Kapitel 77 Teil 1

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Andre

Ich und Cengiz sehen uns an und ich weiß, dass wir beide dasselbe denken. Es klingelt ein zweites Mal, ungeduldig und lang. Ich reiße mich endlich aus meiner Starre und rase die Treppe herunter. Mein Herz klopft wie verrückt. Bitte, lass es Jan sein... Ich weiß selbst, wie verrückt diese Hoffnung ist, denn Jan oder besser gesagt das, was von ihm übrig ist, liegt dort unten bei der Brücke vor dem Krankenhaus. Wegen mir und meiner Unvorsichtigkeit. Trotzdem ist da dieses kleine Fünkchen in mir, dieser leise Gedanke, dass das alles ein Missverständnis war und er jetzt vor der Tür steht. Ich bleibe auf der drittletzten Stufe stehen und spähe um die Ecke. Vor unserer Haustür stehen zwei Männer.

„Bitte machen Sie auf, hier ist die Polizei!" Der eine klopft laut gegen die Tür. Ich stehe da wie ein begossener Pudel und überlege, ob ich einfach ganz schnell wieder umdrehen soll und so tun soll, als wäre niemand daheim. Ich könnte mich einfach in der oberen Etage verstecken. Und wie erkläre ich das alles Cengiz? Erst bringe ich unseren besten Freund, eigentlich unseren Bruder, um und dann bin ich auch noch zu feige, um die Konsequenzen für mein Tun zu tragen. Nein, so bin ich nicht! Ich will kein Feigling sein, auch für Jan. Vor allem für ihn. Ich habe ihn umgebracht, also soll ich meine gerechte Strafe dafür bekommen.

„Hallo", rufe ich und nehme die letzten drei Stufen mit einem großen Schritt. Die Polizisten drehen sich um. Unwillkürlich muss ich auf die Schusswaffen starren, die sie beide in dieser typischen Tasche eng am Körper tragen.

„Hallo. Wir suchen Herrn Andre Schiebler. Wissen Sie, ob er zu Hause ist?"

Ich nicke. „Ich bin die gesuchte Person."

Sie mustern mich von oben bis unten. „Könnten wir kurz Ihren Ausweis sehen?"

Ich bejahe und schiebe mich an Ihnen vorbei in unsere Wohnung. Kurz muss ich meine Geldbörse suchen, dann finde ich sie in meinem Zimmer und hole meinen Personalausweis. „Hier."

Sie betrachten den Ausweis und mein Gesicht eingehend. Wahrscheinlich sagen sie jetzt, dass ich festgenommen bin wegen Mord und Flucht vom Unfallort oder so was. Aber ich musste einfach von diesem schrecklichen Ort weg und nach Hause, um zu schauen, ob Jan dort ist. Ich konnte diese letzte Möglichkeit, dass es vielleicht doch nicht passiert und er schon früher heim gegangen ist, weil ich ihm im Krankenhaus zu lange gebraucht habe, nicht vergessen. Deswegen bin ich in die nächste U-Bahn gestiegen und heim gefahren. Die letzten paar Meter musste ich laufen, aus Angst, mir würden irgendwelche Zuschauer folgen.

Aber natürlich war Jan nicht daheim. Dazu ist er viel zu lieb und pflichtbewusst. Er hat wie abgesprochen auf mich gewartet in diesem Taxi dort, mit dem Kennzeichen, dass unsere Anfangsbuchstaben trägt und mit dem wir zum Krankenhaus hin gefahren sind. Und dann kam ich und...

„Bitte begleiten Sie uns, Herr Schiebler. Wir würden Ihnen gerne einige Fragen stellen bezüglich des Unfalls heute Mittag", unterbrechen sie meine düsteren Gedanken.

Na wenigstens bin ich nicht gleich verhaftet. Noch könnte ich den Unwissenden vortäuschen und behaupten, dass das alles ein Missverständnis ist und ich nie an dieser Brücke war, nie über die Straße gelaufen bin ohne auf den Verkehr zu achten. Dass Jans Tod nicht meine Schuld ist. Aber ich kann mich nicht vor der Wahrheit verschließen, ich kann ihn nicht wieder lebendig machen. Irgendwann finden sie es eh heraus. Also erkläre ich mich einverstanden und ergebe ich mich in mein Schicksal.


Hier der erste Teil des #Lesetags... Weiter geht's um 12:30 Uhr. Wünsche euch viel Spaß und lese immer alle Kommis mit. Vielleicht beantworte ich auch ein paar. ;)


Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt