Kapitel 48

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Andre

*Zeitsprung*

Wenig später sitzen wir im Auto und sind auf dem Heimweg. Obwohl ich nochmals versucht habe, Jan zu überreden, ein paar Tage bei seinen Eltern zu bleiben, hat er sich weiterhin geweigert. Ich denke, dass es gut wäre, wenn wir uns erst mal eine Zeit lang nicht sehen. Dann kann er das erst mal verdauen und auch ich hätte es nötig, mich zu sammeln und gründlich nachzudenken, was ich eigentlich will. Jan sieht das ganz offensichtlich nicht so, denn er will unbedingt mit zurück nach Köln.

Ich fahre mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend und ziemlich unruhig auf der schmalen Landstraße Richtung Autobahn. Das liegt an Jans Blick. Seit ich ihm gebeichtet habe, dass ich... Ach, ich will gar nicht mehr daran denken. Jedenfalls hat er mir seitdem nicht ein mal richtig in die Augen geschaut. Bis jetzt. Denn jetzt starrt er mich förmlich an. Ich schaue nach vorne auf die Fahrbahn, aber sein blauer Blick klebt an mir, hält mich gefangen und lässt mich nicht mehr los. Kurz sehe ich zu ihm herüber, unsere Augen treffen sich. Er wirkt ganz ruhig, doch ich bin nicht sicher, ob er es auch wirklich ist. Ich an seiner Stelle wäre alles andere als gelassen, so viel steht fest.

Am liebsten würde ich das ungeschehen machen, damit dieser Zustand vor Berlin wieder da ist. Natürlich war es so auch nicht perfekt, aber zwischen der Art, wie Jan mich damals angesehen hat und wie er es jetzt tut, liegen Welten.

Ich fahre auf den Einfädelungsstreifen der Autobahn. Rasch beschleunige ich den Wagen. Bald habe ich 120 km/h erreicht. Ich spüre Jans Blick auf mir. Scheinbar besonnen, aber trotzdem vorwurfsvoll und verständnislos. Ich drücke weiter aufs Gas, setzte zum Überholen an. Der Tacho zeigt inzwischen 140 km/h. Nervös trommle ich mit den Fingern auf dem Lenkrad. Er soll aufhören, mich so anzusehen! Mein Fuß liegt bleischwer auf dem Pedal. 160 km/h, 180 km/h. Warum macht es ihm Spaß, mich dermaßen zu quälen...?! Ich halte das nicht mehr aus. Mit 200 rasen wir an einem hellblauen Kombi auf der Mittelspur vorbei. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Jan sich an der Autotür festkrallt.

Ein Stück vor mir schert ein schwarzer Mercedes zum Überholen aus. Er zieht auf meine Spur, ohne auf mich zu achten. Ich sehe wie in Trance sein Nummernschild viel zu schnell auf mich zu fliegen. „Wie kann das sein? - Eben war er doch noch deutlich weiter weg...", denke ich.

„Andre!" Jan packt meinen Arm und da endlich reagiere ich und drücke voll auf die Bremse. Um Haaresbreiten kann der Mercedes wieder vor dem LKW, den er inzwischen hinter sich gelassen hat, wieder auf die mittlere Fahrbahn wechseln, bevor ich ihn erwische.

Ich atme erleichtert auf. Das war knapp. Sehr knapp. Verdammt, ich kann so nicht weiterfahren. Nicht, wenn er mich die ganze Zeit so ansieht. Entschlossen steuere ich den nächsten Rastplatz an und stelle das Auto ab.

„So geht das nicht weiter!"

„Was?"

„Als ob du das nicht wüsstest!", fahre ich ihn aufgebracht an.

„Ich verstehe nicht, was du willst und warum du nicht weiter fährst..." Wieder diese eisige und zugleich seltsam gefährliche Ruhe in seiner Stimme.

„Ich kann so nicht fahren!", sage ich entschieden.

„Wieso?"

Ich seufzte auf und vergrabe verzweifelt das Gesicht in den Händen.

„Wenn du mich so ansiehst.... Die ganze Zeit!"

Er schweigt.

„Bitte, Jan! Wie oft soll ich denn noch sagen, dass es mir leid tut?! Ich würde alles dafür geben, es ungeschehen zu machen. ALLES. Verstehst du?!"

Er schweigt weiterhin.

Ich bin echt am Ende. Das ist zu viel für mich.

„Ich gehe mal eben aufs Klo...", murmele ich, bevor ich noch vor ihm losheule. Mit schnellen Schritten steuere ich auf die Gaststätte zu. Ich höre, wie hinter mir eine Autotür zuschlägt und keine Sekunde später Jans knirschende Schritte auf dem Kies.

„Warte!", höre ich ihn rufen. Ohne es zu wollen werde ich noch schneller, bis er zu rennen beginnt und mich schließlich eingeholt hat. Er greift nach meiner Schulter und dreht mich energisch zu sich um.

Wieder diese blauen Augen. Diesmal fehlt der vorwurfsvolle Ausdruck. Sie sind einfach nur trüb und ohne jegliche Emotionen.

„Dich trifft keine Schuld, Andre."

Obwohl ich mich einfach freuen muss, bin ich erstaunt, das aus seinem Mund zu hören.

„Es ist nicht fair von mir, dich für etwas zu verurteilen, zu dem du ein gutes Recht hast. Du hast nichts getan, was in irgendeiner Form schlecht oder gar falsch war. Du hast mit dieser Frau geschlafen. Aber das darfst du."

Nun bin ich gänzlich verwirrt. Das hat er offenbar bemerkt, denn er fährt fort: „Wir waren und sind nicht zusammen, Andre." Nun hat er es also doch gesagt. Mit aller Klarheit, die ich nie angesprochen habe, aus Angst, er würde über mich lachen.

„Was auch immer zwischen uns passiert ist, haben wir nie geklärt. Vielleicht war es für dich etwas anderes gewesen. Etwas Bedeutungsloses, etwas Gleichgültiges... etwas, dass keine große Rolle gespielt hat..."

„Aber es..."

„Nein!", Er legt mir einen Finger auf die Lippen. Selbst diese kleine, zarte Berührung bringt mich zum Lächeln. „Das ist nicht wichtig. Jetzt nicht mehr. Ich will nur, dass du weißt, dass du rein gar nichts falsch gemacht hast, in Ordnung?"

„Dann heißt das, dass du mir verzeihst?", platzt es aus mir heraus und ich bin plötzlich unglaublich erleichtert über seine Worte. Mein Herz macht einen Satz, ich spüre, wie mein Körper in großen Mengen Glückshormone ausschüttet. Wenn er mir wirklich nicht böse ist, dann...

„Es gibt da nichts zu verzeihen. Nicht von meiner Seite aus. Wenn, dann musst wohl eher du dir selbst verzeihen und nicht ich dir..."

Er klingt ernüchternd. Ich muss mir selbst verzeihen? Verzeihen, dass ich die Sache zwischen uns ruiniert habe?

„Genau so ist es." Er nickt. Habe ich das etwa laut gesagt? Scheint wohl so.

„Wir sollten weiter fahren." Jan unterbricht meine Gedanken und schlägt den Rückweg zum Auto ein. „Außer, du musst immer noch aufs Klo..."

Wie gut er mich doch kennt. Er weiß genau, dass ich nur abhauen wollte. So wie ich es immer tue. Warum bin ich manchmal nur so feige? Mit gesenktem Blick trotte ich hinter ihm zum Auto und starte den Motor.

Wir verlassen den Parkplatz und ich reihe mich zwischen den anderen PKWs auf dem mittleren Fahrstreifen der Schnellstraße ein. Ich sehe zu Jan hinüber. Von mir abgewandt sitzt er da, die Kopfhörer seines iPhones in den Ohren, die Kapuze seines Pullis tief ins Gesicht gezogen und starrt aus dem Fenster. Bei seinem Anblick wird mir langsam klar, dass es nicht die entscheidende Frage ist, ob ich mir selbst verzeihen kann, sondern ob es zwischen Jan und mir jemals wieder wie früher sein wird. Wenn nicht, dann könnte ich mir das niemals in meinem ganzen Leben verzeihen. Denn dann hätte mein Leben seinen Sinn verloren.

Wir fahren dahin und draußen ziehen allmählich dunkle Wolken auf. Kurz darauf beginnt es in Strömen zu regnen. Ich schalte das Licht an und den Scheibenwischer auf die höchste Stufe. Trotzdem wird meine Sicht kaum besser. Irgendwann begreife ich, dass nicht die Tropfen, die zu hunderten auf die Frontscheibe prasseln daran Schuld sind, sondern die, welche in immer kleiner werdenden Abständen auf meine Hände und meine Hose fallen...


 

Mit diesem langen Kapitel endet die Lesenacht. :) Danke nochmal an alle die dabei waren, Kommis geschrieben und Sternchen da gelassen haben. <3 *-*


Schreibt mir gerne ein Feedback und Wünsche/Ideen für die kommenden Kapitel rein. ;) Ich werde das, wann immer es passt und möglich ist, einbauen. (Apegirl_Forever auch deinen Wunsch mit einem dominierenden Andre für die "erotischen" Szenen habe ich nicht vergessen und wird es auch bald geben)


 


 


 


 

Memories never die | JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt