Kapitel 37 *Happy Birthday to me*

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Am 05.Mai 2014 um 4.15 Uhr kroch das neue Alter lautlos unter meine Decke. 30 Jahre nach meinem ersten Atemzug, befinde ich mich nicht in der Zukunft, sondern in meinem Zimmer. Geburtstagskarten suggerieren uns, dass die 30 kein Grund zum Verzweifeln ist. Und man darf nun sogar offiziell auf die Partys gehen, auf die man nie wollte. Ü-30-Partys... das sind die, mit den schlechtesten Plakaten, von denen es hier bei uns einfach zu viele von gibt. Schon vor einem Jahr, als ich 29 wurde, begannen die Sprüche um den Tag, der da in einem Jahr sein wird und mein Mann erinnerte mich fast täglich schmerzhaft daran. Zu allem Überfluss, schmeißen Menschen zum 30.Geburtstag auch noch große Feste, zu denen die eigenen Eltern eingeladen werden und alle Drinks kostenfrei sind und obwohl die Gesellschaft es nahezu verlangt, hab ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Erfolglos wohlgemerkt. Zu meinem Leidwesen musste mein Mann das ganze auch noch, maßlos übertreiben! Ich war entsetzt als ich in unserem ganzen Garten haufenweise von Schildern mit der Aufschrift *Endlich 30* sah. Was war denn hier bitte endlich? Es flossen nicht nur meine stillen Tränen, sondern auch Wein und andere alkoholische Getränke im Überfluss an diesem Abend. Es gab Musik, Tanz und Unterhaltung für alle. Meine Eltern nahmen später Levi mit, damit wir am nächsten Tag die Möglichkeit hatten, uns auszuschlafen ohne gestört zu werden. Wie ich diesen Abend überlebt habe? Nun ja... immerhin waren auch Caro und Oli hier und ich entdeckte, das der Wein an diesem Abend, besonders gut schmeckte. Schlussendlich, musste ich mir eingestehen, auch wenn es diese Party nicht gegeben hätte, wäre ich trotzdem 30 geworden und somit war die Feier an sich, gar nicht einmal so schlecht gewesen.

In gewissem Sinne, scheint es sich also zu gehören, um seinen 30. Geburtstag mal etwas intensiver über das Leben nachzudenken. Mein Leben, ein Leben das komplizierte nicht sein könnte. 30 Jahre, bedeutet auch das ich in der Zwischenzeit so einiges in Erfahrung gebracht habe. Zum Beispiel das geniale Momente, sich nicht wiederholen lassen und Kussechter Lippenstift eine absolute Lüge ist. Erst klebt er am Whiskyglas, und wenn man sich wirklich mag, ist nach 90 Sekunden nichts mehr davon am Ort der Applizierung. Teurer Lippenstift steht somit für Großzügigkeit, denn er wird immer geteilt. Perfektion gibt es nicht und Zahnbürsten teilt man nicht. Das ist einfach nur ekelig. Partys, auf die man keine Lust hat, werden prinzipiell immer die besten. Und ganz wichtig, Blumen: Traditionen und Symbole warten darauf, verworfen zu werden. Dazu zählen traurige Schnittblumen, die von jemandem gehetzt am Bahnhof gekauft wurden, weil irgendeine dämliche Überlieferung besagt, Frauen würden sich über das Grünzeug freuen. Die wenigsten tun es, denn kaum etwas ist so einfallslos. Wenn dir etwas leid tut, fall auf die Knie und bitte um Verzeihung. "Austherapiert bist du auch nicht, oder?" brüllt die weibliche Hauptfigur von Fack ju Göhte ihrem Kollegen entgegen. Diesen Satz habe ich mindestens schon einmal über eine andere Person gedacht. In meiner Altersgruppe gehört psychologische Beratung so selbstverständlich dazu wie die Kontrolluntersuchung beim Zahnarzt. Depressionen kommen nun einmal häufiger vor als Beinbrüche und daher habe ich auch von Caro zu meinem 30ten, die Telefonnummer des Psychologen ihres Vertrauens bekommen. Sie meint, sich selbst besser zu verstehen, Wut und Trauer Raum zu geben ist wertvoller als ein Studienabschluss! Und wahrscheinlich hat sie damit mehr als recht, denn wenn ich so etwas nicht brauche... ja wer denn bitte dann? In diesem Jahr, besitze ich seit fünf Jahren keine Waage mehr. Umso irritierender war es für mich, als Max ganz plötzlich vor ein paar Monaten damit anfing, jeden Morgen auf seine Waage zu springen und mir euphorisch Kurven auf seinem iPad zeigte, das über Wi-Fi seinen Gewichtsverlust direkt aufnahm. Hey... nur um das mal klarzustellen: Mädchen in den Neunzigern haben noch Kalorientabellen in der Stadtbücherei ausgeliehen, auswendig gelernt und Kalorienbilanzen in Mathehefte notiert. Am Ende meiner eigenen Quantified-Self-Bewegung hatte ich keine Brüste mehr. Und das wichtigste zum Schluss: Etwas aus Spaß zu tun, ist Grund genug!!

Als ich jünger war, fand ich 30 Jahre unglaublich alt und dachte eigentlich immer, das man mit dieser Zahl wahnsinnig erwachsen ist. Ist aber nicht so... momentan befinde ich mich ganz offensichtlich in einer spätpubertierenden Phase. Ich kann nicht erwachsen werden, wenn ich zugleich alles dafür mache, jung zu bleiben. Erwachsen werden bedeutet nämlich, Dinge loszulassen anstatt eine Lebensphase, die man schon sehr gut kennt, immer wieder zu verlängern. Es bedeutet, dass man aufhört, mit der Vergangenheit zu hadern, und sich damit anfreundet, dass wir nicht planen können was passiert und genau hier, stecke ich fest. Andere heiraten, bekommen Kinder, finden Samstagskater unklug und Ikea wird zum Inbegriff der Hässlichkeit. Sie machen sich Gedanken über das Leben und stellen sich die großen Fragen. Auf mich trifft nur letzteres zu und das genügt mir vollkommen.

Runde Geburtstage sind immer eine große Sache, außer vielleicht der zehnte. Der war irgendwie keine große Veränderung. Da waren noch 12, 16 oder 18 Jahre viel viel wichtiger. Als ich vor zehn Jahren 20 Jahre alt geworden bin, war ich wahnsinnig melancholisch. Ich hatte gerade Matura gemacht und plötzlich das Gefühl, erwachsen sein zu dürfen. Ab jetzt dürfte ich entscheiden, was ich studieren will, wenn ich die Uni besuchen würde, oder was ich arbeiten wollte, oder mit wem ich zusammen wohne. Zehn Jahre später, also heute... ist das Gefühl, was mich zu den Gedanken treibt, ein anderes. Es ist der Eindruck, nun erwachsen sein zu müssen. Ich müsste eigentlich funktionieren und sollte superglücklich und vor allem zufrieden dabei sein. Immerhin habe ich mit 30 so einiges erreicht, wovon andere nur träumen können. Ich habe einen wundervollen Sohn, bin erfolgreich in meinem Beruf, habe ein tolles Haus, einen Mann... naja, lassen wir das mal mit dem Mann außen vor! Ich habe eine grandiose Familie und liebe Freunde. Und doch zeigt genau das etwas, was mich an manchen Tagen um den Verstand bringt. Es gab definitiv etwas, oder besser gesagt, jemanden, den ich an diesen Tag, mehr als nur vermisst habe! In einer kurzen Mail schrieb er: "Don't panic! Keep Calm. Age is just a number, darling. So, whisper a wish to a butterfly. It will fly up to heaven and mayby, make it come true..." Ja, wenn das nur alles so einfach wäre mit den Wünschen. Ich hatte nur einen einzigen, und der würde für mich einfach nie in Erfüllung gehen, weil ich selbst, es nicht zulassen konnte.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, die ich vielleicht mit 20 noch nicht so hatte: One of the happiest moments in life is, when you find the courage to let go of what you can't change... so, Happy 30' Birthday to me.

Forever yours / Samu Haber FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt