Kapitel 17

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Allys Sicht:

Gähnend bepacke ich alle Brotdosen und schließe sie, als sie voll sind. Ich mache das gerne für meine vier hübschen, aber ich bin heute so unglaublich müde. Ich bin ernsthaft am überlegen, ob ich mir von Marco heute einen Kaffee für die Arbeit machen lasse anstatt einen Tee. Aber er macht mir seit Jahren jeden Morgen Tee. Ich kann mir in der Schule im Lehrerzimmer einfach einen Kaffee kochen, falls ich zu müde bin. "Schatz? Ist alles okay mit dir?" fragt Marco besorgt. Ich sehe zu ihm hoch und nicke lächelnd. Noch ehe ich etwas sagen kann, poltert Lenni die Treppe hinunter und kommt in die Küche gerannt. "Oh man! Ich habe so Hunger. Suppe zum Abendessen ist Mist." Ich verdrehe die Augen und schiebe ihm seine Brotdose hin. "Danke." murmelt er mit vollem Mund, da er sich seine Kornflakes in den Mund schaufelt. "Lenni." seufze ich angeekelt. Er grinst schief und isst weiter. "Willst du heute mit uns mit?" fragt Marco ihn. Lenni schüttelt den Kopf. "Ich will nach der Schule noch wo hin. Aber könnt ihr meine Gitarre mitnehmen?" Ich sehe Lenni fragend an. "Naja, ich kann nicht Rucksack und Gitarre gleichzeitig tragen beim Fahrrad fahren. Kannst du die in dein Büro stellen und nach der 6. Stunde komme ich und tausche Rucksack gegen Gitarre?" "Ach so meinst du das." lache ich und füge noch "Natürlich nehmen wir deine Gitarre mit.", hinzu. Er bedankt sich lächelnd und steht dann auf. "Ich fahre dann mal los." Marco und ich nicken und schon ist Lenni weg. "So, Mädels, ab zum Auto.", lächelt Marco die Mädchen an. Sie nicken und gehen mit ihren Schultaschen nach draußen zum Auto. "So, und du auch ab ins Auto.", grinst er mich an und schiebt mich nach draußen. Er hebt mich ins Auto und anschließend packt er meinen Rollstuhl in den Kofferraum.

Nachdem wir die Mädchen zur Schule gebracht haben, hat Marco mich an der Schule abgesetzt und mir in meinen Rollstuhl geholfen. Ich hasse das Teil. "Schreibst du mir, wenn ich dich abholen soll?" Ich nicke und küsse ihn. "Bis später." Er küsst mich noch einmal und dann steigt er zurück ins Auto, da er selber ja auch zur Arbeit muss. Ich winke ihm noch kurz und dann begebe ich mich nach drinnen. Zum Glück gibt es hier noch ein paar nette und hilfsbereite Schüler, die mir die Tür aufhalten und mir auch die Tür zum Büro öffnen.

In meinem Büro stelle ich Lennis Gitarre ab, fahre den PC hoch und sehe in meinem Kalender nach, was heute ansteht. Eigentlich nichts weiter besonderes. Aber ich habe mir vorgenommen, dass ich mir Kat suche und versuche mit ihr zu reden. Aber noch bevor ich den Gedanken zu Ende bringen kann, klopft es an der Tür und Herr Braun steckt seinen Kopf hinein. "Haben Sie kurz Zeit für mich, Frau Reus?", "Aber natürlich, Herr Braun, für Sie doch immer.", lächle ich. Er lacht und setzt sich mir gegenüber in den Sessel. "Wie kann ich Ihnen helfen?" Er seufzt und lehnt sich zurück. Wir haben kurz vor den Sommerferien eine neue Schülerin bekommen. Katniss ist ihr Name." Ich nicke sofort. "Ich habe von dem Mädchen gehört. Sie war für kurze Zeit die Freundin meines Sohnes.", "Super! Dann haben Sie doch bestimmt eine Ahnung, was mit dem Mädchen los ist?" Ich schüttle traurig den Kopf. "Lennard hat am Montag die Beziehung mit ihr beendet, weil sie ihn komplett ignoriert hat und er glaubt, dass sie ihn betrogen hat mit Jack." Herr Braun lacht leise. "Betrogen. Die Kinder sind 16 Jahre alt und tun so, als hätten sie eine jahrelange Ehe hinter sich, weil ein Ehepartner untreu war." Ich muss ebenfalls kurz schmunzeln. "Jedenfalls habe ich im Lehrerzimmer das eine oder andere Gespräch mitbekommen, in dem es um Katniss ging. Offenbar hat sie sich stark geändert und scheint ganz offensichtlich starke Probleme zu haben. Würden Sie bitte versuchen mit dem Mädchen zu reden? Ich denke, dass sie wirklich ein Problem hat, über das sie reden muss." Ich nicke sofort. "Mein Sohn hat mich auch schon darum gebeten. Ich werde es natürlich tun. Ich mache mir auch so meine Sorgen." Herr Braun nickt und will etwas sagen, doch er wird durch ein Klopfen unterbrochen. Die Tür geht auf und ein Mädchen steckt ihren Kopf hinein. "Hallo. Haben Sie kurz Zeit?" Herr Braun springt auf und nickt mir zu. "Dann auf Wiedersehen, Frau Reus.", lächelt er mich an und verlässt schnell mein Büro. "Komm rein." lächle ich das Mädchen an. "Verrätst du mir deinen Namen?", frage ich sie. Ich habe zwar durch Herr Brauns Reaktion eine Ahnung, aber ich frage sie lieber. "Mein Name ist Katniss.", sagt sie leise und hält ihren Kopf gesenkt. Ich lag richtig. Das ist also Katniss. Das Mädchen, das meinem kleine Lenni den Kopf verdreht hat. "Wie kann ich dir helfen?", lächle ich sie an. "Sie sind ja Schulsozialarbeiterin, oder?" Ich nicke freundlich lächelnd. "Und ich kann mit Ihnen über meine Probleme reden, oder?", "Ja, Katniss, das kannst du." Sie nickt und hebt endlich ihren Blick. Sie sieht schrecklich aus. Ganz blass, tiefe, dunkele Augenringe. "Und Sie werden es niemandem erzählen?" Sie ist verunsichert. Das arme Mädchen muss etwas schlimmes durchgemacht haben. Sie erinnert mich an ein Mädchen, dass ich sehr gut kenne. Die kleine Ally, die auf der Straße gelebt hat und um ihr Leben und das Leben ihres Babys gekämpft hat. So sah ich damals auch aus. Müde, kaputt, krank, von allen Kräften verlassen, unglücklich. "Niemand wird etwas erfahren. Das, was wir beide hier bereden, wird den Raum niemals verlassen. Es bleibt unter uns.", versichere ich ihr. Sie nickt noch einmal und dann schiebt sie die Ärmel ihres dicken Pullovers hoch. Zum Vorschein kommen ihre nackten Arme, die komplett übersäht sind mit Narben. Frische Schnitte und schon ältere verkrustete. Oh mein Gott. Das Mädchen ritzt sich! "Meine Beine sehen auch so aus.", zuckt sie mit den Schultern. "Ach herrje, Mädchen! Das kannst du doch nicht machen. Du hast großes Glück, dass du noch keine Blutvergiftung hast.", "Ich säubere meine Klinge immer mit reinem Alkohol. Den habe ich von der Heimleiterin geklaut.", erklärt sie mir leise. "Und wieso machst du das? Hat das einen Grund?" Sie nickt. "Willst du ihn mir nennen?" Sie zuckt mit den Schultern. "Ich denke schon. Ich weiß nicht.", "Wieso bist du dir unsicher?" Sie senkt wieder den Blick und schaut auf ihre Hände. "Jack, der Junge aus meiner Klasse.", beginnt sie leise. Also hat es wirklich mit ihm zu tun. "Er hat mit mir geschlafen. Zwei haben mich festgehalten, Jack hat mit mir geschlafen und einer hat es gefilmt." Ich lege mir die Hand vor den Mund. Um Gottes Willen! Und so etwas an unserer Schule! Ich muss die Polizei informieren. Und zwar sofort! "Katniss, das müssen wir der Polizei sagen." Sie schüttelt panisch den Kopf und beginnt zu weinen. "Wieso nicht?", frage ich traurig nach. "Ich habe Angst, dass dann das Video an die Öffentlichkeit kommt.", schluchzt sie und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. "Weißt du wer die anderen drei Jungs sind?" Sie nickt und nennt mir langsam die Namen. Alles Jungs dieser Schule. "Okay, ich benachrichtige jetzt die Polizei. Ich sorge dafür, dass die vier hier festgenommen werden und dass sie nicht die Möglichkeit bekommen, dieses Video zu veröffentlichen, okay?", "Geht das denn?" Ich nicke. Sie überlegt und scheint mich sich zu ringen, ob sie das Risiko eingehen soll. Aber ich kann das unmöglich für mich behalten. Ich muss es der Polizei sagen! Das ist in solch einem Fall meine Pflicht! "Okay.", sagt Katniss leise und ich atme erleichtert auf. "Okay, Katniss. Du bleibst schön hier in meinem Büro. Ich werde jetzt dafür sorgen, dass du wieder normal leben kannst. Und ich weiß auch, wer dir dabei helfen kann." Sie sieht mich fragend an. "Möchtest du, dass ich Lenni hierher hole? Er wird für dich da sein." Sie sieht mich mit großen Augen an, und dann nickt sie. Ich lächle. "Alles wird gut, Katniss. Ich rücke dein Leben wieder gerade.", sage ich entschlossen und nehme das Telefon in die Hand.

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