Überforderung

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Ich atmete einmal tief durch und versuchte, Flavio in die hintersten Ecken meiner Gedanken zu verbannen, was mir nur mässig gelang.

Dieser Typ brachte mich einfach um den Verstand, jedes Mal, wenn ich dachte, ich wäre über ihn hinweg, schaffte er es wieder aufs Neue, mein Herz in Aufruhr zu versetzen. Ich konnte es selbst nicht mal mehr verstehen, es war mir ein Rätsel.

„Ok," meinte ich dann und seufzte, während ich zu Jari herüber sah und bemerkte, dass er mich ebenfalls anschaute, was mich etwas überraschte, „womit willst du beginnen?"

„Naja, lass uns zuerst mal den Schlüssel unter die Lupe nehmen," war seine Antwort, als er endlich den Blick von mir abwendete und nach dem Schlüssel griff, den er in seiner Hosentasche verstaut hatte. Wo Alessandro hin war, wusste ich nicht. Aber ich glaubte nicht, dass wir ihn wirklich brauchen würden.

„Kannst du damit was anfangen? Ich meine, du hast bei dieser Bank gearbeitet, oder?" fragte ich, aus purer Neugierde. Ich hatte von diesen Dingen keine Ahnung, ich hatte noch nie Zugang zu einem Bankschliessfach gehabt. Meine Mutter und ich hatte so etwas nie in Erwägung gezogen, da wir überhaupt kein Geld gehabt hätten, um etwas darin zu verstauen.

„Jap, das hab ich, bis sie mich rausgeschmissen haben." Jari grinste verlegen, während ich meine Augenbrauen in die Höhe zog. Aha, sie hatten ihn also gefeuert, interessant.

„Und wieso genau wurdest du rausgeschmissen?"

„Weil ich geheime Daten weitergegeben hatte, ein Glück haben sie mich nicht angezeigt. Aber der Bankjob alleine war halt zu langweilig für mich, ich brauchte etwas Action."

„Und da hast du gedacht, wäre doch ganz witzig, geheime Daten weiterzuverkaufen?" wollte ich als nächstes ironisch wissen und sah ihn noch etwas länger an.

„Was sonst? Ich war in keiner Gang mehr wegen deinem Ex-Lover, ich hab mich mit ihm gezofft und die Gang verlassen, es hat mir nicht gepasst, dass er angefangen hat, mich herum zu kommandieren. Dein Vater hat immer akzeptiert, dass ich so arbeiten wollte, wie es mir passte." Jetzt wurde es immer besser.

„Du-du kanntest meinen Vater?" Ich konnte es kaum fassen, irgendwie hatte jeder, den ich traf, mit meinem alten Herrn mehr Zeit verbracht, als ich selbst. Ich war eifersüchtig auf jeden von ihnen, selbst auf Jari.

Sie hatten meinen Vater kennen lernen können, mit ihm Zeit verbracht und hatten gewusst, wie er tickt. Ich hingegen hatte nur noch diese feinen Erinnerungen aus meiner jungen Kindheit, die langsam verblassten.

„Ziemlich gut sogar, stimmt es...dass er nicht tot ist?" Jari schien plötzlich sehr interessiert zu sein.

„Das versuchen wir gerade heraus zu finden, aber es sieht ganz danach aus," gab ich zu und zeigte auf den Schlüssel, „wenn wir wissen, was in dem Schliessfach ist, sind wir schon einen Schritt weiter."

„Ok." Jari betrachteten den Schlüssel von allen Seiten und war sich seiner nächsten Aussage sicher: „Das ist kein herkömmlicher Schlüssel, er enthält auch digitale Informationen. Und er ist für eines der grössten Schliessfächer, deren Miete mehr als 3000 im Jahr kostet."

„Das heisst das Schliessfach ist gross?" hakte ich nach. Das ergab doch keinen Sinn, wie gross war denn der nächste Hinweis? Ich glaubte kaum, dass sich mein Vater in diesem Safe aufhielt.

„Ziemlich gross, sicher 2-3 Kubikmeter. Was auch immer da drin ist, muss was grosses sein. Ausserdem laufen diese Schliessfächer meistens auf einzelne Personen, die eine Vollmacht besitzen. Stirbt diese Person, geht die Vollmacht an die Nachkommen weiter. Aka an dich und Allessandro. Ihr müsst persönlich auf der Bank erscheinen, um das Schliessfach zu öffnen. Niemand sonst kann es."

Gangs 2 - Lost BoysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt