Kapitel 77 Teil 2

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(immer noch Andre)

„Wieso sind Sie vom Unfallort verschwunden ohne mit dem Fahrer des Transporters zu sprechen oder auf die Polizei zu warten, Herr Schiebler?"

Ich hatte die ganze Zeit auf genau diese Frage gewartet. Ich muss schlucken, entscheide mich dann für die Wahrheit. Alles andere wäre ohnehin schwachsinnig.

„Ich wollte einfach nicht glauben, dass das passiert ist. Ich habe im Krankenhaus meinen Vater besucht, den ich viele Jahre nicht gesehen habe. Das heißt, ich wollte ihn besuchen. Allerdings kam ich zu spät. Er ist bereits... tot gewesen, als ich ankam. Ich habe mit einem Freund von mir aus gemacht, dass wir uns nach dem Besuch vor dem Krankenhaus treffen. Er wollte mich mit dem Taxi abholen, mit dem wir auch hin gefahren sind. Ich habe mir das Kennzeichen gemerkt. Nach meinem Aufenthalt im Krankenhaus ist dann dieser furchtbare Unfall passiert. Und als ich das Kennzeichen gefunden habe und das Auto dort unten habe liegen sehen, da..." Ich breche ab, weil ich schon wieder den Tränen nah bin. Mensch, ich muss mich mal mehr zusammen reißen. Andre Schiebler ist keine Memme!

„... Jedenfalls wollte ich zu Hause nach sehen, ob mein Freund vielleicht doch schon heim gefahren ist. Also ohne mich. Hätte ja sein können...", presse ich hervor. Es ist so schön, Jan als meinen Freund zu bezeichnen. Auch wenn der Polizist nicht weiß, wie ich das meine. Er sieht es sich als die harmlose Bezeichnung eines Kumpels und das ist gut so. Es ist schön, so über Jan zu denken und doch überwiegt der Schmerz.

„In Ordnung." Der Polizist sieht mir in die Augen.

„Wie heißt Ihr Freund?" Ich muss lächeln bei dem Gedanke an Jans weiche Haare, seine blauen Augen, seinen warmen Körper in meinen Armen.

„Jan Meyer", antworte ich und meine Stimme zittert. Es bricht mir das Herz, seinen Namen auszusprechen.

Der Polizist tippt etwas an seinem Computer. Nach kurzer Zeit ist er fertig.

„Das wäre dann vorerst alles, Herr Schiebler. Sie können jetzt gehen, aber halten Sie sich zu unserer Verfügung."

Ich bin noch immer verwundert, dass sie mich nicht da behalten und mich in eine Zelle bringen oder so was in der Art. Langsam erhebe ich mich. Der Polizist steht ebenfalls auf und begleitet mich bis zur Tür.

„Auf Wiedersehen, Herr Schiebler!"

Ich murmle ein „Tschüss". Im Türrahmen drehe ich mich noch mal um und frage endlich das, was mir schon die ganze Zeit auf der Zunge liegt: „Sagen Sie, haben Sie die... eh... Leiche... schon ge... gefunden?" Bei dem Wort „Leiche" dreht sich mir schon wieder der Magen um und ich drücke mir unauffällig die Hand vor den Mund.

„Darüber darf ich Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt leider keine Auskunft erteilen, Herr Schiebler. Wir melden uns aber unverzüglich bei Ihnen, wenn wir Genaueres wissen."

Na toll. Da bringe ich schon Jan um, wahrscheinlich auch noch den Taxifahrer und dann darf ich nicht mal wissen...

„Möglicherweise werden Sie Ihren Freund identifizieren müssen." Ich meine, so etwas wie Mitleid in seiner Stimme zu hören. Ich schaue dem Polizisten ins Gesicht, aber dort kann ich keine Gefühlsregung erkennen. Seine grau-blauen Augen fesseln mich für einen kurzen Moment. Sie erinnern mich ein wenig an Jans, doch sie sind nicht ansatzweise so tiefblau und glänzend wie seine.

„Na dann." Ich seufze, drehe mich um und trete ins Freie. Inzwischen ist es draußen dunkel und die Luft streicht kühl durch meine Haare. Ich höre, wie die Tür zur Polizeistation hinter mir ins Schloss fällt. Ich habe das Gefühl, dass ich in absehbarer Zeit wieder hier her muss. Und wahrscheinlich wird dann das Gespräch nicht so glimpflich ablaufen.

Ich ziehe mir die Kapuze meines schwarzen Pullis tief ins Gesicht und mache mich zu Fuß auf den Rückweg. Am Rheinpark mache ich kurz halt und setzte mich auf die Steine am Ufer. Der Dom und die Hohenzollernbrücke spiegeln sich glitzernd im Wasser des Rheins. Die ganze Stadt scheint wunderschön zu strahlen. Und ich sitze da, gedankenversunken und starre auf das dunkle Wasser. Was, wenn ich einfach hinein gehe? Wenn ich in den Rhein laufe und weit genug hinaus wate, bis mich der Strom erfasst und mitreißt? Dann hätte das alles hier endlich ein Ende... Oder nicht?


Nächstes Kapitel kommt um 13:30 Uhr.... Bis dann ;)


Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt