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Die Türklingel durchbrach die Stille des Hauses, ein schriller Klang, der mich aus meinen Gedanken riss.
Patrick und ich saßen schon einige Minuten im Wohnzimmer und warteten auf das Eintreffen seiner Eltern, nachdem ich die Anrufe getätigt hatte.
Mein Herz klopfte heftig, als ich zur Tür eilte und sie öffnete. Vor mir stand ein Polizist, den ich als Oscar Bowers erkannte, begleitet von Patrick's Mutter und Vater. Die Gesichtsausdrücke seiner Eltern spiegelten eine Achterbahn der Emotionen wider.
Mr. Hockstetter wirkte zornig und erleichtert zu gleich, während Mrs. Hockstetter in Tränen der Sorge und Freude ausbrach, als sie ihren Sohn hinter mir erkannte.

"Was ist hier los?", brach es unkontrolliert aus Mrs. Hockstetter heraus, bevor ich überhaupt etwas sagen konnte. "Patrick, mein Gott, wo warst du?"
Patrick senkte den Blick und ließ sich von seiner Mutter in den Arm nehmen, während sein Vater ihn düster ansah. Die Szene wurde schnell von einem Sturm der Gefühle überrollt. Fragen wurden in den Raum geworfen, und ich spürte den Druck, Antworten zu liefern. Erneut umarmte Mrs. Hockstetter ihren Sohn und schien gleichzeitig erleichtert und verzweifelt zu sein.

Schließlich wurde Patrick vom Polizist Mr. Bowers gebeten, mit nach draussen zu kommen um weitere Fragen zu beantworten. Ich sah ihm nach, wie er widerwillig das Haus verließ, mir einen letztes schwaches Lächeln schenkte. Dann wandten sich seine Eltern an mich.
"Vielen Dank", sagte Mr. Hockstetter mit einem Hauch von Erleichterung. "Ich weiß nicht, wie wir dir jemals genug danken können".
"Nicht doch", winkte ich ab und fuhr ehrlich fort: "Ich bin selber mehr als froh, dass er wieder da ist".
Mrs. Hockstetter schluchzte immer noch, während sie nun auch mich umarmte. "Ich kann auch kaum beschreiben, wie dankbar wir dir sind. Wenn es irgendetwas gibt, was wir für dich tun können..."
"Es würde mich tatsächlich sehr erleichtern, wenn sie erstmal nicht allzu streng mit Patrick wären", begann ich zögerlich "Ich denke, er hat in den letzten Tagen eine Menge durchgemacht".
Mit noch immer feuchten Augen lächelte mich Mrs. Hockstetter an. "Du bist wahrlich ein gutes Mädchen, meine Liebe", entgegnete sie dann, begleitet von einem zustimmenden Murren ihres Mannes.

×××

Die nächsten Tage vergingen für mich wie in einem Trancezustand. Der Fakt, dass Patrick als einziges der verschwundenen Kinder wieder aufgetaucht war, machte schnell die Runde in der Kleinstadt, verbreitete sich schon fast wie ein Lauffeuer.

Es war Dienstag.
Letzte Nacht war Miss Trunk von ihrem Urlaub zurückgekehrt. Ich wollte sie begrüßen und hören, was sie alles erlebt hatte, also stieg ich die Treppe hinab zu ihrem Zimmer neben dem Wohnzimmer.
Ich klopfte und trat in das Zimmer von Miss Trunk. Perplex bemerkte ich, wie sie eifrig dabei war, ihre Sachen in einen großen Koffer ein-, anstatt auszupacken. Der Raum schien von einer gespannten Atmosphäre erfüllt zu sein.
Verwirrt und gleichzeitig besorgt fragte ich: "Miss Trunk, was machen sie da?"
Müde blickte Miss Trunk auf, ihre Augen wirkten traurig. "Oh, hallo Allison. Ich bedauere, dass wir uns jetzt nur noch so kurz sehen, aber deine Mutter hat mich entlassen. Es scheint, als würden sich unsere Wege hier trennen".
Mein Gesicht entgleiste vor Schock. "Entlassen? Aber warum?"
Miss Trunk seufzte und versuchte, ihre Worte behutsam zu wählen. "Es tur mir leid, Kind. Aber sie hat beschlossen, dass es für euch an der Zeit für einen Neuanfang in New York ist. Und für mich bedeutet das für's erste 'Lebewohl' ".
Diese Nachricht traf mich wie ein Schlag. Die Vorstellung, dass meine Mutter tatsächlich vorhatte, nach New York zu ziehen, ließ die Unsicherheit über meine Zukunft noch größer erscheinen. Es war, als würde ein weiteres Stück meiner vertrauten Welt auseinanderbrechen.
Sprachlos verließ ich das Zimmer und schloss die Tür hinter mir.

×××

Weitere drei Tage waren vergangen und es wurmte mich, wie unproduktiv ich in letzter Zeit doch war. Den ganzen Tag war ich Zuhause.
Gestern war der Umzugswagen für Miss Trunk da gewesen und es machte mich traurig, sie vermutlich nie wieder zu sehen.
Aber ich war entschlossen, endlich wieder raus zu gehen um etwas produktives zu machen. Seit Tagen schon lagen die Klamotten von Patrick, die er letzte Woche hier gelassen hatte, frisch gewaschen und zusammengelegt in der Waschküche und es war langsam an der Zeit, sie ihm zurück zu geben.

Patrick wohnte nicht weit von Zuhause entfehrnt, nur einen Block weiter. Ich klingelte und wurde sogleich von der strahlenden Mrs. Hockstetter begrüßt. "Allison, wie schön! Komm doch rein".
"Oh, nein danke. Ich wollte bloß Patrick's Klamotten vorbeibringen und-" "Ach nun sei doch nicht so bescheiden", unterbrach Mrs. Hockstetter mich "Ich war gerade einkaufen und habe Kekse geholt, nimm dir ruhig", sagte sie dann, als sie mich den Flur entlang in die Küche schob. Am kleinen runden Esstisch, der mit einer gelb karierten Tischdecke und einer Vase mit bunten Blumen geschmückt war, saß Mr. Hockstetter, las die Zeitung von gestern und trank dabei einen Kaffe. Im Hintergrund war das Rauschen eines alten Radios zu hören, in welchem gerade ein Song von 'New Kids on the Block' gespielt wurde. Ich kannte den Namen von diesem Song nicht doch erkannte ich es, da Ben ein Fan dieser Band war und mich einmal in die Playlist auf seiner Lieblings Kassette hat hören lassen.

"Setz dich, Liebes!", forderte Mrs. Hockstetter höflich und nahm mir die Tasche mit Patrick's Klamotten ab. Als ich mich setzte, blickte Mr. Hockstetter kurz von seiner Zeitung auf, gab ein gemurmeltes "Hallo" von sich, nur um sich gleich wieder den gestrigen Nachrichten zu widmen.
"Möchtest du ein Glas Saft?", fragte mich Mrs. Hockstetter aus der Küche. "Ja danke, das ist lieb", entgegnete ich und sah mich im sitzen weiter um.
Küche und Esszimmer waren wie bei mir Zuhause nur von einer Kücheninsel voneinander getrennt. Anders als bei mir aber war, dass das Wohnzimmer ebenso angrenzend war.
An der Wand neben der Tür zum Flur, bemerkte ich ein eingeramtes Foto. Darauf waren zwei kleine Kinder zu sehen. Das ältere, auf diesem Bild vielleicht um die vier oder fünf Jahre, war ohne jeden Zweifel Patrick. Schon damals hatte er also diese durchdringenden Augen gehabt.
In seinen Armen hielt er ein Baby, vielleicht gerade mal ein Jahr alt. Hatte er etwa einen Bruder?
Er hatte nie erzählt, dass er Geschwister hatte und bis heute hatte ich auch nie daran gezweifelt, dass er Einzelkind war.

Mrs. Hockstetter kam wieder zum Tisch, ein Glas mit rotem Saft in der Hand, welches sie vor mir abstellte.
"Bittesehr", sagte sie, und ich bedankte mich.
Plötzlich hörte ich Schritte aus dem Flur kommen, die sich anhörten, als würde jemand die Treppe runter steigen.
"Ah, da ist Patrick ja", bemerkte Mrs. Hockstetter dann "Er will bestimmt auch Hallo sagen".
Verschlafen und noch im Pyjama, schlurfte Patrick barfuß in das Esszimmer, blieb aber willkürlich stehen, als er mich bemerkte.
"Al- Allison?", fragte er verdattert und rieb sich müde die Augen.
"Guten Morgen", entgegnete ich und lächelte ihn verlegen an.
"Die liebe Allison ist vorhin hier hergekommen um dir deine Klamotten zu bringen, die du bei ihr vergessen hast", erklärte Mrs. Hockstetter und wuschelte dem verschlafenen Patrick durch das ohnehin schon zerzauste Haar "Ich habe sie noch kurz reingebeten, da ich dachte, ihr wollt euch vielleicht kurz sehen". Sie zwinkerte und ging zurück in die Küche.

"Wie geht's dir?", fragte ich Patrick, als wir uns auf die Couch im Wohnzimmer gesetzt hatten. Mit düsterem Blick, strich er sich durch die Haare. "Ich hab Hausarrest, also nicht gerade prickelnd, würde ich behaupten".
Daran wird er sich eh nicht halten, dachte ich, sagte aber nicht's. Stattdessen fragte ich: "Und... wie lange etwa noch?"
"Eine Woche", er zögerte, dann beugte er sich leicht zu mir runter und fuhr mit gedämpfter Stimme fort, damit seine Eltern ihn nicht hören konnten "Ich werde es mir aber nicht entgehen lassen, dich schon vorher noch einmal zu sehen". Er grinste.
Zwar sahen wir uns schon jetzt, doch ich glaubte zu wissen, was er eigentlich meinte. Warnend sah ich ihn an, doch er grinste weiter unablässig.

"Ich gehe jetzt", meinte ich und stand auf. Als ich an der Küche vorbei in den Flur trat, verabschiedete ich mich noch bei Mrs. Hockstetter mit einem: "Vielen Dank, für ihre Gastfreundschaft".
Patrick bestand darauf, mich noch bis zur Haustür zu begleiten. Ich hatte die Tür schon geöffnet, als er mich zurück hielt. Er beugte sich zu mir herunter, sein Atem streifte heiß mein Gesicht und er kam mir immer näher. Mein Herz begann wieder zu rasen und ich glaubte zu wissen, was gleich passieren würde. Doch nur Millimeter vor meinen Lippen, machte er Halt und grinste erneut.
"Komm gut nachhause, Prinzessin", flüsterte er, richtete sich wieder auf und schloss die Haustür vor mir.
Verwirrt stand ich da, mein Herz noch immer unkontrolliert pochend und mein Kopf voller umherwirbelnder Gedanken.

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I wanna be real || Patrick Hockstetter {ES}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt