimmertür hinter mir geschlossen hatte, rutschte ich mit dem Rücken an ihr entlang, bis ich auf dem Boden saß.
Zitternd umschlang ich meine angewinkelten Beine und ließ meinen Kopf auf meine Knie sinken. Ich hatte solche Angst. Ja, es war nichts passiert, aber was wäre wenn... genau! Was wäre wenn?
Tränen kullerten meine blassen Wangen hinunter, als ich meinen Kopf wieder hob und ich schluchzte leise. Angst. Einfach nur Angst.
Mein Kopf fühlte sich schwer an. Aufeinmal schwummerte es in meinem Hirn und meine Sicht wurde trüb. Mir wurde schwindelig. Meine Finger kribbelten. Dann war alles vorbei.
Aber nur für ein paar Sekunden, dann fing es erneut an. Ich griff nach der Luft vor mir. Es fühlte sich an wie flauschiger Stoff. Aber es war nur Luft.

Taumelnd stand ich auf. Mit schweren Schritten bewegte ich mich unsicher auf mein Bett zu. Wie ein nasser Sack ließ ich mich in die rosafarbenen Samtbezüge fallen. Mein Kopf wummerte, dann kribbelte er und dann wummerte er wieder. Immer abwechselnd.
Ich war zu erschöpft um dagegen anzukämpfen, also schloss ich meine Augen und spürte schon die gewaltige Welle der Müdigkeit heranschwemmen, welche mich in kürzester Zeit in das tiefe Meer des Schlafes drängte.

×××

Als ich wieder erwachte, war es dunkel draussen. Meine Deckenlampe war angeschaltet und ich hatte noch immer meine Schuhe und Alltagsklamotten an.
Ich gähne und rieb mir die Augen. Ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Schädel. Ein Blick auf das Ziffernblatt meines Weckers verriet mir, dass es 00:53 Uhr war. Also hatte ich den kompletten Nachmittag verschlafen.
Der Raum drehte sich kurz, als ich aufstand um mich richtig bettfertig zu machen.

Endlich lag ich in meinem gemütlichen Nachthemd unter der weichen rosa Bettdecke eingemummelt und war bereit, meinen Schlaf weiter nachzuholen.
Aber kaum schloss ich meine Augen, sah ich Patrick Hockstetters hungrigen Gesichtsausdruck von heute Mittag vor mir und die Angst kroch mir erneut die Kehle hinauf und schnürte mir förmlich die Atemwege ab.
Noch immer war mir schleierhaft, was es mit dieser Jahrbuch-Aktion auf sich hatte. Doch ich hoffte, ich würde es auch nie erfahren.

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I wanna be real || Patrick Hockstetter {ES}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt