Alessandro, den ich überhaupt nicht erwartet hatte, gähnte laut, fuhr sich durch seine nun millimeterkurz geschnittenen Haare, die kaum noch vorhanden waren, und sah mich und Flavio nacheinander an, ohne etwas zu sagen.
Er schien über etwas nachzudenken, genauso wie ich.
Wie war es möglich, dass mich der Zettel zu seinem Haus gebracht hatte? Was hatte der Typ, dem ich Zumba-Unterricht gab, mit der ganzen Sache zu tun? War er auch in einer Gang? Kannte er meinen Vater?
Von dieser ganzen Fragerei dröhnte mir der Kopf so sehr, dass ich mich kurzerhand an Flavio abstützen musste, um nicht zu Boden zu fallen, was ungünstig gewesen wäre.
Alessandro beobachtete mich immer noch, als er schliesslich sagte: „Na dann, kommt rein. Will jemand Kaffee? Oder seid ihr eher die Tee Trinker? Ich steh ja persönlich nicht so auf Tee."
Der Typ, dem ich Tanzen beibrachte, drehte sich um und lief in sein Haus zurück, was Flavio und mich alleine auf der Veranda rumstehen liess. Wir hatten keine Ahnung, was wir nun tun sollten.
Heimgehen oder ihm hineinfolgen, ohne zu wissen, was uns dort erwarten würde? Konnten wir ihm vertrauen?
Alessandro war immer nett zu mir gewesen, dass musste ich zugeben, aber da hatte ich auch noch nicht gewusst, dass er mir mit grösster Wahrscheinlichkeit diese Zettel und Nachrichten untergejubelt und in meiner Tasche verstaut hatte.
Das war alles viel zu unheimlich, und da ich mir keinen Reim darauf machen konnte, gab es nur eine Möglichkeit, um die Wahrheit zu erfahren - und die gefiel mir ganz und gar nicht.
„Kommt ihr zwei endlich?" hörten wir die Stimme von Alessandro aus einem der Räume rufen und ich sah flüchtig zu Flavio, der mich unsicher ansah und wohl auf eine Entscheidung meinerseits wartete.
Ich nickte, als ob ich mir selbst Mut zusprechen wollte und trat danach zögerlich über die Türschwelle ins Haus, wo uns warme, stickige Luft entgegen kam. Ich erkannte sofort einen mit Möbeln überhäuften Flur, die Wände waren mit Postern und Bildern zugeklebt und der Boden mit Staub übersäht.
Alessandro war wohl kein Ordnungs - und Sauberkeitsliebender Mensch, er schien auch ohne das zu Recht zu kommen.
Ich rümpfte die Nase, als ich die überraschend aufgeräumte Küche betrat und Alessandro vor einer Theke mit einer Kaffeemaschine stehen sah, die er wohl gerade eingeschaltet haben musste.
Er wies mich und Flavio an, uns auf einen der fünf vorhandenen Stühle zu setzen, was wir mit einem etwas mulmigen Gefühl im Magen dann auch taten. Ich wusste immer noch nicht, ob Alessandro zu den Guten oder den Bösen gehörte und das machte mich nervös.
Zum Glück hatte Flavio seine Waffe dabei, obwohl mich dieser Fakt alleine schon ängstlich werden liess. Das Letzte, was ich nun gebrauchen konnte, war ein eifersüchtiger Flavio, der mehr in eine Situation hineininterpretierte, als tatsächlich da war.
„So," meinte Alessandro als er zwei Tassen Kaffee vor mir und Flavio hinstellte, bevor er sich selbst setzte und uns erneut anschaute, als wäre es total normal, dass seine Zumba-Lehrerin und ein fremder Typ mitten in der Nacht vor seiner Haustüre auftauchten.
Aber was konnte ich schon dazu sagen, vielleicht war es für ihn wirklich normal, ich kannte ihn ja wohl offensichtlich schlechter, als ich gedacht hatte.
Ich nippte langsam an meinem Kaffee, da er noch sehr heiss war, und starrte zu Alessandro herüber, der kein Getränk für sich selbst gemacht hatte.
„Wer bist du?!" fragte Flavio schlussendlich durch die Stille und ich zuckte zusammen, da mich das plötzliche Geräusch so sehr erschrocken hatte. Irgendwie hatte ich mich an die Stille gewöhnt.
DU LIEST GERADE
Gangs 2 - Lost Boys
Teen FictionCierra Foster hat vieles hinter sich, das sie lieber vergessen möchte. Aber selbst mit neuem Namen und neuem Wohnort muss sie lernen, dass man seiner Vergangenheit nicht so einfach aus dem Weg gehen kann...