Kapitel 1

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Talias Sicht

Mit dem üblichen Schlafmangel stand ich zwei Tage nach dem noch tief in mir sitzendem Abend auf um in die Schule zu gehen. 

Auch wenn mein Schulabschluss so gut wie egal war, da meine Eltern mein Leben schon bis zu meinem letzten Atemzug durch geplant hatten und ich keinerlei Einfluss auf all die schon getroffenen Entscheidungen und Maßnahmen hatte, ging ich nach wie vor fast schon gerne in die Schule, aber auch einfach nur, weil ich lieber dort war als Zuhause, wenn ich das überhaupt noch mein Zuhause nennen konnte. 

Im Grunde genommen fühlte ich mich schon seit meinem 16. Geburtstag nicht mehr Zuhause, nein, es kam auch nicht gerade selten vor, dass ich lieber auf irgendeiner Parkbank schlief als unter einem Dach mit ihm oder meinen Eltern. 

Die einzige, die mich ab und zu dazu brachte, bei meinem Elternhaus aufzutauchen oder länger als zwei Minuten dort zu bleiben, war meine kleine Schwester Lilly, die gerade mal drei Jahre alt war und noch dieses Strahlen auf den Lippen trug, dass ich auf meinen so vermisste. 

,,Heute Abend schläfst du aber dann bitte wieder bei dir Zuhause, Talia okay?'' wurde ich auch gleich von meiner Mutter begrüßt und ließ mich nur schwer nicken. 

Mit 'bei dir Zuhause' meinte meine Mutter offensichtlich die Wohnung, die ihm gehörte. 

Ihm, dem ich quasi schon seit meiner Geburt versprochen war ohne dass ich hätte etwas sagen können und ich hatte es wirklich versucht. 

Ich hatte geschrien, geweint, sie angefleht, doch hatte es nichts bewirkt. 

Rein gar nichts und jetzt konnte ich nur noch hoffen, das meine Eltern endlich einer Gehirnwäsche unterzogen werden oder ich unglücklicherweise von einem Bus überfahren werde, um endlich diesem Leid zu entfliehen. 

Es war nämlich nicht nur so, dass ich mir meine Liebe nicht aussuchen durfte, nein, diese Liebe sollte ich auch noch jemanden schenken, der sie quasi mit Füßen trat. 

Oder er trat mich mit Füßen, wie man es eben sah. 

Er konnte mich nicht ab, ich konnte ihn nicht ab, doch gegen ihn wehren traute ich mich auch nicht. Zu groß war meine Angst. 

Meine panische Angst, doch mittlerweile war ich es leid, sie ihm so offensichtlich zu zeigen und ihn spüren zu lassen, dass er die Macht über mich hatte. 

Ich wollte nicht mehr das hilflose Mädchen sein, dass bei Fremden klingelte um Sicherheit zu bekommen. Ich wollte einfach nur noch meine restliche Zeit in Freiheit bis zu meinem 18. Geburtstag, der leider nicht mehr so weit weg war, genießen ehe ich endgültig ihm gehörte und mein Leben nichts mehr wert war. 

Dieser Abend hatte mich endgültig dazu gebracht, meine Fassade wieder auf zu bauen, die ich leider in seiner Anwesenheit viel zu wenig zeigte, geschweige denn Aufrecht halten konnte. 

Ich war schwach, ja dass wusste ich, doch mussten es die anderen ja nicht auch wissen. 

Es reichte, wenn meine eigenen Gedanken und er mich kontrollierten, es musste nicht auch noch ein Vitus Collister. 

,,Wo ist dein Ring Talia? Du weißt, dass Tom es nicht mag, wenn du nicht zeigst-'' 

,,Das ich ihm gehöre, ich weiß Mama'' unterbrach ich die Frau vor mir, von der ich meine Augen geerbt hatte und ließ diese mich mahnend ansehen. 

Ihr 'Nicht in diesem Ton Fräulein' ignorierte ich gekonnt während ich meine Schuhe anzog und dann die Haustür zu knallte. 

Tief atmete ich ein und aus und setzte dann wie jeden Tag seit unserem Umzug vor einem halben Jahr, mein gekonnt gespieltes Lächeln auf, nur um den Nachbarn und all meinen Mitmenschen zu zeigen, dass ich okay war. 

Nicht dass es jemanden interessierte, aber der Gedanke, dass es jemand könnte, ließ mich dieses Lächeln den ganzen Tag tragen bis ich wieder in der Hölle angekommen war, in der ich das kleine ängstliche Entlein war. 

Mit dem Ziel vor Augen, heute nicht mehr als drei Tränen zu verlieren, stieg ich schließlich in den Bus und fuhr zur Schule.

**

Erst als ich Vitus und seinen besten Freund in der ersten großen Pause auf dem Schulhof sah, setzte ich mir das zweite Ziel, diesen beiden so gut es ging aus dem Weg zu gehen, mit anderen Worten undercover durch die Schule zu schleichen. 

Vielleicht bildete ich mir auch nur ein, dass sie sich suchend nach jemanden umsahen, doch war mir das Risiko, dass sie sich vielleicht doch nach mir umsahen eindeutig zu hoch und so verbrachte ich meine Pause in der hintersten Ecke der Bibliothek und versuchte mich auf den Gängen so unsichtbar wie möglich zu halten. 

Nicht dass es schwierig war. Ich hatte keine Freunde und es sah auch nicht so aus, als würde man mich wahr nehmen. 

Doch mir war das ganz Recht. So konnte niemand mein Geheimnis erfahren und mich würde keiner mehr verlassen können, so wie es leider schon genug Menschen getan hatten. 

Natürlich hatte ich versucht mir Hilfe zu suchen nachdem meine Eltern mich quasi versprochen hatten, doch die Freunde, die damals wohl doch keine gewesen waren, waren schneller weg als ich gucken konnte. 

Ich bekam nur noch komische, fast schon angewiderte Blicke zu spüren. 

Als könnte ich was dafür, dass meine Eltern ein falsches Bild von Liebe haben und denken, dass Geld alles ist. 

Das Geld wichtiger ist als die eigene Tochter, die ihrem 'Verlobten' nicht mal in die Augen sehen konnte ohne diese Panik zu spüren. 

Tom war in den Augen meiner Eltern der perfekte Schwiegersohn, der höflich und gebildet war, schlau und zudem reich, doch in Wahrheit war er einfach nur ein Monster, dass von seinen Eltern zu einem erzogen worden war, ab und zu seine Aggressionen nicht unter Kontrolle hatte und keine Liebe kannte. 

Seine Eltern waren nicht besser als meine, vielleicht sogar noch schlimmer, denn wenn ich mir seinen kleinen Bruder Theo ansah, dann stimmte eindeutig etwas nicht in diesem Elternhaus. 

Doch um mir auch noch um seine und Theos Erziehung Gedanken zu machen, hatte ich einfach nicht die Kraft und wenn ich ehrlich war, hatte ich genug eigene Probleme ohne selbstsüchtig zu klingen. 

Ich war Tom nichts schuldig, er behandelte mich immer hin nicht besser und schien sich auch keinerlei Gedanken darum zu machen, wie es für mich als 17 Jährige war, einen neun Jahre älteren Mann zu heiraten.



Tatsächlich schaffte ich es bis Schulschluss unentdeckt zu bleiben, wobei es mir wahrscheinlich auch zu Gunsten kam, dass ich eine Stufe unter Vitus war und wir dementsprechend auch keinen Kurs zusammen hatten. 

Innerlich hoffte ich mittlerweile einfach, dass er und Joel das Geschehen von Samstag Abend schon vergessen hatten, doch wie ich keine zwei Minuten später fest stellen durfte, war das auch nur eine unrealistische Hoffnung gewesen.


,,Talia?''

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Hey :)

Und hier das erste Kapitel aus der Sicht von Talia :)

1. Was sagt ihr zu? Also was ist so euer erster Eindruck von ihr nach diesem Kapitel?

2. Was sagt ihr von ihren Eltern?

3. Wie denkt ihr wird jetzt die Unterhaltung zwischen Talia und Vitus aussehen?

4. Freut ihr euch auch so, dass jetzt Ferien sind? :D

Ich hoffe euch hat das erste Kapitel gefallen :)

Begegnung buchstäblich ins HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt