Kapitel 48

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Talias Sicht

Vitus und ich hatten den restlichen Abend und die halbe Nacht damit verbracht zu reden, Erinnerungen auszutauschen und einfach jeweils die Nähe des anderen zu genießen, nach der wir uns so sehnten.

Natürlich plagte mich weiterhin die Angst, doch verdrängte ich diese gekonnt und viel mir das in Vitus Nähe auch gar nicht so schwer.

Er lenkte mich eben geschickt mit Geschichten aus seiner Kindheit ab, die auch unter anderem Tränen vor Lachen fließen ließen.

Selbstverständlich kam zwischen all den Geschichten auch die Frage auf, wie meine Kindheit gewesen war, doch hatte ich außer einem traurigen Lächeln gefolgt von der Erklärung „Da gibt es nicht viel zu erzählen" nichts herausgebracht.

Aber es war nun mal die Wahrheit.

Ich hatte kaum etwas als Kind erlebt.

Den Großteil meines Lebens verbrachte ich schließlich damit alleine in meinem Zimmer zu malen und vor mich hin zu träumen, wie es wohl wäre, wenn ich Freunde oder Geschwister hätte.

Mit Lilly hatten mir meine Eltern also insgeheim das größte Geschenk gemacht, dass ich jemals von ihnen hätte bekommen können.

Auch, wenn sie 15 Jahre jünger als ich war und es dementsprechend eine ganz andere Situation war, als mit Geschwistern, die nur wenige Jahre auseinander entfernt sind, würde ich meinen Eltern immer dankbar sein.

Mir war zwar bewusst, dass Lilly ganz sicher nicht geplant gewesen war und meine Eltern nicht nur einmal überlegt hatten, Lilly abzutreiben, doch hatte ich mir erst recht aus diesem Grund die Aufgabe gesetzt gehabt, für Lilly immer da zu sein, damit sie sich niemals so fehl in ihrem Leben fühlt wie ich es bis zu der Sekunde tat, wo ich Vitus zum ersten mal traf.

Schließlich hatte ich an diesem Abend gelernt, dass nicht jeder so war wie Tom und Theo und es Menschen gab, die einfach das Herz am richtigen Fleck hatten.

Und Gott sei dank lernte auch dadurch Lilly kurz darauf den Jungen kennen, der ihr trotz seines jungen Alters wahrscheinlich die Welt zu Füßen legen würde und sie wie eine Prinzessin fühlen ließ.


Während ich also wach neben einem noch schlafenden Vitus in seinem Bett lag und an Elias und Lilly dachte, betrachtete ich dabei wie mechanisch den Ring in meinen Händen, den Vitus mir gestern wieder gegeben hatte.

Als er ihn mir gestern Abend zurück gegeben hatte mit den Worten, dass ich ihn an jenem Abend auf dem Sofa verloren hatte, konnte ich nur fassungslos den Ring angucken.

Ich hatte eigentlich gedacht gehabt, dass ich ihn auf meiner Flucht irgendwie verloren hatte und hatte auch eigentlich gehofft, dass ich ihn nie wieder sehen würde.

Nicht nur, dass er viel zu eng war und mir das Blut abschnürte, nein, er hinterließ auch jedes mal, wenn ich ihn trug, diesen Druck auf meiner Brust, der mir meinen Atem raubte und mich nicht nur einmal nahezu hyperventilieren lassen hatte.

Ich verband schließlich mit diesem Ring Schmerzen, die mich bluten und weinen lassen hatten.

Und auch, wenn ich es nicht wollte, konnte ich nicht verhindern daran zu denken, dass ich in drei Tagen einen Ring tragen müsste, der mich für unbestimmte und qualvolle Zeit an Tom binden würde.

So konnte ich meinen heutigen Geburtstag auch in keiner Weise genießen.

Vor diesem Geburtstag hatte ich schließlich immer nur flüchten wollen.

„Du wirst diesen Ring niemals wieder tragen müssen, Talia" kurz schreckte ich auf, als Vitus sanfte, raue Stimme erklang und sah dann stumm in seine Augen, während er sich neben mir abstützte und mir dann den Ring aus den Händen nahm.

Begegnung buchstäblich ins HerzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt