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"Wie spät ist es?", gähnte Eddie und ließ seinen Arm von der Hängematte baumeln, die er nun schon seit Stunden belegte.
"Weiß nicht, aber ich glaube schon, dass sie weg sind", entgegnete Stan. Seit heute Mittag hatte kaum einer von uns den Holzbunker im Wald verlassen. Bloß Mike war vor etwa zwei Stunden oben gewesen, um zu pinkeln. Zurück kam er mit einem tiefen Kratzer an der Wange und hielt sich seit dem einen alten Stofffetzen an die Wunde, damit er nicht alles vollblutete. Als wir ihn gefragt hatten, was passiert war, kam eine Antwort, die niemanden sonderlich überraschte; Die Bowers-Gang lungerte oben im Wald herum.
Zwischendurch lugte Ben ab und zu durch einen kleinen Spalt in der Falltür, um zu sehen, ob sie noch immer da waren.

"Seit 'ner halben Stunde höre und sehe ich nichts mehr", meinte er "Ich denke, Stan hat recht"
"Besser is", stöhnte Richie. Er lag in einer äußerst ungemütlichen Position auf dem Boden, da er aufgegeben hatte zu versuchen, Eddie von der Hängematte zu drängen.
"Mein Rücken bringt mich um!"
"Lieber dein Rücken als Bowers", giftete Mike, der sich noch immer den Lumpen an die Wange presste, obwohl ich glaubte, dass es längst nicht mehr blutete.
"W-wer sieht nach, ob es oben si-sicher ist?", erkundigte sich Bill. Keiner schien sonderlich begeistert von der Idee zu sein. Wir alle schwiegen und sahen verlegen zu Boden.
"Einer muss aber gucken. Wir können hier schlecht übernachten!", sagte Stan dann.
"Dann schau du doch nach, Mister Neunmalklug", erwiederte Richie und versuchte mühsam sich aufzurichten, plumpste aber mit einem fürchterlichen KNACKS zurück auf den Boden. "Auaoohh", stöhnte er gequält.

Nach einer weiteren Weile des nichts tuens, stand ich von der Kiste auf, auf der ich die vergangenen Stunden gesessen hatte und streckte mich ausgiebig "Mmmh, ich geh jetzt hoch!"
"Bist du verrückt? Bowers könnte noch da sein", versuchte Stan mich aufzuhalten.
"Ich glaube, die haben besseres zu tun, als den ganzen Tag im Wald darauf zu warten, dass wir rauskommen", entgegnete ich skeptisch. Er sah mich ungläubig an. Selbst ich glaubte meinen Worten nicht, aber ich musste langsam wirklich nachhause, bevor sich Miss Trunk und meine Mutter noch Sorgen machten.

"Ich geh jetzt hoch", wiederholte ich und öffnete die Falltür.
Draussen hatte es bereits angefangen zu Dämmern. Das letzte Tageslicht strahlte geradeso noch durch das dichte Blätterdach des Waldes. Bevor ich vollständig aus dem Loch stieg, sah ich mich um. Niemand. Also stieg ich die letzten Stufen der Leiter hinauf und rief: "Ihr könnt rauskommen, hier ist k- " Doch ich konnte meinen Satz nicht zuende sprechen. Jemand hatte sich heimlich von hinten an mich herangeschlichen und hielt mir mit der Hand meinen Mund zu.
"Allie?", hörte ich Beverly besorgt aus dem Loch rufen.
"Genau, ihr könnt rauskommen! Die Luft ist rein!", sagte Bowers mit einer gehässigen Imitation meiner Stimme.
"Shit! Bowers!", fluchte Ben. Ich sah, wie er seinen Kopf aus dem Loch steckte und versuchte rauszuklettern.
"Netter Versuch, Titte", grinste Bowers und trat Ben gegen den Kopf, sodass er rücklings die Leiter herunterfiel. Durch die Hand, die mir den Mund zuhielt, ließ ich einen gedämpften schrei ertönen, und versuchte mich aus dem Griff der Person zu befreien, doch dies führte nur dazu, dass sich der Griff verstärkte.
Shit, dachte ich.

Shit shit shit!

Verzweifelt versuchte ich weiter, mich zu befreien, indem ich zappelte und um mich trat.
"Halt still!", hörte ich Patrick hinter mir fauchen. Neben Bowers, der noch immer gehässig grinsend in das Loch im Boden starrte, erblickte ich Victor und Belch. Also war es Patrick, der mich festhielt.
Natürlich, wer auch sonst.
Nocheinmal versuchte ich durch zappeln den Fängen dieses Psychos zu entfliehen, doch ich scheiterte erneut.
"Jetzt halt verdammt nochmal Still!"
Aus irgendeinem Grund gehorchte ich ihm nun. Seine Hand presste er so fest gegen meinen Mund, dass es schon fast wehtat.
Meine Augen tränten, während ich beobachtete, wie Bowers die Falltür zuschlug und Belch einen großen, schwer aussehenden Stein darauf fallen ließ. Alle vier lachten, als meine Freunde ihre Fäuste von unten gegen die Tür trommelten und schrien.
"Los Jungs, verschwinden wir!", sagte Bowers dann "Und dich nehmen wir mit!". Er zeigte auf mich, dann lief er vorraus, aus dem Wald hinaus.
Belch und Victor direkt hinter ihm. Patrick und ich bildeten die Nachhut, wobei ich eher wiederwillig meine Beine bewegte.

