22. Hiobsbotschaft

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Wir waren nicht einfach nur ein Paar. Wir waren nicht einfach nur zwei Menschen, die sich liebten. Nein, wir waren mehr. Wir waren Freunde, ein Team und vor allem waren wir zwei einzelne Personen, die nicht mehr ohne einander leben konnten. Das ging einfach nicht mehr. Wir hatten jeder den anderen unser Leben lang um uns. Und konnte einfach nichts mehr trennen. Selbst, wenn Meilen um Meilen zwischen uns lagen. Wir waren verbunden.

Ein Stoß in meine Seite riss mich aus meinen Gedanken und ich sah erschrocken auf. Amber stand nervös neben mir und bedeutete mir, mit ihr zusammen unsere Arbeiten abzugeben und den Raum zu verlassen.

Verwirrt starrte ich sie an, stand jedoch auf und nahm meine Sachen. Erst, als ich ihr nach vorne zum Lehrerpult folgte, registrierte ich, dass die Hälfte meiner Mitschüler bereits aus dem Klassenzimmer gegangen war.

Wie lange war ich denn in Gedanken gewesen? Und vor allem, warum hatte ich absolut nichts mehr mitbekommen? Ich hatte einfach meine Umgebung vergessen.

Wir gaben unsere Arbeiten ab und verließen gemeinsam den Raum.

„Himmel!“, stöhnte Amber auf, sobald wir die Tür hinter uns geschlossen hatten.

„So schlimm?“, fragte ich vorsichtig.

„Schlimmer! Viel, viel schlimmer! Das war die Hölle! Ich habe geschwitzt, als wäre ich jahrelang nicht mehr aufs Klo gegangen und das ganze Wasser müsse nun durch meine Poren raus!“, schilderte sie und gestikulierte theatralisch mit ihren Händen.

Igitt!

„Amber!“, wies ich sie zurecht und verzog das Gesicht dabei übertrieben angewidert.

„Sorry, not sorry!“, sagte sie. „Aber dafür habe ich alle Aufgaben geschafft und bin nicht einmal die Letzte, die ihre Arbeit abgibt!“

Das war allerdings verwunderlich!

Doch Amber ließ mir gar nicht die Chance, ihr zu antworten, sondern plapperte munter weiter.

„Und ich glaube, ich habe sogar relativ viel richtig. Zumindest habe ich, denke ich die richtigen Rechenwege genommen. Und das bringt ja schon  genug Punkte, damit ich nicht durchfalle. Bei Aufgabe eins mussten wir doch nur die genannten Faktoren bedenken und alles mit einem Dreisatz rechnen, oder?“

„Ja. Aber seit wann weißt du, dass sich das Dreisatz nennt, und wie man ihn anwendet?“, grinste ich und stupste ihr in die Seite.

„Sehr witzig! Ich wusste schon immer, wie er heißt!“, schmollte sie.

Stimmt. Nachdem sie es in der siebten und achten Klasse nicht konnte, hatte sie sich in der neunten dann wenigstens den Namen gemerkt. Und jetzt, Jahre später, wusste sie ihn noch immer. Das war für Amber eine Hochleistung. Mathe war einfach nicht ihr Ding. Aber so schlecht, wie sie in Mathe war, so war ich in Politik. Worin sie dann spitze war. Somit konnten wir uns gegenseitig durch die Jahre helfen und hoffentlich auch durch die Abiturklausuren.

„Und bei Aufgabe zwei mussten wir doch nur…“

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„Und bei der letzten Aufgabe mussten wir doch nur x und y ausrechnen, oder?“ Amber hatte es geschafft, mich den ganzen Weg zur Cafeteria alle Aufgaben abzufragen. Abgesehen davon, dass ich mir nicht einmal mehr gemerkt hatte, welche Aufgabe was war, klappte es sogar gut. Denn notfalls konnte sie mir den kompletten Wortlaut der Aufgabe noch einmal aufsagen.

„Nein! Sowohl x als auch y waren unbekannte Werte, also konnten wir nichts ermitteln. Du hättest einfach nur den Rechenweg aufschreiben müssen, mit dem man die Lösung ermitteln kann. Wenn du da ein Ergebnis hast, ist es falsch!“, korrigierte ich, während ich mir einen Teller Tortellini mit Sahnesauce, einen kleinen Salat und einen Schokoladenpudding nahm, und es auf meinem Tablett verteilte.

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