Benötigter Grund

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Keine Ahnung, wie lange wir bereits eingesperrt waren, aber irgendwann fanden Jari und ich uns damit ab, dass wir gerade nichts tun konnten, um die Situation zu verbessern. Wir mussten wohl einfach auf die nächsten Anweisungen warten und sehen, was dann geschehen würde.

Hoffentlich würde es etwas Gutes sein und nicht erneut eine böse Überraschung, von denen gab es schliesslich viel zu viele.

«Was ich dich schon immer fragen wollte,» begann Jari, als wir gemeinsam auf dem grossen Bett lagen und an die Decke starrten, «du und Flavio wart ja ein Paar, oder?»

«Ja, das...das ist aber etwas kompliziert, und schon echt lange her,» erklärte ich und seufzte. Ich wollte eigentlich nicht über die Beziehung von mir und Flavio sprechen, das deprimierte mich bloss.

Ausserdem gab es nichts mehr zu bereden, das war alles gelaufen.

«Er hat dich mies behandelt? Soweit hab ich das mitbekommen, deiner Reaktion nach zu urteilen ist das wahr?»

«Mies behandelt wäre die Untertreibung des Jahrhunderts,» lachte ich höhnisch und blieb kurz ruhig. Ich musste jetzt gut darüber nachdenken, was ich preisgeben und was ich geheimhalten wollte. Ich war vorsichtiger damit geworden, wem ich was erzählte.

«Was genau meinst du?» wollte Jari genauer wissen. Er konnte es einfach nicht auf sich beruhen lassen, immer musste er nachhaken.

«Es ist nicht so als hätte er meinen Geburtstag vergessen oder keine Zeit für mich gehabt, was so in normalen Beziehungen die Probleme sind. Wir waren da etwas komplizierter. Er hat mich bedroht, mir physisch und psychisch wehgetan, mich verletzt. Er hat mir vorgelogen, dass er Fynn heisse und der Boss der Red Moons wäre, nicht jener der Anacondas. Er hat meinen Vater ins Gefängnis gebracht...»

«Wow,» flüsterte Jari leise, als ich eine Pause machte. Das hatte er ganz sicher nicht erwartet. Dass ich so offen mit ihm reden konnte überraschte mich selbst, aber gerade waren wir eh eingesperrt, da konnte ich ihm auch mein Herz ausschütten und mir alles von der Seele reden.

«Warte nur,» redete ich weiter, getraute mich aber beinahe nicht, es laut auszusprechen «das ist noch nicht das Schlimmste....Das Schlimmste und abartigste ist, dass er den Auftrag gegeben hat...meine Mutter zu töten.»

Jari schreckte auf, setzte sich aufrecht hin und sah mich mit grossen Augen an.

«Oh mein Gott! Das-Cierra, es tut mir leid.» Er hatte gerade die Sprache verloren, so verwirrt hatte ich Jari noch nie gesehen. Er war wahrscheinlich überfordert, genauso wie ich auch.

«Danke.» Ich sagte es aus Höflichkeit, nicht, weil es etwas brachte oder änderte. Meine Mutter war tot, so oder so. Ich brauchte kein Mitleid.

«Aber das ergibt keinen Sinn,» schlussfolgerte Jari und ich stutzte.

«Was meinst du genau?» hakte ich nach und drehte meinen Kopf in seine Richtung. Er sass noch immer, während ich lag. Das Bett war sehr bequem.

«Er hat dir all diese schrecklichen Dinge angetan...da frage ich mich bloss...nein, egal.» Er brach ab und schüttelte den Kopf, so, als ob er versuchen wollte, seine eigenen Gedanken mit etwas neuem zu überdecken. Mit etwas Besserem.

Meine Neugierde war damit geweckt: «Nein, bitte rede weiter. Ich will es wissen.»

Jari zögerte noch etwas, legte seinen Kopf in seinen Nacken und wartete einige Sekunden, bevor er sich wieder neben mich legte und mich ansah.

Seine Augen waren so dicht an den meinen, dass ich den Atem anhielt, um dem Moment nicht zu zerstören. Mein Herz raste und ich wurde nervös, weil es auf mich so wirkte, als versuchte er durch meine Augen meine Seele zu lesen.

Gangs 2 - Lost BoysWo Geschichten leben. Entdecke jetzt