Kapitel 45

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Jan (endlich mal wieder :))

Ich bin echt froh, dass er hier ist. Im Augenblick brauche ich ihn sehr dringend an meiner Seite. Es kommt mir mittlerweile zwar ziemlich lächerlich vor, wie ich mich verhalten habe, als er in Berlin war, doch ich schiebe es auf den Schock wegen dem Tod meiner Oma.

Aber es stimmt nicht, dass weiß ich genau. Natürlich hat mich das stark mitgenommen. Trotzdem empfinde ich schon wieder eine unglaubliche Sehnsucht nach Andre, obwohl er sich im gleichen Haus befindet, eine Etage unter mir im Gästezimmer, um genau zu sein. Ob er sich auch so einsam fühlt? Höchstwahrscheinlich nicht. Andre hat in seinem Leben oft genug erfahren, was es heißt, auf sich alleine gestellt zu sein. Er war viele Nächte lang ohne jemanden an seiner Seite, der auf ihn aufpasst und ihn beschützt. Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wie hat er das nur ausgehalten? Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn meine Mutter mich zurückgelassen und mein Vater mich vor die Tür gesetzt hätte. Das muss sehr hart für ihn gewesen sein. Dadurch hat er sich angeeignet, seine Gefühle und Gedanken vor anderen zu verbergen, sogar vor seinen besten Freunden. Ich dagegen bin in dieser Hinsicht komplett durchschaubar. So ziemlich jeder weiß sofort, wie es mir geht, ohne mich groß zu kennen. Ich kann mich dabei nicht verstellen. Ob das ein Vorteil oder doch eher ein Nachteil ist, darüber bin ich mir nicht ganz im Klaren.

Leise seufzend drehe ich mich auf die andere Seite. Es war ein schöner Tag heute, obwohl er auch sehr traurig war. "Konzentriere dich auf das Positive!", hat meine Großmutter immer gesagt. Das werde ich tun. Einerseits habe ich Andre endlich wieder gesehen. Und es ist noch alles wie vorher zwischen uns. Andererseits wundere ich mich immer noch ein bisschen, warum er mir nach der Sache auf dem Klo aus dem Weg gegangen ist. Natürlich saß er beim Essen neben mir, aber seine Hand hat er sofort weggezogen, als ich unauffällig unter dem Tisch nach ihr greifen wollte und er hat sich auch kaum mit mir unterhalten.

Ich frage mich, wieso er plötzlich so abweisend war. Das nagt in mir. Ich zerbreche mir den Kopf darüber, ob ich etwas falsches gesagt oder getan habe, aber mir fällt beim besten Willen nichts ein. Ich verstehe ihn nicht. Erst fährt er mir hinterher, nimmt mich in die Arme, ist für mich da und dann wendet er sich doch wieder ab und distanziert sich von mir. Sein Verhalten ist merkwürdig und undurchsichtig. Was will er erreichen? Wie wird er sich morgen geben? Wird er mir weiter aus dem Weg gehen? Ich hoffe nicht. Was er wohl tun würde, wenn ich jetzt zu ihm komme? Ich würde mich so gerne zu ihm legen. Soll ich? Soll ich nicht? Ich bin unschlüssig.

Nach einiger Zeit, in der ich mich unruhig hin- und hergedreht habe, beschließe ich, es einfach zu riskieren und schleiche leise durch den dunklen Flur die Treppe herunter zum Gästezimmer. Mein Handy nehme ich als Taschenlampe mit, weil ich kein Deckenlicht anmachen möchte, um meine Eltern und meine Schwester nicht zu stören, aber auch nicht stolpern will, weil ich die Hand vor Augen nicht sehe. Ohne Zwischenfall erreiche ich „Andres" Zimmer und schiebe mich geräuschlos hinein. Ich lege die Hand über den Lichtkegel meiner Handytaschenlampe, damit ich ihn nicht wecke. Ich kann erkennen, dass er mit dem Rücken zu mir liegt. Ohne zu zögern lege ich mich neben ihn und lausche seinem ruhigen Atem. Das alles hier habe ich schrecklich vermisst. Sein vertrauter Geruch, seine grünen Augen, seine Hände um meine Hüfte. Jetzt hab ich ihn wieder.

Mit einem zufriedenen Lächeln schlinge ich ihm von hinten die Arme um den Bauch und lege meine Stirn an seine Schulter. Der Moment scheint perfekt, doch dann merke ich, wie er sich in meinen Armen anspannt und sich unruhig hin und her windet. Schnell lasse ich ihn los.

„Andre, bist du wach?"

„Ja."

„Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe." Ich kuschele mich wieder mit meinem ganzen Körper an seinen. „Schlaf einfach weiter, ok?"

Er antwortet nicht. Also ist er wohl damit einverstanden. Seine Nähe wirkt Wunder. Ich bin kurz vorm Einschlafen, als er wieder zu zappeln beginnt.

„Jan, kannst du mich mal kurz loslassen?" Ich brumme genervt auf.

"Wieso denn?" Er schubst meine Arme weg und erhebt sich rasch. Überrascht setzte ich mich im Bett auf und werfe ihm einen fragenden Blick zu. „Was ist los, Andre?"

„Nichts!", sagt er hastig und ziemlich laut. „Ich muss nur mal eben aufs Klo..." Und damit stürmt er aus dem Zimmer. Nanu, damit hätte ich nicht gerechnet. Warum verhält er sich denn nur so seltsam? Als er angekommen ist, schien noch alles in Ordnung zu sein und jetzt... Ich fahre mir durch die ohnehin schon verstrubbelten Haare und warte auf seine Rückkehr. Ich sollte noch mal richtig mit ihm reden.

Als er nach einer Viertelstunde immer noch nicht wieder aufgetaucht ist, überlege ich, ob ich ihm auf Whatsapp schreiben soll und ihn frage, ob er vielleicht in der Kloschüssel ertrunken ist oder ob ich ihm gleich hinterher gehen soll. Ich entscheide mich letztendlich für die erste Option, weil ich nicht aus lauter Ungeduld in seine Privatsphäre eindringen möchte. Aber als ich nach meinem Handy greife, fällt mir auf, dass seins direkt daneben auf dem Nachttisch liegt, an der Steckdose angesteckt. Sonst nimmt er es immer überall mit hin, auch nachts, aber heute anscheinend nicht. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, in seinem iPhone nach einer Antwort zu suchen, warum er sich so komisch benimmt. Irgendwas verheimlicht er mir, da bin ich mir inzwischen sicher. Seinen Code wüsste ich. Möglicherweise hat er eine Nachricht bekommen, die ihn schockiert hat oder so.

Doch selbst wenn geht mich das leider überhaupt nichts an. Ich muss wohl oder übel darauf warten, dass er mir von selbst sagt, was los ist oder sich von allein wieder einkriegt. Alles andere wäre falsch. In diesem Augenblick kommt Andre zurück und ich bin froh, dass ich mir nicht sein Handy geschnappt habe. Ohne ein weiteres Wort oder gar einen Blick in meine Richtung steigt er ins Bett und deckt sich zu. Na toll.

Ich räuspere mich. „Ehm, krieg ich auch was von der Decke ab?" Er seufzt auf und schiebt sie mir hin.

„Ich meinte ein Stück, nicht gleich die ganze..."

„Passt schon, mir ist eh viel zu warm", gibt er knapp zurück.

„Bist du sicher? Die reicht doch auch locker für uns beide!"

„Ja."

Was soll das? Ich komme mir auf einmal ziemlich fehl am Platz vor.

„Soll ich vielleicht lieber wieder gehen?"

Er schweigt. Trotzdem bin ich sicher, dass er noch nicht schläft, sondern nur so tut. „Andre?"

Ich höre, wie er geräuschvoll einatmet. „Ist mir egal. Aber wenn du hier bleibst, dann sei jetzt leise!"

Was habe ich ihm denn getan, dass er mich so angeht?! Ich wäge ab, ob ich nicht wieder nach oben gehen soll, doch erstens habe ich keine Lust, noch mal aufzustehen und zweitens schlafe ich lieber bei einem mürrischen Andre als ganz allein. Daher mache ich es mir, mit etwas Sicherheitsabstand zu ihm bequem und lege die Decke quer, sodass er wenigstens ein bisschen was davon hat.

„Morgen früh solltest du aber verschwinden, bevor deine Eltern was checken. Ich habe nämlich keine Lust, ihnen zu erklären, warum du bei mir im Bett pennst..."

Diesmal bin ich derjenige, der so tut, als schliefe er schon. Der Kloß in meinem Hals wird immer dicker. Ich versuche ihn herunterzuschlucken, was mir natürlich nicht gelingt.



Uff, endlich ein neues Kapitel. Ist ziemlich spät geworden, sorry. Ballert mir mal eure Meinung in die Kommis :)


VIELEN LIEBEN DANK für 1K Likes und 9K Reads!!! *-*

Und daher schon mal ne kleine Ankündigung: bei 10k Reads wird es eine Lesenacht geben, hoffe ihr freut euch darauf... :D


 


 


 

Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt