30|Die Wut raus lassen.

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*Dring-Dring-Dring*

Ey nein. Bitte nicht schon wieder.

Ich mache meinen Wecker aus, bevor er nochmal dieses komische Geräusch von sich gibt, die Wecker halt so machen und bleibe noch etwas im Bett liegen. Auf die paar Minuten kommt es eh nicht an. Ich werde später in die Schule gehen. Ich hatte vielleicht so um die eine Stunde Schlaf, da ich kein Auge zubekommen hatte. Immer war ich mit den Gedanke bei Jade. Jade.
Wenn ich an sie denke, hab ich das Gefühl, mir dreht sich der Magen um und ich hab ein schmerzhaftes ziehen in der Brust. Also verdränge ich das Gefühl schnell wieder.

Meine Erinnerungen von gestern kommen langsam wieder hoch. Jake saß auf meinem Fußboden, am Bett angelehnt und hat mir dabei zugesehen wie ich Jade's Briefe gelesen habe, ohne das er irgendwas wusste, oder gesagt hat. Er saß einfach da. Als ich selbst gespürt hatte, wie mir Tränen bei einem Brief in die Augen stiegen, habe ich mich rechtzeitig von ihm weggedreht und wollte gerade aufhören zu lesen, als ich auf einmal seinen Arm um meiner Schulter gespürt habe, und er mir zu flüsterte, dass er glaubt, das die Briefe nicht ganz so gut für mich sind. Danach hatte er mir noch einmal aufmunternd über die Schulter gestrichen und hat sich wieder dahin gesetzt, wo er bisher die ganze Zeit auch gesessen ist.

Er saß da ziemlich lange. Ich glaube er ist bis 23:00 Uhr geblieben. Hat fast nie was gesagt und mich mein Ding machen lassen. Er war einfach da. Das meine ich auch mit 'er ist mir so nah, wie bisher kein anderer' und mit 'Er ist einfach da'. Denn er ist wirklich da, immer wenn ich ihn brauche sitzt er neben mir, zieht mich wieder hoch. Er lässt mich nicht am Boden. Er lässt mich nicht Ertrinken, er hilft mir wieder zu schwimmen. Und das hat bisher kein anderer gemacht, wenn ich jemanden gebraucht habe.

,,Hey, Jade." Keine Antwort. Ich bin an ihrem Grab. Schon wieder. ,,Wie geht's dir denn?" Keine Antwort. Ich atme langsam aus und setze mich hin. ,,Jade, ich vermisse dich." Flüstere ich. ,,Du... Du bist jetzt schon zwei Jahre nicht mehr da... Zwei ganze Jahre." Sage ich den letzten Satz etwas leiser. ,,Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Deine Worte. Sie bleibt nicht stehen. Das Leben geht weiter." Sage ich immer noch so leise. ,,Du wolltest ja unbedingt Abnehmen, wolltest dich unbedingt schön finden, dabei wusstest du garnicht, dass du unglaublich schön warst. Du warst die Jenige, die schon von allen angeguckt wurde. Du warst so hübsch. Aber nein. Du wolltest ja "schön" sein. "Dünn" sein. Bis du irgendwann nur so ein abgehungertes Ding warst, wo alle Knochen aus der Haut traten und man Angst hatte, dich bei der kleinsten Berührung zerbrechen zu können!" Eine Welle von Wut überkommt mich.
,,Weißt du, dass das ein extrem egoistischer Zug von dir war? Weißt du das?! Du hast mich alleine gelassen! Uns alle alleine gelassen! Mum, Dad, deine Freunde, mich. Jade, verdammt du hast mich alleine gelassen, obwohl du selbst versprochen hast für immer zu bleiben!" Schreie ich verzweifelt. ,,Du hast es versprochen." Flüstere ich.

Tränen kommen hoch, die ich Versuch zu unterdrücken. ,,Das ist nicht richtig so. Du gehörst hier nach unten! Zu mir! Nicht dahin, wo auch immer du gerade bist! Es war egoistisch. Dir war egal was mit uns passieren wird, wenn du erst mal weg bist! In deinen Briefen schreibst du so, als könntest du nichts dafür, du schreibst so als... als wärst du immer noch die liebe kleine Jade die nichts dafür konnte. Du hast geschrieben ich wollte niemals so dünn sein. Dabei erinnere ich mich an deine Worte, als du sagtest ich will mehr abnehmen. Ich kann nicht anders, guckt euch mich doch an, ich bin so fett. Ich fühl mich so unglaublich unwohl in meiner haut. Und als du das sagtest, hast du dir an deinen Bauch gefasst und deine Haut zusammen gedrückt, da du nichts mehr hattest das zusammen gedrückt werden konnte! Es war egoistisch!" Sage ich wütend und meine Wangen wurden über meine Rede nass.

,,Du warst egoistisch." Flüstere ich, während ich meine Augen schließe, um nicht mehr zu weinen. ,,Du egoistisches Miststück." Flüstere ich weiter. ,,Du warst nicht immer korrekt zu mir, ich müsste dich hassen, schließlich hast du auch mal zu uns gesagt, dass du uns hasst, auch wenn es vielleicht nur aus Wut war. Aus Frustration hast du mich manchmal an den Haaren gepackt und mir eine mit gegeben, weil dir die Wahrheit nicht gepasst hat, die ich ausgesprochen habe. Ich sollte dich hassen. Aber ich liebe dich. Und ich brauch dich wieder bei mir. Du bist meine Schwester. Ich kann dich garnicht hassen. Aber du bist nicht da. Du bist weg." Eine Träne verlässt wieder meine Augen. ,,Du hast deine Familie aufgegeben, dafür das du "dünn" sein wolltest." Ich lache auf und lege meinen Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken. ,,Du kannst mich mal, Jade. Als du weg warst, war alles ruiniert. Du hast eine Familie zerstört. Das Mum und Dad sich Getrennt haben, muss ich ja nicht erwähnen. Das er sich fast nicht mehr meldet. Das sie kaum Zeit für mich hat. Das muss ich alles ja nicht mehr erwähnen! Das weißt du alles schon. Das niemand Zeit für mich hat, außer eine Person. Du hättest ihn gemocht. Ich hätte ihn dir gerne vorgestellt, aber wie denn? Du hast uns zerstört, Jade. Uns alle. Du hast mich zerstört."

Ich war wieder im Blumenladen des Friedhofes und hab Blumen gekauft, hab sie ihr ans Grab gelegt, mich wieder gesetzt und meine Arme und meinen Kopf, auf meine angewinkelten Knie ruhen lassen. Ich habe all die Wut, die sich über die Jahre angesammelt hat, endlich raus gelassen. Ich wollte mich entschuldigen, hab es aber dann gelassen. Es ist die Wahrheit, also gibt es nichts zu entschuldigen. ,,Es ist schwer, Jade. Es ist einfach alles schwerer geworden." Sage ich leise. ,,Zwei Jahre ohne einen wichtigen Menschen in deinem Leben sind schwer. Und... Und es hat sich einfach alles verändert." Flüstere ich weiter. ,,Wieso hast du mir das angetan? Bin ich so schlimm? Das nicht mal meine eigene Schwester bei mir sein will?" Flüstere ich unter Tränen. ,,Antworte, Verdammt!" Schrei ich.

,,Verdammte scheiße, Antworte! Gib mir ein verficktes Zeichen, dass du mir zuhörst! Jetzt wo ich dich brauche! Antworte!" Ich lasse einen Frust schrei raus. Das kann doch alles nicht wahr sein. ,,Ich brauch dich doch, Jade. Ich brauch dich doch." Flüstere ich und ein schluchzten entweicht meiner Lunge. Aber nichts passiert. ,,Ich war am Ende die große Schwester. Ich kam mir vor wie die große, du wolltest nicht erwachsen werden... Aber es ist nicht schlimm. Ich versteh dich." Ich mache eine Pause. ,,Erwachsen werden ist scheiße. Du wolltest nicht erwachsen werden. Du wolltest mir das erwachsen werden überlassen und die kleine sein." Sage ich leise. ,,Mit wem rede ich hier überhaupt?" Wispere ich unter Tränen. Ich sitze in dieser Stille voller Trauer und Wut. Ich stehe auf, wischen mir die Tränen von den Augen und sage ein kaltes ,,Wir sehen uns, Jade." und gehe.

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Kapitel dreißig ist draußen. Wie findet ihrs? Generell so die Geschichte bis jetzt? :D Danke fürs lesen. Würde mich über Kommis oder so wirklich freuen :) Man liest sich.

~Ale.💗

Let's be Alone together Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt