Love Triangle

48. Neue Regelbrüche

"Also dann", sagte ich kopfschüttelnd. "Gute Nacht, Harry!"

"Gute Nacht!", erwiderte er leise und schloss die Distanz zwischen uns mit einem Schritt.

Ich wollte gerade die Arme öffnen um ihn zum Abschied zu umarmen, als sich sein Kopf gefährlich Nahe dem meinen näherte. Seine Lippen schlossen zu meinen auf und als sie sie schließlich berührten, überkamen mich die Gefühle.

Ein Teil in mir wollte den Kuss erwidern, doch der andere Teil war einfach überfordert mit der Situation.

Ich schob Harry sanft von mir.

Seine Augen trafen auf meine und durchbohrten sie nahezu.

"Es..", sagte ich langsam. "Es tut mir Leid, Harry. Ich kann das nicht. Das geht mir alles zu schnell. Dafür bin ich noch nicht bereit! Mach's gut!"

Ohne weiter nachzudenken lief ich ins Haus und schloss die Tür hinter mir.

Noch bevor ich irgendetwas anderes tun konnte, bereute ich mein Handeln bereits. Ich hatte mich angestellt wie ein bockiges Kind. Türen zuschlagen und ohne Erklärungen verschwinden. 

"Clary?" Meine Großmutter war im Flur aufgetaucht. "Ist wirklich alles in Ordnung bei dir, Schätzchen?"

Schnell riss ich mich zusammen und nickte. "Ja, alles in bester Ordnung, ich bin nur müde. Entschuldige Omi, ich werde direkt hoch gehen und versuchen zu schlafen!" 

"Aber natürlich mein Kind", erwiderte sie mit verständnisvoller Stimme. Ihrem Gesicht hingegen war deutlich abzulesen, dass sie mir kein Wort glaubte.

In meinem Zimmer wechselte ich nur schnell zurück in meine Schlafsachen, ließ mich aufs Bett fallen und ließ den Gedanken freien Lauf.

Warum hatte ich mich nicht besser verhalten? Ich hätte es ihm erklären und seine Reaktion abwarten sollen. Aber was eigentlich genau erklären? Was hätte ich sagen können um zu erklären, warum ich nicht bereit für den Kuss gewesen bin? Hatte ich Conor noch nicht losgelassen, oder hatte ich einfach Angst davor, mein neues sicheres Leben für ein unsicheres Gefühlschaos zu opfern?

Verzweifelt suchte ich nach einer plausiblen Erklärung, warum ich Harry nicht hatte küssen wollen oder warum ich sein Kompliment am Höhleneingang zuvor nicht hatte besser annehmen können - doch ich fand keinen Grund. Harry war durchaus attraktiv, humorvoll und in einer mysteriösen Weise auch anziehend.

Ich erinnerte mich daran, wie attraktiv sein Lächeln war, besonders, wenn seine Grübchen zum Vorschein kamen. Als er vom Regen überrascht und nass wurde, reichte attraktiv als Beschreibung schon nicht einmal mehr. Ebenso brachte er mich in einer Tour zum Lachen, was in letzter Zeit wirklich selten jemand vermochte. Und dass er auf mich anziehend wirkte, war nun mehr als offensichtlich. Wie sonst konnte man erklären, dass er mich immer in seinen Bann zog, wenn ich ihm nur tief genug in die Augen sah? Weshalb, wenn nicht der Anziehungskraft zu Willen, hätte ich mich überhaupt auf das Treffen einlassen sollen.

Wieso war ich überhaupt mitgegangen, wenn ich nicht bereit war, einer ungewissen Zukunft mit anderen Menschen entgegen zu treten?

Eben. Es gab keinen Grund. Ich wollte es. 

Ich wollte es so sehr.

Doch das machte es noch unverständlicher, warum ich mich so idiotisch verhalten hatte.

Verzweifelt öffnete ich meinen Laptop und schrieb Amber an. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis ihr Status auf online sprang. 

Amber schrieb sofort Romane über alles, was in Brighton so geschehen war, seit wir das letzte Mal kommuniziert hatten. Sie erzählte von Anth, der sie jetzt viel mehr einspannte, als je zuvor. Ihre Vermutung dazu war, dass sie nun einfach die Lücken in seinem Leben füllen musste, die Conor und ich hinterlassen hatten. Stolz berichtete sie mir, wie erfolgreich sie dieser Aufgabe pflichtbewusst nachging. Ebenso erzählte sie mir, wie Anth sie nun immer zu den Shoppingtouren begleiten musste, die sonst ich mit ihr erlebt hatte. Er war auch ihr neuer, wenn auch unfreiwilliger Lernpartner geworden und mich beschlich so das Gefühl, dass es ebenso Anth war, der eine Lücke in ihrem Leben füllen musste, doch das würde sie nie zugeben.