Am Waldrand stand Belch Huggins' dunkelblauer Trans AM, worauf wir zusteuerten. Es war bloß ein Viersitzer, weshalb ich mich fragte, wie um Himmelswillen die mich da drin mitnehmen wollten. Belch und Bowers saßen bereits vorn und Victor saß hinten hinter dem Fahrersitz. Nun stieg Patrick ein, hielt mich dabei aber immernoch am Handgelenk fest.
"Du kommst auf meinen Schoß!", kommandierte Patrick. Mir fiel eine Menge ein, was ich in diesem Moment lieber tun wollte. Mit voller Kraft versuchte ich mein Handgelenk zu befreien, doch Patrick grinste bloß hämisch und zog mich weiter zu sich heran.
"Nein!", quengelte ich.
"Jetzt setzt dich hin!", brüllte Bowers.
Die Angst raubte mir nun entgülig meine Kräfte und ich musste zulassen, dass Patrick mich auf seinem Schoß zerrte.
Ich wollte weinen, doch es kamen keine Tränen mehr.
"Festhalten, Prinzessin!", hauchte Patrick und umklammerte meine Hüfte. Sein Atem strich über meinen Nacken, was mir eine unangenehme Gänsehaut verpasste.
Ich wollte, schreien. Ich wollte kotzen. Ich wollte heulen. Ich wollte einfach nur weg hier!

Die ganze Fahrt über konnte ich mich nicht bewegen. Wie gelähmt saß ich auf dem Schoß des Jungen, den ich so sehr fürchtete.
An den größten Teil der Fahrt konnte ich mich aber nicht erninnern, da mein Kopf wieder diese komischen Dinge mit mir machte. Dieses Schwummern und das Schwindelgefühl, gemischt mit dem Glauben, nicht real zu sein.

"Aufwachen, Mini-McKober!", forderte Bowers plötzlich "Die Fahrt endet hier"
Langsam wachte ich aus meiner Trance auf. Erst wusste ich nicht, wo wir waren, doch dann erkannte ich es. Wir standen an der Ecke zur Straße, wo das Haus stand, in dem ich wohnte.
"Was-", begann ich. Ich verstand überhaupt nichts mehr. Warum sollte mich die Bowers-Gang nachhause fahren? Halluzinierte ich etwa? Das war doch wirklich nicht real.

"Steh auf!", befahl Bowers "Weiter fahren wir nicht"
Ich konnte mich nicht bewegen.
"Naww, sie will bei uns bleiben", lachte Patrick und grinste mich über meine Schulter hinweg an. Seine Arme waren noch immer um meine Hüfte geschlungen. Belch lachte grunzend auf.
Auf keinen Fall wollte ich bei denen bleiben, aber mein Körper wollte mir einfach nicht gehorchen.
"Patrick..!", seufzte Bowers ungeduldig.
Patrick stöhnte genervt und verdrehte die Augen. Dann öffnete er die Autotür. Er stand auf, mich noch immer festhaltend, was dazu führte, dass er mich hochhob.
Er stieg aus, hob mich ebenfalls aus dem Auto und versuchte mich auf dem Asphalt abzustellen, doch meine Beine waren zu schwach, weshalb meine Knie immer wieder wegknickten. Irgendwann schaffte ich es dann aber doch, stehen zu bleiben.

Ich wusste nicht, ob ich mich dafür bedanken sollte, dass sie mich nachhause gefahren hatten, denn schließlich hatten sie mich ja auch irgendwie entführt, wenn man das so nennen konnte. Also wandte ich mich um, um ohne etwas zu sagen zu gehen.
"Hiergeblieben!", sagte Patrick aber und hielt wieder mein Handgelenk fest.
"Du verlässt das Taxi nicht, ohne zu bezahlen", meinte Bowers, der inzwischen auch ausgestiegen war und nun mit den Händen in den Hosentaschen neben Patrick stand.
"I-ich hab kein Geld dabei", stammelte ich ängstlich.
"Wir wollen ja auch kein Geld", entgegnete Bowers, zog sein Messer aus der Hosentasche und überreichte es Patrick. Wieder überkam mich Panik und ich wollte wegrennen, aber Patrick hielt weiterhin mein Handgelenk fest und grinste.
"Was habt ihr vor?", wimmerte ich.
"Keine Sorge, du wirst es überleben", erwiederte Patrick.
Aus seinem Mund hörte es sich viel beunruhigender an, als es vermutlich sollte.
Er zog meine Hand zu sich heran und klappte das Messer auf. Ich kniff die Augen zusammen, als ich einen stechenden Schmerz an meinem Handrücken spürte.

Als Patrick meine Hand endlich losließ, wich ich einige Schritte zurück und hielt mir die schmerzende Hand. Sie war blutverschmiert und im Licht der Straßenlaterne sah ich, dass man mir ein X auf den Handrücken geschlitzt hatte. Oder war es ein Kreuz?
War auch egal. Tatsache war, dass es barbarisch war.
Entgeistert starrte ich zur lachenden Bowers-Gang.
"Was zum -?" Nun rannen mir doch die Tränen das Gesicht hinunter "Was soll das?"
"Wir haben dich sozusagen.. markiert, Mini-McKober", lachte Bowers hämisch.
Fragend und zugleich zornig sah ich ihn an. Dann erklärte er weiter: "Das bedeutet, dass wir von nun an immer wieder zu dir zurück kommen"
Das könnt ihr auch tun, ohne mir die Hand aufzuschlitzen, dachte ich verbittert.
Und was sollte das heißen, sie würden immer wieder zu mir zurück kommen? Schon wieder klang es wie eine Drohung.
"Ich hab dir gesagt, du kannst nicht ohne mich überleben", sagte Patrick.
Er zwinkerte mir zu und stieg zurück in den Wagen. Sobald er die Autotür geschlossen hatte, fuhr Belch los.
Ich sah ihnen fassungslos hinterher, bis ich sie nicht mehr sehen konnte.

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I wanna be real || Patrick Hockstetter {ES}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt