Kapitel 70

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Vorab: Habt ihr das TV Video von heute gesehen? Da ging es in dem Lied von Andre und Ado genau um DIESES Thema meiner FF... Andre und seinen Dad... Zufall? Ich denke niiiiicht!!! Viel Spaß beim Lesen... ;)

Andre

Im Zeitlupentempo öffne ich die Tür und wage nicht, einen Blick hinein zu werfen. Drinnen bleibt alles mucksmäuschenstill. So schnell wie mein plötzlicher Mut gekommen war, ist er auch wieder verschwunden. Zentimeterweise schiebe ich mich in das Zimmer, wobei mir klar ist, wie lächerlich das aussehen muss. Wie ein verschrecktes Kaninchen, das bereit ist, in den Rachen des Wolfes zu steigen. Ok, jetzt übertreibe ich maßlos.

„Schluss damit, Andre! Benimm dich gefälligst wie ein Mann, nicht wie ein Weichei!" Ich hebe ruckartig den Blick und hätte beinahe laut losgelacht, aber meine Verwunderung ist größer. Es ist nämlich keine Menschenseele im Raum. Mein ganzes Affentheater war vollkommen umsonst, denn es gibt niemanden, der mich mit einem freundlichen und zugleich gefährlichen Lächeln begrüßt. Mit dem Satz „Bist du also doch gekommen!" oder „Dachte ich mir doch, dass du mich besuchen wirst!". So habe ich mir zumindest die ganze Szene des Wiedersehens vorgestellt. Ich bin fast ein wenig enttäuscht, das mich nichts dergleichen erwartet.

Ratlos sehe ich mich in dem kahlen Krankenhausraum um. An der weißen Wand stehen drei Betten, zwei davon sind unbenutzt, nur auf dem letzten ganz am Fenster liegen ein Kissen und eine Decke mit hellgelbem Überzug. Die Farbe ist wirklich äußerst praktisch, nur falls... Ich schüttle den Kopf über mich selbst. Wie komme ich nur immer auf solche Gedanken?!

Mein Blick fällt auf das Bettende. Dort liegt ein Bündel Kleider, ordentlich gefaltet. Eine blaue Cordhose und ein gestreiftes Hemd. Auf dem Boden davor stehen ein Paar dunkelbraune Schuhe neben einem großen dunkelblauen Fleck, den offensichtlich jemand vergeblich versucht hat, mit Putzmittel zu entfernen. So viel also zum Thema Hygiene in Krankenhäusern.

Ich wage es nicht, irgendetwas anzurühren. Gehört das alles...? Ich werfe einen Blick in den Schrank. Eine graue Strickjacke, zwei T-Shirts, drei Hemden und drei Hosen, die der auf dem Bett sehr ähnlich sehen. Daneben Unterwäsche und Socken, ein elektrischer Rasierer. Sonst absolut nichts. Eine merkwürdige Vorstellung, dass... Schnell schließe ich die Schranktüren wieder. Der Nachttisch neben dem Bett ist klein und die Oberfläche vollkommen ausgefüllt durch ein Glas Wasser, einen altmodische Füllhalter, einen Block mit dem Emblem des Krankenhauses am unten Rand und ein Buch, was dort liegt. Ich trete näher heran und lese den Titel. Die Abenteuer des Tom Sawyer. Noch nie gehört. Würde er so was lesen?!

Ich strecke meine Hand nach der obersten Schublade des kleinen Schränkchens aus, obwohl ich weiß, dass ich damit ziemlich weit in die Privatsphäre dieser Person eindringe, der dieses Bett gehört und dass es vielleicht nicht mal mein Vater ist. Möglicherweise hat die Dame an der Rezeption mir einfach die falsche Zimmernummer gegeben. Oder er ist gerade bei einer Untersuchung oder spazieren oder etwas essen oder...

„Kann ich Ihnen weiterhelfen?" Ich fahre erschrocken herum und sehe direkt in das Gesicht einer hübschen, blonden Krankenschwester. Ihre Stimme hat einen leicht schneidenden Unterton, der nicht zu überhören ist. Wahrscheinlich, weil ich gerade unerlaubt in den Sachen eines Patienten herumschnüffele, den ich vielleicht nicht mal kenne. Auch ihr Gesichtsausdruck ist ziemlich säuerlich, wobei sie trotzdem noch erstaunlich gut aussieht. Ich schätze sie ungefähr auf Mitte zwanzig, nicht viel älter als ich selbst. B. Westfahlen steht auf dem kleinen Namensschildchen, das an ihrem weißen Kittel befestigt ist. B  für Britta oder Bettina oder Barbara? Eine lange Liste mit Frauennamen, die mit B anfangen schwirrt in meinem Kopf herum, während sie auf meine Erklärung wartet, was ich hier tue.

„Ich.. ähm, suche nach meinem V..." Ich stocke „nach Herrn Schiebler!", verbessere ich mich selbst.

Ihr unfreundlicher Gesichtsausdruck verschwindet auf der Stelle und sie lächelt mich strahlend an. „Sie müssen sein Sohn Andre sein, nicht wahr?"

Verdutzt nicke ich.

„Er hat ununterbrochen von Ihnen geredet und wie sehr er sich wünscht, dass Sie ihn besuchen kommen." Oje, das klingt überhaupt nicht nach ihm. Bin ich am Ende einem dieser Hardcorefans ins Netz gegangen, die sich immer verrücktere Pläne einfallen lassen, um uns zu treffen? Er oder sie könnte theoretisch seinen Opa als Herr Schiebler ausgeben und diesen im Krankenhaus beauftragen, mir einen Brief zu schicken und mich dann gaaanz zufällig hier treffen. Allerdings frage ich mich, woher derjenige in diesem Fall unsere Adresse hätte.

„Er hätte sich sooo sehr gefreut, dass Sie nun doch da sind. Er konnte es wirklich kaum erwarten und hat jeden Tag darauf gehofft, wissen Sie..." Moment mal, warum verwendet sie...?

„Es tut mir so unendlich leid für ihn und natürlich auch für Sie, Herr Schiebler!", unterbricht sie meine Gedanken. Ihre braunen Augen sind getrübt von ehrlichem Mitgefühl und ihr Lächeln ist traurig geworden. Ich verstehe nur Bahnhof. „... Aber ich muss Ihnen leider mitteilen, dass ihr Vater heute Vormittag verstorben ist..." Ihre Stimme ist ruhig und gefasst, wie Krankenschwestern es so an sich haben und trotzdem sehe ich, wie sie mit den Tränen kämpft. Erst als ich darüber nachdenke, was sie gerade gesagt hat und nicht wie sie es gesagt hat, beginne ich, ihre Worte zu begreifen.

„Ich verstehe, dass sie geschockt sind, Herr Schiebler! Möchten Sie sich einen Moment setzten? Soll ich Ihnen vielleicht ein Glas Wasser bringen?"

Langsam schüttle ich den Kopf.

„Sind Sie sicher? Wissen Sie, das kommt hier leider nicht allzu selten vor. Er war ja noch nicht besonders alt und ein so liebenswürdiger Mensch, aber seine Nieren waren wirklich... nun ja, in einem schlechten Zustand und..." Unter normalen Umständen, hätte ich mich gewundert, wie man einen solchen Menschen als liebenswürdig bezeichnen kann, aber mein Gehirn hat einen plötzlichen Stromausfall erlitten und auch die Notstromaggregate haben vollkommen versagt.

„Wann?" Ist das einzige Wort, dass ich über die Lippen bringe, um ihrer Redeschwall zu unterbrechen.

„Sie meinen, wann genau...?" Ich nicke ungeduldig. Sie schaut auf die Uhr.

„Vor ungefähr viereinhalb Stunden."

„Scheiße." Ok, das hätte ich vielleicht nicht laut sagen sollen.

„Nun ja..."

„Und... wie?", meine Stimme zittert hörbar, das kann ich nicht vermeiden.

„Gestern Abend und heute Nacht ging es ihm erstaunlich gut. Er hatte ständig Schmerzen, müssen Sie wissen, aber heute in der Früh war er bereit, weniger Schmerzmittel zu nehmen, weil er sich besser fühlte, wie er selbst sagte. Er hat ganz normal gefrühstückt, wie jeden Morgen und danach ein Buch gelesen, auch wie oft in letzter Zeit. Urplötzlich, um... - ich glaube es war gegen halb zehn - ging es ihm deutlich schlechter. Sein Zustand verschlimmerte sich in wenigen Minuten dramatisch. Er hat den Notfallknopf gedrückt und als wir kamen, war er bereits ohnmächtig und blutete heftig aus der Nase. Wir haben ihn natürlich sofort unter Vollnarkose in den Operationssaal gebracht, aber wir konnten ihn nicht mehr retten..." Ihre Worte hängen in der Luft wie ein dichter Nebel, der sich nicht lichten will. Zu spät, ist das einzige, woran ich denken kann. Ich bin zu spät.


So, jetzt wisst ihr alle, was mit Andres Dad so los ist... (oder auch nicht los ist). Wer hat damit gerechnet? Bitte Meinungen in die Kommis und nicht enttäuscht sein, dass sie sich nicht aussprechen konnten... Das nächste Kapitel ist schon vorgeschrieben, konnte mich einfach nicht bremsen und war voll im Schreibrausch. Es kommt am Samstag oder am Sonntag, je nachdem, wie so das Feedback hierzu aussieht... Mensch, wir sind inzwischen bei 70 Kapiteln... Unglaublich aber wahr :O *-*


Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt