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Es war Samstag und die Sonne schien durch das Fenster von Beverly's Zimmer. Ihr Vater war zurzeit nicht da und Beverly meinte, Frauenbesuch würde ihn nicht stören. Also saßen wir auf dem Boden, umgeben von Büchern und Zeitschriften. Beverly beobachtete mich eine Weile schweigend, bevor sie das Thema ansprach; "Du und Stan...", begann sie zögerlich "Es ist offensichtlich, dass da etwas zwischen euch ist".
Ich sah auf, meine Augen voller Unsicherheit. "Was meinst du genau?"
Beverly seufzte. "Ich merke doch, wie ihr euch anseht. Freunde sehen sich gegenseitig nicht so an, wie ihr es tut".
Nervös spielte ich mit einer Haarsträhne. "Es ist kompliziert, Bev".
Beverly lächelte leicht. "Liebesdinge sind immer kompliziert. Aber ich denke, ihr solltet euch beide die Chance geben, herauszufinden, was das ist".
Langsam nickte ich. "Vielleicht hast du recht. Es ist nur- wegen Patrick..."
"Wegen ihm wollte ich dich auch noch fragen". Sie zögerte, bevor sie weitersprach "Wieso willst du ihn so unbedingt wieder finden? Das ist doch irrsinnig".
"Ich habe ihn bereits wieder gefunden", entgegnete ich. Schockiert sah Beverly mich an. "Das hast du mir ja gar nicht erzählt- Allie, warum erzählst du mir sowas nicht?!"
Ich zog die Knie an und sagte leise: "Tut mir leid".
Tröstend legte Beverly mir ihre Hand auf den Arm. "Schon okay. Aber.. wie... Und wann?"
Nachdenklich strich ich mir die Haarsträhne hinter's Ohr. "Vorgestern war ich am Schrottplatz. Das war der einzige Ort, an dem ich noch nicht gesucht hatte. Und da war er, gesund, aber leicht ausgehungert. Jetzt ist er wieder bei mir Zuhasue und... Oh Bev, ich habe keine Ahnung, was ich fühlen soll". Bei den letzten Worten, ließ ich meinen Kopf vor verzweiflung auf meine Knie sinken.

"Willst du nicht melden, dass er wieder da ist?", fragte Beverly mich, und streichelte sanft mit dem Daumen meinen Arm.
"Doch, aber ich musste ihm versprechen, noch ein oder zwei Tage zu warten", antwortete ich leise "Ich weiß wirklich nicht, was ich fühlen soll".
"Ich finde, du solltest dich jetzt mehr auf deine Gefühle für Stan konzentrieren. Hockstetter hat es nicht verdient, dass du dir so über ihn den Kopf zerbrichst", versuchte Beverly mich aufzuheitern, doch ich hob ruckartig den Kopf und sah ihr direkt in die Augen. "Er hat mich geküsst, Bev! Patrick hat mich geküsst".
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Beverly mich an. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schien aber keine Worte zu finden, weshalb bloß ein abgewürgtes Knarzen ihre Kehle verließ.
"Er... er hat... er hat dich geküsst?", wiederholte sie tonlos "Hockstetter hat dich geküsst?"
Ich nickte. "WAS?!", kam es nun so laut von Beverly, dass ich zusammenzuckte.
Einen Moment lang saß sie einfach nur da, dann sprudelten ihr die Fragen förmlich aus dem Mund: "Wie? Und wann? Wie hat es sich angefühlt? Hast du es erwiedert? Hat es dir gefallen? Küsst er gut? Was hat er danach zu dir gesagt?"
"Woher soll ich wissen, ob er gut küsst? Das war mein erster Kuss", entgegnete ich auf eine der wenigen Fragen, die ich heraus gehört hatte.
"Auch noch?!" Nun schrie Beverly schon beinahe, fing sich aber relativ schnell wieder.

"Also", begann sie erneut, nun etwas langsamer "Wie hat es sich angefühlt? Denkst du, dass er gut küsst?"
Dafür, dass Beverly gerade noch so aufgebracht gegenüber meiner Gefühle für Patrick war, schien sie sich jetzt doch sehr dafür zu interessieren. Ich räusperte mich, dann antwortete ich: "Ja es- ich denke schon, also..."
"Also hat es sich gut angefühlt", unterbrach Beverly mich "Und?"
"Was und?", harkte ich nach.
"Na, hast du es erwiedert?"
Ich errötete leicht bei dieser Frage, nickte dann aber, wenn auch kleinlaut. "Es hat sich irgendwie richtig aber auch falsch zugleich angefühlt. Ich weiß nicht...", erklärte ich dann mit gesenktem Blick.
"Und was hat er danach zu dir gesagt?", fragte Beverly weiter nach.
"Ich weiß es nicht mehr genau", sagte ich nachdenklich "Ich habe ihm gesagt, dass ich glaube, einen Fehler zu machen und er meinte irgendwie sowas, von wegen 'Ist es ein Fehler, seinen Gefühlen nachzugehen?' oder sowas in der Art". Ich zögerte. Beverly sah mich resigniert an und wusste wohl auch nicht so recht, was sie sagen sollte.
"Ich glaube, ich mag ihn wirklich gerne, aber es ist alles so verdammt kompliziert", meinte ich dann.

"Hast du mit ihm über die Sache wegen ES geredet"?, fragte Beverly nach einigen Minuten des Schweigens im Versuch, das Thema zu wechseln. Ich sah zu ihr auf und nickte. "Ich glaube, ihr hattet recht", entgegnete ich "Er meinte zwar, er würde mir vielleicht helfen, aber ich bin mir jetzt doch nicht mehr so sicher".
Beverly stand vom Boden auf, ging um mich herum und ließ sich schließlich auf ihrem Bett nieder. "Wieso aufeinmal nicht mehr?"
"Ich weiß nicht, er war irgendwie viel zu fasziniert von dieser ganzen Sache. Als würde er ES dafür bewundern, dass ES diese Menschen umbringt...". Voller Unbehagen der Erinnerung an die gestrige Unterhaltung mit Patrick wegen, erschauderte ich.

×××

Es wurde langsam spät, also verabschiedete ich mich mit einer Umarmung von Beverly und machte mich auf den Heimweg.
Meiner Gefühle unsicher, hielt ich inne, als ich gerade die Türklinke ergreifen wollte, um in's Haus zu gehen. Einige Sekunden stand ich einfach nur da, die Hand nach der Tür ausgestreckt, und überlegte. Schließlich entschied ich mich dagegen. Ich wollte noch ein wenig Zeit draussen verbringen um alleine zu sein.

In der Dämmerung stand ich auf der Veranda, der sanfte Wind spielte mit meinem langen Haar. Plötzlich hörte ich das Klicken des Türschlosses hinter mir und drehte mich um. Patrick stand direkt vor mir, sein Blick tief und durchdringend. Er musste mich wohl vom Wohnzimmerfenster aus gesehen haben.
"Patrick", flüsterte ich, meine Stimme zitterte leicht. Er trat näher, bis nur noch wenige Zentimeter zwischen uns lagen.
"Allison", hauchte er, seine Stimme rau und leise. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen. Ich spürte die Anziehungskraft zwischen uns, intensiver und eindringlicher als sonst. Patrick hob langsam seine Hand und strich eine blonde Strähne aus meinem Gesicht, seine Finger sanft und dennoch bestimmend.
Mein Herz schlug wild in meiner Brust und ich schloss die Augen. Ich konnte den Moment förmlich greifen, die Spannung, die zwischen uns lag, die Erwartung. Und dieses unbegreifliche Gefühl...- den Drang, ihn erneut zu küssen...
Lange musste ich darüber aber nicht nachdenken. Patrick schien meine Gedanken lesen zu können, denn auf einmal spürte ich seine Lippen auf den Meinen, weich, aber doch fordernd. Ein Kribbeln durchfuhr mich, und ich erwiderte den Kuss ohne groß zu zögern. Unsere Lippen verschmolzen in einem Tanz der Gefühle. Der Kuss war intensiv, voller Leidenschaft und Verlangen. Als wir uns dann schließlich voneinander lösten, atmeten wir schwer. Unsere Blicke trafen sich.

"Ich weiß, dass du mich auch willst", flüsterte Patrick mit rauer Stimme "Und du weißt, dass ich der richtige für dich bin".
Ich schluckte. Er hatte recht. Ich wollte ihn und ich konnte mir nicht länger was anderes vormachen. Es war eindeutig, dass ich Gefühle für ihn hatte. Doch ob er tatsächlich der richtige für mich war, bezweifelte ich. Ben hatte ebenfalls recht gehabt; Patrick hatte mir in der Vergangenheit zu viel Leid angetan. Aber jetzt, wie er so vor mir stand...
Ich konnte nicht weiterhin leugnen, dass ich Gefühle für ihn hatte, auch wenn ich es noch vor weniger als einer Woche niemals zugegeben hätte.
Mit feuchten Augen sah ich zu Patrick hinauf. Er brauchte nicht auf Worte von mir zu warten, er wusste, was in mir vorging. Leicht fing er an zu lächeln und nahm sanft mein Gesicht in die Hände. "Du bist wunderschön", hauchte er dann, was ein merkwürdig, flatterndes Gefühl in meiner Magengegend auslöste.

×××

Noch immer standen wir auf der Veranda und schwiegen. Dann plötzlich brach Patrick das Schweigen: "Wir sollten bei den Cops und meinen Alten anrufen, meinst du nicht?"
Verwundert über den abrupten Themenwechsel, sah ich Patrick resigniert an. Warum wollte er auf einmal doch wieder zurück? Nicht, dass es mich stören würde, aber es war überraschend.
"Ich weiß, ich hab keinen Bock mich mit all' dem Kram abzugeben, aber ich habe dir versprochen, nur noch die zwei Tage zu bleiben", erklärte Patrick und strich sich durch sein dunkles, welliges Haar. Zu verwirrt um etwas zu erwiedern, starrte ich ihn einfach nur an.

Weil er es mir versprochen hatte?
Ernsthaft?

"Komm", sagte Patrick, legte seine Hand auf meinem Rücken und schob mich sanft in Richtung Eingangstür.

"Bitte wähl' du", bat er mich, als wir vor dem Telefon an der Tür zum Wohnzimmer standen "Wenn ich anrufe, dauert es zu lange und das möchte ich dir ersparen".
Was war los mit ihm? Schon wieder löste dieser Junge eine solche Verwirrung in mir aus...
Doch ich gehorchte und griff nach dem Telefon.

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I wanna be real || Patrick Hockstetter {ES}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt