Kapitel 85

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Seine Worte hatten mich zutiefst getroffen. Ich spürte, wie meine Kehle trocken wurde, während die Realität dessen, was er vorschlug, auf mich einstürzte. Die Angst, die ich all die Zeit in mir getragen hatte, wuchs plötzlich zu einer übermächtigen Präsenz heran. Was, wenn meine Wölfin wirklich weg war? Was, wenn ich tatsächlich nur noch ein Mensch war, inmitten von Wölfen, die so viel mehr waren? Die Vorstellung raubte mir fast den Atem.

»Sian…« begann ich zögernd, meine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. »Was, wenn sie wirklich weg ist? Was, wenn ich... kein richtiger Wolf mehr bin?« Meine Stimme zitterte, als ich die Worte aussprach, die ich so lange vermieden hatte. »Ohne sie bin ich doch nur... ein Mensch.«

Ich sah ihn an, suchte in seinen Augen nach einer Antwort, die mir die Furcht nehmen könnte, doch sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Er schien nach den richtigen Worten zu suchen, doch stattdessen zog er mich nur näher zu sich. Seine Hände legten sich beruhigend auf meine Schultern, und ich spürte die Wärme seines Körpers, die mir ein wenig Halt gab.

»Kleine,« begann er schließlich, seine Stimme ruhig und kontrolliert, »was auch immer passiert, du bist mehr als nur dein Wolf. Du bist stark, auch ohne sie. Ich sehe das in dir. Aber ich glaube nicht, dass sie wirklich weg ist. Sie ist vielleicht tief in dir verborgen, aber sie ist bestimmt noch da.«

Seine Worte sollten beruhigend wirken, doch in meinem Inneren tobte immer noch ein Sturm. Die Angst, als schwach oder unvollständig wahrgenommen zu werden, nagte an mir. Was, wenn ich nicht mehr in diese Welt passte? Was, wenn Sian mich plötzlich anders sehen würde?

»Aber was, wenn ich wirklich nur ein Mensch bin?« flüsterte ich, während ich meinen Blick von ihm abwandte. »Werde ich dann noch Teil dieser Welt sein können?«

Sian sagte daraufhin nichts, doch ich spürte, wie er mich näher an sich heranzog, als wollte er mir durch die Berührung mehr Trost spenden als durch Worte. »Das wird sich nicht ändern,« sagte er schließlich, seine Stimme fest und beruhigend. »Egal, ob du deinen Wolf findest oder nicht – das ändert nichts daran, wer du bist. Ich bin hier, kleine. Und ich lasse dich nicht allein.«

Trotz Sians beruhigender Worte schien die Unsicherheit wie eine dichte Nebelwand, die sich nicht lichten ließ. Die Angst vor dem, was ich verlieren könnte, nagte an mir. Lia, meine Wölfin, war ein Teil von mir gewesen, vier ganze Jahre lang, sie war meine beste Freundin.. Aber jetzt? Jetzt fühlte ich nichts. Keine Verbindung. Keine Kraft. Nichts.

»Sian,« begann ich erneut, meine Stimme zittrig und schwach, »was, wenn sie wirklich... für immer weg ist? Ich kann mich auch nicht mehr verwandeln. Es fühlt sich an, als wäre sie nur noch eine Erinnerung. Wie soll ich mich denn sicher fühlen, wenn das, was mich zu einem Teil des Rudels macht, einfach verschwunden ist?«

Ich suchte nach Antworten in seinem Gesicht, nach irgendeinem Anzeichen, dass er mehr wusste oder mir zumindest Hoffnung geben konnte. Doch stattdessen begegnete mir sein fester, entschlossener Blick. Er strich mir sanft über die Wange und legte seine Stirn an meine. Seine Nähe war wie ein Schutzschild, etwas, das mich vor der Dunkelheit in meinem Inneren bewahrte.

»Ich verstehe deine Angst, meine kleine,« sagte er ruhig, »aber du musst mir vertrauen. Lia ist nicht weg, sie schläft sicher nur tief in dir. Es wird schmerzhaft sein, sie zu wecken, das weißt du. Doch ich glaube daran, dass sie noch da ist – und du solltest das auch.«

Seine Worte brannten sich in mein Herz, und obwohl die Furcht mich immer noch fest im Griff hatte, spürte ich auch einen Funken Hoffnung. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht war sie nicht vollständig verschwunden. Vielleicht brauchte ich nur den Mut, nach ihr zu greifen, selbst wenn der Weg dorthin schmerzhaft war.

Entführt ~ Verkauft ~ Versklavt Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt