Family is forever

Kapitel 39

Marahs Sicht:

"Du bist spät dran, Schatz.", seufzt Mama und streichelt mir über den Kopf. Ich nicke und schaufle den letzten Löffel Müsli in meinen Mund, um anschließend aufzuspringen und in den Hauswirtschaftsraum zu rennen, wo ich mir meine Vans anziehe und mir mein Longboard schnappe. Ich hasse Montage. Zumal das Wochenende auch nicht so prickelnd war. Samstag morgen wurde ich morgens mit meinem tollen Spitznamen begrüßt von diesen ätzenden Tussen und der Abend mit Toni ist auch eskaliert. Seine Freundin war auch im Kino mit ihren Freundinnen und dann sind Toni und ich dort aufgekreuzt. Sie hat ihm eine Szene gemacht. Klar, sie dachte, dass er fremdgeht. Aber mit mir sicher nicht und das habe ich ihr auch gesagt. Allerdings hat sie mich als Hure beleidigt und ist abgedampft. Tja, shit happens, würde ich sagen. Hannah, Elliot und Leo werden von Dad zur Schule gefahren. Wurde ich auch immer aber irgendwann habe ich angefangen Longboard zu fahren und seitdem lasse ich mich nur von Papa bringen, wenn es draußen arschkalt ist oder es Mistforken regnet. In der Schule angekommen fahre ich langsam durch den Flur in Richtung des Raumes, in dem ich jetzt Unterricht haben werde. "Reus! Runter vom Board und hoch mit den Rädern!", ruft irgendeiner der Lehrer ich bleibe stehen und hebe es über meinen Kopf. "So?", "Perfekt!", ruft Herr Behren und schmunzelt. Ich gehe um die Ecke und als er mich nicht mehr sieht, berühren die Räder wieder den Boden und meine Füße das Board. Vor dem Raum nehme ich es wieder hoch und gehe langsam in den Raum, in dem bereits alle anwesend sind und laut durcheinander reden. Mein Blick schweift nach hinten zu Dale, der auf seinem Platz und mich mit zusammengekniffenen Augen ansieht. Hannah hat recht. Er sieht mich nicht an, als würde er verliebt sein. Weshalb also soll er auf mich stehen sollen? Wahrscheinlich ist ihm einfach aufgefallen, dass ich ja die bin, die auch in seiner Mannschaft spielt. Seit zehn Jahren. Er starrt mich mit seinen grünen Augen an. Und ich sehe mit meinen grünen Augen schnell weg. An ihm verbrennen sich Mädchen wie ich die Finger. Alle Mädchen dieser Schule stehen auf ihn. Und gefühlt die Hälfte war schon mit ihm im Bett. Aus dieser Klasse hat er auch schon mit allen Mädchen geschlafen. Alle, bis auf zwei. Und das sind Hannah und ich. Wir sind aber auch nur sechs Mädchen. Fünf davon sind unglaublich beliebt. Und eine ist das Opfer hoch zehn. Und das bin ich. Ich bin tollpatschig und deswegen passiert mir eigentlich so gut wie jeden Tag etwas, was alle zum lachen bringt. Und abgesehen davon, dass Dale viele Mädchen verführt, ist er auch noch gefährlich. Nicht, weil er mich damals beim Fußball immer gefoult hat, sondern weil er wirklich gefährlich ist. Ich weiß nicht genau, was er macht. Aber ich weiß, dass er kriminell ist und in irgendeiner Gang ist, die hier in Dortmund sein Unwesen treibt. Drogen, Gewalt, alles was dazu gehört. Ich kenne mich da nicht aus. Man redet eben eine Menge. Dale ist tätowiert und hat diesen typischen bösen Badboy-Blick. Aber er spielt auch verdammt gut Fußball. Man könnte sagen, dass er und ich die besten oder stärksten in der Mannschaft sind. "Ruhe bitte!", ruft Frau Trimm und stellt ihre Tasche vorne ab. Alle setzen sich auf ihre Plätze und geben einigermaßen Ruhe. "Ich teile euch in Gruppen ein und dann will ich, dass ihr über die verschiedenen Charaktere sprecht, die im Buch vorkommen. Ich hoffe also, dass ihr alle das Buch gelesen habt, sonst habt ihr jetzt ein Problem." Ich seufze. Das Buch war scheiße. "Hannah, Isabell, Paul und Henry, ihr seid Gruppe eins. Max, Vanessa, Leon und William, ihr seid Gruppe zwei. Liza, Mike, Oliver und Tom, ihr seid Gruppe drei. Jenny, Marah, Dale und Georg, ihr seid Gruppe vier." Ich kneife die Augen zusammen. Ist das ihr Ernst? Der Stuhl neben mir wird zurück gezogen und Georg setzt sich da hin. Er ist in Ordnung. Er gehört zu den ruhigen Strebern, die ganz vorne sitzen. Wenigstens einer, bei dem ich Hoffnung habe, dass er das Buch auch gelesen hat. Dale schiebt einen zweiten Tisch an meinen und setzt sich dann direkt mir gegenüber. Neben ihm sitzt Jenny und himmelt ihn an. Wie immer. Sie muss aufpassen, dass sie nicht gleich ausläuft. Dale hingegen hat sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und starrt mich mit vor der Brust verschränkten Armen an. "Okay.", murmle ich leise. "Habt ihr es gelesen?" Jenny schnaubt. "Sehe ich so aus?" Ich schüttle den Kopf und sehe runter auf meinen Zettel. Dale sagt gar nichts und Georg neben mir murmelt, dass er es gelesen hat. "Okay. Also ich finde, dass Lotte ein sehr liebes Mädchen ist. Sie ist nett, freundlich und-", "Ich finde, dass sie dumm ist." Ich sehe zu Dale, der mich immer noch anstarrt. "Dumm?", frage ich leise. Er nickt. "Der Typ will sie, küsst sie sogar. Und was macht sie? Sie bleibt bei ihrem schnöseligen Albert. Werther erschießt sich sogar, weil sie Albert geheiratet hat und bei ihm geblieben ist." Ich lege den Kopf schief. Er hat es tatsächlich gelesen? "Sie hat ihrer Mutter am Sterbebett versprochen, Albert zu heiraten.", "Na und? Was ist das für eine behinderte Mutter, wenn sie es ihr übel nimmt, wenn Lotte einen anderen heiratet? Außerdem kriegt die das doch eh nicht. Die ist schließlich tot." Ich senke den Blick. "Sie hat aber nie gesagt, dass sie Werther liebt. Du kannst also gar nicht sagen, dass sie dumm ist. Du weißt ja nicht, was Albert alles für sie getan hat.", "Hätte sie den Werther genommen, hätte der sich nicht umgebracht. So einfach ist das. Sie ist dumm, und dabei bleibe ich.", "Vielleicht liebt sie aber Albert. In dem Fall ist ihre Entscheidung richtig gewesen." Dale nickt. "Du hast recht, sie hat nie gesagt, wen sie wirklich aufrichtig liebt." Nun nicke ich. Diese Diskussion führt zu nichts. Sie ist sinnlos. Ich sehe wieder zu Dale. Er steckt voller Überraschungen. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er das Buch liest. "Wieso liest du so eine Scheiße?", lacht Jenny ihn an. Dale sieht sie desinteressiert an, dann sieht er wieder zu mir. Und ich habe das Gefühl, dass etwas anders ist als sonst.