Ich hatte Richards Telefonnummer in mein Handy getippt. Alles, was ich jetzt noch zu tun hatte, war auf den Hörer zu klicken und abzuwarten. Eine kleine, flüchtige Bewegung, mehr brauchte es nicht.
Und doch fiel es mir schwer, das zu tun. Ich hatte mich zwar von Ashton verabschiedet und war bereit, meine beste Freundin zu retten, aber ich hatte dennoch Angst vor dem, was auf mich zukommen würde, wenn ich diese Nummer wählte.
Ich würde es, egal, was es auch war, wahrscheinlich nicht überleben.
Ich starrte durch die Windschutzscheibe von Jaris Auto nach draussen, wir standen immer noch auf dem Parkplatz vor der Klinik. Wir hatten uns noch keinen Zentimeter weiter bewegt.
„Hast du es dir doch anders überlegt? Cierra - du musst das nicht machen, wenn du Angst hast." Jari legte mir eine Hand auf die Schulter und sah mich besorgt an, seine Miene konnte ich jedoch nicht deuten.
„Ja, ich hab Angst," meinte ich, „aber ich muss Candice trotzdem retten. Sie ist nur wegen mir in dieser gefährlichen Situation, ich habe keine Wahl. Aber Angst...die hab ich schon."
„Das ist ok," flüsterte Jari und seufzte, „wir können das Ganze auch abblasen und sie anders rausholen. Wir könnten das Haus stürmen, wenn Flavio und die anderen Jungs erstmal hier sind. Die wären sicher alle dabei."
„Aber wenn wir das Haus stürmen wird Candice das nicht überleben, Richard würde sie gleich töten, wenn er merken würde, was wir vor hätten und dieses Risiko kann ich nicht eingehen. Jari...Sie ist schwanger. Sie bekommt ein Baby! Wir dürfen das alles nicht aufs Spiel setzen!"
Ich legte meinen Kopf in meine Handy und versuchte, meinen Atmen zu stabilisieren. Warum dachte ich überhaupt noch darüber nach? Meine Entscheidung hatte ich schon längst gefällt. Ich versuchte hier gerade nur, das unvermeidbare hinauszuzögern.
Ich würde früher oder später die Nummer von Richard wählen und mich zum Tausch anbieten. Egal, ob das nun gefährlich war, oder nicht.
„Alessandro wird mich hassen," sagte ich leise, aber mit Nachdruck. Es war schade und machte mich traurig, dass ich keine Gelegenheit mehr haben würde, meinen Bruder besser kennen zu lernen.
„Er könnte dich doch niemals hassen, du bist seine Schwester. Er liebt dich."
„Wer weiss, wie lange noch," meine Stimme wurde brüchig und ich räusperte mich, bevor ich hinzufügte: „Aber genug von all diesem traurigen Zeugs. Ich rufe ihn jetzt an."
Jari nickte und blieb still, während ich mich zusammen riss und auf den Hörer klickte, um Richard anzurufen. Was ich überhaupt sagen wollte, hatte ich mir noch nicht genau überlegt, aber ich hoffte, das würde mir noch früh genug einfallen.
Mit jedem Piepsen, das ich wahrnahm, raste mein Herz mehr und mein Puls überschlug sich fast, als ich hörte, wie jemand den Anruf entgegen nahm.
Nach einem kurzen Rascheln und einigen Sekunden von Stille meldete sich eine tiefe Stimme: „Ja?"
Er war es! Es war Richard! Ich war mir ohne jegliche Zweifel sicher, ich würde seine Stimme immer und überall wiedererkennen!
„Richard," sagte ich laut, so dass er es unmöglich überhört haben konnte. Ich versuchte möglichst einschüchternd zu klingen, doch ob das klappte, bezweifelte ich stark, „ich dachte, ich hätte dir gesagt, du sollst dich aus meinem Leben raushalten. Hast wohl nicht auf mich gehört."
„Oh Cierra," begrüsste er mich, schon fast so wie eine alte Freundin, „ich hab mich schon gewundert, wieso du solange brauchst, um rauszufinden, wer deine kleine Freundin entführt hat. Du hast doch nicht tatsächlich geglaubt, dass du mich so einfach loswirst, oder?"
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Gangs 2 - Lost Boys
Teen FictionCierra Foster hat vieles hinter sich, das sie lieber vergessen möchte. Aber selbst mit neuem Namen und neuem Wohnort muss sie lernen, dass man seiner Vergangenheit nicht so einfach aus dem Weg gehen kann...