07|...Ich hätte es niemals zulassen dürfen.

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Mittwoch... Yeah. Am Arsch.
Heute ist Mittwoch. Das heißt nicht nur, dass ich mich in die Schule quälen muss, nein. Es heißt sogar, dass ich nach der Mittagsschule auch noch zum Psychologen muss. Meine Eltern haben sich, trotz ihrer Trennung, einen Nachmittag zusammen gesetzt und sind nach einem wirklich sehr langen Gespräch mit meiner Direktorin, zum Entschluss gekommen, dass ich mal einen Psychologen besuchen sollte.

Meine Lehrer haben anscheinend mit meiner Direktorin geredet, dass sich meine Noten um einiges verschlechtert hätten seit letztem Frühling. In dem Frühling, in dem Jade starb und das ich mich immer mehr zurückziehen würde. Was ich um ehrlich zu sein nie wirklich verstehen konnte. Auf jeden Fall, dass wollten meine Lehrer nicht und so sind sie zu meiner Direktorin gerannt und sie ist dann zu meinen Eltern gerannt. Das ist ungefähr eine Woche nach der Trennung meiner Eltern passiert. Ich sagte ihnen das, dass nicht nötig wäre und das ich das eigentlich auch nicht machen wolle, aber meine Eltern haben noch nicht mal zuhören wollen und sagten, dass es mir gut tuen würde, mit jemanden reden zu können. Auch wenn ich zu ihnen gehen könnte, aber ich nicht mit Ihnen darüber reden möchte, dann könnte ich ja mit jemanden reden der sich auskennt und mir helfen kann. ,,Es tut uns leid, Hope. Wir versuchen dir ja zu helfen mit dem Thema besser umzugehen. Aber wir schaffen das nicht. Wir brauchen dabei Hilfe." Sagten die zwei immer um das Thema zu umgehen. Naja, eher sagte das immer meine Mutter. Mein Dad war dann wieder weg. Aber das ist es ja. Wenn ich noch nicht mal mit meinen Eltern darüber reden kann. Wie soll ich es schaffen, mit einer Psychologin zu reden, die versucht durch alberne Tests herauszufinden, was in meinem Kopf schiefläuft und welcher Schalter wieder umgelegt werden muss, damit ich wieder normal leben kann. Ohne Trauer. Ohne Wut. Ohne Jade.

Ich bin jetzt schon seit etwas länger als einem Jahr dort und es scheint nichts zu helfen. Ich wusste schon von Anfang an, dass es nichts helfen würde, aber ich konnte es nicht aussprechen. Ich wollte meine Eltern nicht noch mehr enttäuschen, als ich es eh schon gemacht habe, in dem ich mit der Welt nicht mehr klar kam.

,,Hey, Jade." Flüstere ich mit Tränen in den Augen, während ich mich vor ihr Grab knie und mit meinem Schlüssel spiele. Es ist noch ziemlich früh. Ich bin mir nicht sicher wie früh, aber es hat noch nicht die Schule begonnen und ein paar Sterne sind noch zu sehen. ,,Ich konnte nicht mehr schlafen und da es schon etwas hell ist, dachte ich mir, dass ich dich mal wieder besuche." Sage ich, während ein leises bereuendes lachen meine Kehle verlässt. ,,Ich vermisse dich. Weißt du, Jade? Ich dachte, es wäre einfacher für mich mit dem Thema Magersucht oder generell mit deinem Tod klar zu kommen. Aber wie es aussieht ist es schwerer als gedacht." Gebe ich von mir. ,,Ich habe immer gedacht 'okay die ersten Monate werden schwer. Aber die Zeit heilt die Wunden. Du schaffst das.' Aber wie es aussieht ist nach etwa eineinhalb Jahren ungefähr oder sogar etwas länger, nicht Schluss mit dem Schmerz, was?" Gebe ich Kopfschütteln von mir. ,,Es tut mir leid, Jade. Es tut mir leid, dass ich mit nichts mehr klar komme, Okay? Es tut mir leid, dass du das vielleicht von da oben mit ansehen musst, okay? Es tut mir verdammt noch mal leid, dass ich dir nicht helfen konnte. Jade, es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Bitte Jade, bitte verzeihe mir."

Meine Arme liege verschränkt auf meinen Knien und darauf Ruht mein Kopf. Ich starre einfach auf das Grabstein gegenüber von mir ohne etwas zu sagen. Mit wem soll ich schon reden? Ich bekomme sowieso keine Antwort. Ich habe gehofft immer irgendwie eine Antwort von Jade zu bekommen. Irgendein Zeichen, dass sie mir zeigt, dass sie mir zuhört, mich versteht und mich genau so vermisst. Aber dieses Zeichen kam nie.

Du denkst, du erstickst an dieser Leere in dir. Man ist gefangen. Dein Lächeln ist gefangen, deine Worte. Alles in deinem Kopf. Du bist in dir selbst gefangen. Es ist, als würdest du ertrinken. In dir selbst. Du schaffst nichts mehr. Du bekommst nichts auf die Reihe. Und dafür hasst du dich selbst. Dafür, dass du weißt, dich selbst aufgegeben zu haben. Das du weißt, dass nichts mehr so seien wird wie es mal war. Du hast noch nicht mal mehr Lust, irgendwas auf die Reihe zu bekommen. Du weißt, dass es sowieso nicht klappen wird. Die Fragen in deinem Kopf werden immer weniger, da du sowieso keine Antworten bekommst, bis dein Kopf leer ist. Nichts als leere. Und du kannst nichts daran ändern. Du siehst zu wie dein Leben an dir vorbei zieht. In einem Moment willst du was sagen und innerhalb einer Sekunde hast du dieses Worte schon vergessen. Du gibst es auf etwas Zusagen, da niemand deine Schreie hört. Wieso soll man reden, wenn dich niemand schreien hört?

Ich weiß nicht, wie lange ich hier sitze, wie lange ich Löcher in die Luft gestarrt habe. Die Sonne ist jetzt komplett aufgegangen und keine Sterne sind mehr zu sehen. Sie sind alle gestorben. So wie sie es jeden Morgen aufs neue tuen, um die Sonne atmen zu lassen. Ich stehe langsam auf, gehe zum Blumenladen, der gegenüber vom Friedhof steht und kaufe ein paar dieser typischen Friedhofs Blumen. Blumen sollten eigentlich etwas schönes sein und eine schöne Bedeutung haben. Aber die Blumen die du in Friedhof Läden kaufst, haben immer etwas trauriges an sich. Sie sehen einfach trauriger aus und wenn du die Geschichte kennst, warum du diese Blumen kaufst, ist es gleich noch viel trauriger.

Ich würde am liebsten die Zeit zurück drehen, bis zu dem Tag, als Jade ihre erste Mahlzeit stehen gelassen hat. Ich hätte nicht nur zugesehen und auch nicht die Ausrede 'ich hab Bauchweh und kein Hunger' gelten lassen. Ich wäre nachdem ich gegessen hätte, auch nicht einfach aufgestanden um mich mit meinen Freunden zu treffen. Ich hätte ihre Hand genommen und ihr gesagt, dass die Bauchschmerzen vergehen werden, aber das sie ihre Portion essen muss. Ich wäre solange neben ihr sitzen geblieben, bis sie alles aufgegessen hätte und es ihr wieder besser ging. Vielleicht wäre sie dann noch da, vielleicht wäre sie jetzt nicht einer dieser Sterne am Himmel geworden, wenn ich genau das getan hätte. Vielleicht wäre Jade dann doch noch da. Wenn ich genau das getan hätte. Ich hätte niemals zulassen dürfen, dass Jade, ihre erste Mahlzeit nicht isst.

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Kapitel sieben ist da.... Wie findet ihr es? Danke das du dieses Kapitel gelesen hast. Ich würde mich über Kommis oder so freuen.:)
Naja, man liest sich.

~Ale.💗

Let's be Alone together Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt