Kapitel 1

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Juni 2031

Allys Sicht:

Erschöpft von der Arbeit komme ich nach Hause. Aber wenn ich davon ausgehe, dass ich mich Zuhause entspannen kann, dann kenne ich meine eigene Familie nicht. Kaum habe ich die Tür geöffnet und trete ein, höre ich Hannah und Marah auch schon streiten. Ich verdrehe die Augen und ziehe meine Schuhe aus. Statt nach oben zu gehen und die zwei streitenden Hühner zu trennen, gehe ich in die Küche, wo Marco am Herd steht und irgendwas kocht, was verdammte lecker riecht. "Hey, mein Schatz." lächelt er und küsst mich. "Hey." lächle ich zurück. "Wieso streiten sie?" "Keine Ahnung. Ich glaube es geht ums Tanzen." "Schon wieder?" Er nickt und verdreht die Augen. Hannah und Marah sind sehr unterschiedlich. Während Hannah reitet und Ballett tanzt, spielt Marah Fußball und Tanz so gut wie alles, was "cool" ist. Hip Hop, Breakdance, Dupstep Dance. Ich habe aufgehört zu zählen. Die eine ist die Coole und die andere die Zicke. Naja, eigentlich sind sie alle beide die größten Zicken, die ich kenne. Aber eigentlich halten sie auch immer zusammen. Eigentlich. "Wo ist Lenni?" "Keine Ahnung. Er sollte er vor einer Stunde zuhause sein." Ich schnaube. "Als ob er sich daran hält." Marco presst die Lippen aufeinander und sieht auf die Uhr. "Wenn er so viel zu spät kommt, hat er wieder was ausgefressen." Ich nicke wissend. "Ich gehe den Streit da oben mal schlichten. Das hält ja keiner aus." Marco nickt und geht nach draußen, um ein paar Kräuter von unserem kleinen Kräuterbeet zu holen, das wir schon vor Jahren auf dem Hof angelegt haben. Ich gehe schnell die Treppe nach oben und atme noch einmal tief durch. "Was ist denn hier schon wieder los?" frage ich seufzend. Hannah und Marah werden ruhig und sehen mich erschrocken an. Dann fassen sie sich wieder und reden wild durcheinander, sodass ich nicht ein einziges Wort verstehen kann. "Ruhe!" rufe ich dazwischen und sofort ist es ruhig. "So, und jetzt will ich, dass mir einer von euch beiden erzählt, was hier los ist." "Marah hat ihre dreckigen Sachen vom Fußball auf meine Sachen gelegt, die ich morgen fürs Tanzen brauche. Jetzt sind sie ganz dreckig und Frau Drews schimpft dann wieder." Ich seufze. "Das ist doch aber kein Grund hier so laut zu zanken, oder? Gib mir mal deine Sachen, Hannah, ich wasche sie und morgen hast du sie für deine Aufführung frisch gewaschen wieder." Hannah nickt und gibt mir ihre Sachen. "Und wieso hast du deine dreckigen Sachen auf die sauberen gelegt?" Marah zuckt mich den Schultern. "Entschuldige dich bitte bei deiner Schwester. Ihr wisst ganz genau, dass ich es hasse, wenn ihr euch streitet." Beide nicken mit gesenktem Blick. "Na los. Drücken!" Sie kichern und drücken sich schnell. "Gut. Und jetzt ab nach unten mit euch, Papa hat das Abendessen fast fertig." "Okay." rufen sie beide gleichzeitig und laufen nach unten. Ich lächle ihnen hinterher und gehe dann mit den dreckigen Sachen nach unten in den Hauswirtschaftsraum, wo ich sie in die Waschmaschine schmeiße und diese an mache. Plötzlich fliegt die Tür auf und mein Sohn feuert seine Schuhe in die Ecke, ehe er, mit Kopfhörern in den Ohren und Schultasche auf dem Rücken, einfach weiter in den Flur geht und dann nach oben, ohne mich auch nur ein Stück zu beachten. Ich presse verärgert die Lippen aufeinander und starre seine Schuhe an. Das gibt es doch nicht. Ich gehe in die Küche und setze mich an den Tisch. "Beruhige dich, Ally. Ich rede später mit Lenni." Ich seufze laut. "Na schön."

Nach dem Abendessen laufen die Mädels kichernd hoch in ihre Zimmer, während Marco und ich die Küche aufräumen. "Was glaubst, was er diesmal ausgefressen?" frage ich Marco. Er sieht mich an und überlegt. "Keine Ahnung. Schlechte Note, wieder geprügelt, Stress mit seinen Weibern." "Du könntest ihm echt mal sagen, dass er aufhören soll mit jedem Mädchen zu schlafen, das ihm vom Aussehen her auch nur annähernd gefällt." Marco versucht sich sein Lachen zu verkneifen, scheitert aber kläglich. "Ich habe dadurch meine große Liebe gefunden." "Nein, du hast dadurch ein armes Mädchen geschwängert, das heute mit ihrem Rotzbengel von Sohn nur Probleme hat." lache ich. Marco sieht mich schmollend an. "Okay, Na schön. Deine große Liebe hast du dadurch auch gefunden. Lerne ich die eigentlich auch irgendwann kennen?" "Sag mal, sitzt dir heute der Schalk im Nacken, oder was?" Ich kichere vor mich hin und schließe den Geschirrspüler. "Okay, ich werde jetzt mit unserem Problemkind reden." "Ich dachte, dass ich das machen soll?" Ich schüttle den Kopf. "Ich mache es. Sieh du mal zu, dass du uns 'ne Flasche Wein auf machst." lächle ich und küsse ihn, ehe ich mich auf den Weg nach oben mache. Vorsichtig klopfe ich an Lennis Zimmertür und öffne sie. "Lenni? Darf ich rein kommen?" "Bist doch schon drinnen." murmelt er und bedenkt mich mit einem vielsagenden Blick. "Pass mal auf, wie du mit mir redest, Stinker. Du kannst auch draußen unter dem Carport schlafen." Seine mundwinkel zucken und er schmunzelt mich an. "Na also. Und jetzt erzählst du mir, was los ist." Ich gehe zu ihm und setze mich an seine Bettkante. "Hattest du schon mal das Gefühl nicht dazu zu gehören?" "Aber natürlich." nicke ich. "Echt?" "Ja, Lenni. Wie du weißt, habe ich eine Weile auf der Straße gelebt. Die Leute haben mich angewidert angeschaut und mir missbilligende Blicke zugeworfen, als sie auch noch sahen, dass ich schwanger war. Und als ich dann in meiner neuen Schule war, da habe ich mich mit den Mädchen aus meiner Klasse angefreundet, die mich eine Weile später wie Dreck behandelt haben und mich ausgeschlossen haben. Ich hätte mich verstellen müssen, um zu ihnen zu gehören, aber das wollte ich nicht." Er nickt und rutscht etwas zur Seite, ehe er seine Decke anhebt und ich lächelnd zu ihm unter die Decke schlüpfe. "Wieso fragst du mich das? Hast du denn das Gefühl nicht dazu zu gehören? Ich hatte immer den Eindruck, dass du eher der jenige bist, der das Sagen hat." Er seufzt. "Ist ja irgendwie auch so. Es geht auch nicht um mich, sondern um das Mädchen, dass vor zwei Tagen neu in unsere Klasse kam." "Davon hast du gar nichts erzählt." sage ich überrascht. "Ja, ich weiß. Und zwar weil sie mich kein Stück interessiert hat. Aber in den Hofpausen lehnt sie immer ganz alleine an der Wand vom Schulgebäude und sieht öfter mal zu uns rüber. Das ist irgendwie voll komisch. Und heute bin ich dann einfach länger an der Schule geblieben, um sie abzufangen, weil sie heute noch irgendeinen Kurs hatte. Jedenfalls habe ich sie dann halt gefragt wieso sie immer alleine dort steht und nicht zu uns kommt und so was. Sie hat mich dann nur ganz erschrocken mit großen Augen angeguckt und ist dann auf einmal weggelaufen. Weggelaufen, Mom. Einfach so!" "Vielleicht hast du sie ein wenig eingeschüchtert. Wenn sie erst drei Tagen bei euch ist, dann ist sie vielleicht einfach noch unsicher. Du solltest noch einmal mit ihr reden." "Meinst du?" Ich nicke. Er stöhnt frustriert und fährt sich mit der Hand über sein Gesicht. "Ich bin dann jedenfalls zum Training gegangen und hab wie bescheuert die Bälle aufs Tor gedroschen. Keine Ahnung warum, aber dass sie weggelaufen ist, hat mich total wütend gemacht. "Weil du es gewohnt bist, dass die Mädchen dir zu Füßen liegen und dir aus der Hand fressen. Es kränkt dich, dass es bei ihr nicht so ist." Er sieht mich mit hochgezogener Augenbraue an. "Guck nicht so. Du weißt ganz genau, dass ich recht habe. Ich habe immer recht." Er lacht auf. "Hey! Wenn du jetzt auch noch frech wirst, dann kannst du wirklich draußen unter dem Carport schlafen. Und zwar ohne Bett. Ich lege dir ein paar Zeitungen hin." Lenni lacht laut auf. "Ich meine das durchaus ernst, Freundchen." Er grinst mich doof an. "Bedeutet dir das Mädchen denn etwas?" Er runzelt die Stirn. "Keine Ahnung. Nicht mehr, als andere Mädchen, schätze ich." Ich seufze. "Wenn du möchtest, dass sie Gefallen an dir findet und dass sie dir zuhört, dann schnapp dir deine Gitarre und singe ihr etwas vor. Du hast nämlich genauso eine schöne Stimme, wie deine Mutter." Ich wackle vielsagenden mit den Augenbrauen. Er lacht auf. "Danke, Mom, ich hab dich lieb." "Ich dich auch, mein großer Stinker." Ich nehme ihn in den Arm und drücke ihm einen Kuss auf seinen hübschen Dickschädel.

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