Kapitel 44

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Andre (Sorry, aber im Moment schreibe ich einfach extrem gerne aus seiner Sicht)

Jans Eltern haben für alle Gäste einen Tisch im Schwarzen Adler reserviert. Vom Friedhof aus sind es nur zehn Minuten Fußweg bis dorthin. Die Gruppe aus schwarz gekleideten, sich leise unterhaltenden Menschen schlängelt sich durch die Straßen Stadthagens, es beginnt bereits leicht zu dämmern. Ich und Jan laufen ganz hinten. Hier sind wir am besten vor den Blicken der anderen geschützt. Wir gehen dicht nebeneinander und ab und zu berühren sich unsere Hände für einen kurzen Augenblick. Es fühlt sich gut an, aber ich weiß nicht, ob er ebenso empfindet.

Er wirkt in sich gekehrt, wie er nachdenklich und mit gesenktem Blick neben mir hergeht. Verstohlen mustere ich ihn, sein Profil. Obwohl sein Gesichtsausdruck traurig ist, sieht er gut aus. Die blonden Haare, der helle Bart, die dunklen Lippen und was ich am meisten an ihm mag: seine blauen Augen. Eine Hand hat er in seiner Hosentasche seines Anzugs vergraben. Bevor es zu auffällig wird oder ich in jemanden hineinlaufe, reiße ich mich von seinem Anblick los und betrachte stattdessen den Boden vor meinen Füßen, ein wesentlich weniger aufregender Anblick. Endlich erreichen wir den Gasthof. Der Weg war nicht lang, aber mir kam es trotzdem wie eine Ewigkeit vor. Ich bin eben kein besonders geduldiger Mensch. Ich steure den Speisesaal an, doch Jan zieht mich von den übrigen fort in Richtung Herrentoilette.

Natürlich kann ich mir einen entsprechenden Kommentar nicht verkneifen, dass doch nur Frauen zu zweit aufs Klo gehen. Er schließt die Tür hinter uns und deutet auf meinen Hals.

„Das kann man doch echt nicht so lassen!", stellt er entrüstet fest.

Ich sehe ihn verwundert an. Prompt verdreht er die Augen.

„Deine Krawatte!" Ich schaue an mir herunter, kann sie aber natürlich nicht erspähen, weil sie viel zu weit oben sitzt. Vielleicht hat Jans Tante uns oder wohl eher mich deswegen so angestarrt. Mit einem Seufzen macht Jan sich daran zu schaffen, löst zunächst mein sorgsam fabriziertes Wirrwa aus den verschiedensten Knotentechniken, wozu er eine ganze Weile braucht.

Als er es endlich geschafft hat, beginnt er mit geschickten Fingern, einen richtigen Krawattenknoten zu binden. Ich verfolge seine Griffe aufmerksam, aber schon nach wenigen Sekunden muss ich mir eingestehen, dass ich mir das wohl nie merken kann. Also sehe ich erneut in sein Gesicht. Seine Stirn ist leicht gerunzelt, er arbeitet schnell und konzentriert. Selbst dieser leichte Ausdruck von Anspannung steht ihm. Ok, langsam übertreibe ich es mit meinen Schmachtereien. Jan scheint davon ja zum Glück nichts mitzubekommen, denn er macht einfach weiter und zieht in Windeseile den fertig Knoten fest.

„Bitteschön, Herr Schiebler!" Er tritt einen Schritt zurück und betrachtet zufrieden sein Werk. Ich habe wieder das Bedürfnis, ihn zu umarmen, werde aber von meinem Vorhaben abgelenkt, da ein Mann den Raum betritt. Soweit ich weiß, ist es Jans Onkel. Seine ebenfalls blauen Augen kleben wie Kaugummi an uns, woraufhin ich und Jan uns einen schnellen Blick zu werfen und jeder in eine Kabine verschwindet. Mir ist aufgefallen, dass fast alle aus Jans Familie blaue Augen haben, jedoch in ganz unterschiedlichen Nuancen. Jans Onkel besitzt ein wässriges, helles Blau, genau wie Jans Mutter. Die Augen seiner Schwester und seiner Cousins sind ein wenig dunkler. Aber die schönste Farbe haben eindeutig seine Augen. Ein leuchtendes, tiefes Meerblau, wenn er mich ansieht. Ein eher mattes Blau-Grau, wenn er traurig ist oder krank. Und ein eher dunkles, geheimnisvolles Blau, wenn er wütend oder aufgeregt ist.

Das Rauschen der Spülung aus der Kabine nebenan holt mich aus meinem kleinen Tagtraum zurück. Ich bin selbst über mich verwundert. Eigentlich passiert mir so was selten. Ich lebe immer im hier und jetzt und lasse mich nie zu irgendwelchen Träumereien verleiten. Diese waren zudem noch mehr als kitschig. Zu meinem Glück weiß niemand etwas davon außer ich. Ich hoffe mal, dass ich in Gedanken versunken nicht laut geseufzt habe oder so. Das wäre dann nämlich ziemlich peinlich, besonders auf dem Klo.

Ich höre, wie draußen das Wasser rauscht und die Tür schließlich auf und wieder zu geht. Schnell entriegele ich die Kabine. Jan steht an einem der Waschbecken, richtet seine Haare und scheint auf mich zu warten. Sein Onkel ist verschwunden. Wurde auch Zeit. Langsam trete ich an ihn heran und schlinge von hinten meine Hände um seinen Bauch. Er unterbricht seine Tätigkeit und streicht mit seinen schlanken Finger sanft über meine. Ich ziehe ihn näher zu mir, daraufhin lehnt er sich ein wenig zurück und legt seinen Kopf in den Nacken, sodass er meine Brust berührt. Ich wiederum lasse mein Kinn auf seine Schulter sinken und betrachte unser beider Spiegelbild. Zum ersten Mal fällt mir auf, wie gut wir zusammen passen. Anscheinend hat er das auch bemerkt, denn sein Blick begegnet meinem im Spiegel und automatisch lächeln wir uns an. Ich vergrabe mein Gesicht seitlich an seinem Hals, atme seinen Duft tief ein und hauche einen Kuss auf die warme Haut unter meinen Lippen.

„Danke", flüstert er leise.

„Wofür?", murmele ich noch immer dicht an seinem Ohr.

„Dass du gekommen bist..."

Auf einmal habe ich einen dicken Kloß im Hals. Ich löse mich rasch von ihm. „Dafür brauchst du mir nicht zu danken..." Meine Stimme klingt belegt und dumpf. Ich weiß, dass es ihm auch aufgefallen ist.

„Hab ich was Falsches gesagt?" Ich weiche seinem Blick aus.

„Nein." Ich reibe mit meinem Schuh über die hellen Fließen am Boden. „Wir sollten jetzt zurück zu den anderen gehen, denke ich..." Mit diesen Worten drehe ich mich entschlossen um und öffne die Tür zum Restaurant.


 

Tadaaa, ein neues Kapitel... Hattet ihr Spaß beim Lesen? :D Hoffe ihr seid gespannt, wies weiter geht. :*



 

Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt