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Lya

„Lya, hilfst du mir kurz?", rief meine Mutter aus dem Wohnzimmer. „Ja, Mama!" Schnell legte ich das Buch, das ich seit ca. 2 Stunden las, unter meine Bettdecke. Warum musste sie mich ausgerechnet jetzt stören? Seufzend trottete ich die Treppe hinunter und sah sie sofort, wie sie gerade einige Glasscherben aufkehrte. „Dein Bruder..." Sie verdrehte die Augen. Was hatte Fynn denn angestellt? „Er hat die Vase umgeschmissen", erklärte sie mir. Sie redete aber nicht von seinen Kräften...oder? Sie wusste doch nichts davon...oder?! „Was hat er denn gemacht?" Ich versuchte, meine Nervosität zu verstecken, während ich Schaufel und Besen nahm und versuchte, die Scherben aufzukehren. „Ich weiß es nicht. Er dachte wohl, es sei lustig, die Vase umzustoßen, während ich die Wäsche aufgehängt hab..." Sie klang ziemlich genervt. Während sie die Wäsche aufgehängt hatte? Das hieß, sie hatte nichts gesehen... Ich atmete erleichtert aus.

Eine eigenartige, knallblaue Flüssigkeit war nun überall auf dem Boden. Sie war wohl auch aus der Vase gekommen... Ich holte ein Tuch und gemeinsam putzten wir den Boden. Wo war Fynn dann jetzt? Als wir fertig waren, bemerkte ich, dass die blaue Flüssigkeit auch an meinen Fingern klebte. Seufzend ging ich ins Badezimmer. Der Spiegel war genau auf der Höhe der Augen, wenn man sich die Hände wusch. Ich sah meine langen braunen Haare und blauen Augen an. Hatte dieses blaue Zeug etwa auch in meine Haare gespritzt? Plötzlich sah ich nicht mehr mein Spiegelbild, sondern mich selbst, sitzend in der Bibliothek. Fynn und ich saßen in der Bibliothek gegenüber auf dem Boden. Wir hatten unsere Hände aufeinandergelegt. Wieso taten wir das? Doch dann erschien ein kleiner schwarzer Ball über unseren Händen. War das...Magie?

Doch dann sahen wir beide zur Tür. Anscheinend erwarteten wir einen Einbrecher, doch durch die Tür kamen Kailey und Henry. „Lya!" Die Stimme meiner Mutter holte mich wieder aus der Vision. Ich blinzelte ein paar Mal und sah sie vor mir. Sie schüttelte mich an den Schultern. Was machte sie denn da? Ich hörte ein Rauschen im Hintergrund, was mich daran erinnerte, dass ich das Wasser nicht abgedreht hatte. Schnell wand ich mich aus ihrem Griff und tat dies. Hatte sie mich etwa gedreht? Ich hatte doch zuvor in den Spiegel gesehen... „Alles okay? Ich hab mir Sorgen gemacht!" Sie sah mich ängstlich an. Wie sollte ich das erklären? „Tut mir leid, ich war wohl...kurz weggetreten...", war mein Erklärungsversuch. Wieso hatte ich Kailey und Henry in der Bibliothek gesehen? Sie wussten doch nichts davon! Oh, nein...

Fynn

Wie jeden Morgen stiegen Lya und ich aus dem Bus und gingen gemeinsam durch das große Tor, das zu unserer Schule führte. Wie ich Montage hasste... Zuerst gingen wir zu Lyas Spind, da er im 1. Stock war, und dann zu meinem. Plötzlich kam Henry vorbei. Er war früh dran. „Morgen!", rief er. Was war los? Lya sagte gar nichts. Sie sah einfach nur in ihren Spind... Wieso ignorierte sie Henry? War etwas vorgefallen? „Morgen", begrüßte ich ihn statt ihr. Er stellte sich neben sie und fragte, ob irgendetwas los sei. Sie sah ihn zur Antwort nur traurig an. War etwas passiert? Hatte er etwas Dummes gesagt? Ich wusste, dass es irgendwann passieren musste! „Vielleicht solltest du gehen...", schlug ich vor. „Aber wieso? Was habe ich denn getan, Lya?" Er wandte sich wieder ihr zu. Er sollte sie ihn Ruhe lassen! Sie wollte offensichtlich nicht mit ihm reden! „Bis dann, Henry!", rief ich und zog sie am Arm mit nach oben zu meinem Spind. „Alles okay zwischen dir und Henry?", fragte ich sie. Sie nickte nur. „Lya?" Mit gehobener Augenbraue sah ich sie an. „Ich hatte eine Vision", flüsterte sie.

„Was?" Sofort wurde ich hellhörig. „Kailey und Henry haben uns in der Bibliothek gesehen, während wir gezaubert haben" Ich erschrak. Oh, verdammt... Wenn sie es gesehen hatten, hieß das, dass es definitiv eintreten würde... „Deswegen halte ich mich von Henry fern...Ich will nicht, dass er eines Tages in die Bibliothek kommt und... es sieht..." Sie sah traurig zu Boden. „Egal, was wir tun, es wird passieren...", realisierte ich. Sie nickte.

„Achja, pass besser mit den Vasen auf!", riet sie mir. Achja... Unsere Mutter war ganz schön wütend gewesen... Aber woher wusste Lya das? „Du hast es mitbekommen?" Verwirrt sah ich sie an. „Ja, ich durfte die Scherben aufkehren" Ohh... „Du schuldest mir was!", lachte sie. In diesem Moment kam Kailey zu uns und rief: „Hey!" Verdammt, was sollte ich jetzt machen? Ich konnte nicht normal mit ihr reden! „Hi..." „Ist irgendwas?", fragte sie lachend. „Ich muss jetzt los! Bis dann!" Mit diesen Worten verschwand Lya. Sie konnte mich nicht allein lassen! Was sollte ich jetzt tun? Egal, was wir taten, es würde bestimmt passieren... Ich musste einfach ganz normal mit ihr reden! „Was war das denn?" Sie zeigte in die Richtung, in die Lya gegangen war. „Keine Ahnung..." Schnell sah ich wieder in meinen Spind, um vom Thema abzulenken. Sie zuckte nur mit den Schultern. War das Thema beendet? Gut! „Was ging am Wochenende so?" Sie sah mich erwartungsvoll an. „Ähm...", bekam ich nur raus. „Oh, also zuerst wäre ich fast von einem Zug überfahren worden, dann hab ich eine offene Wunde geheilt und ich hab eine Vase umgeworfen, ohne sie zu berühren!" Das sagte ich natürlich nicht. „Hab' eine Vase umgeworfen, meine Mutter war ziemlich sauer", erzählte ich stattdessen. „Wieso hast du denn eine Vase umgeworfen? Wolltest du sie provozieren?" Sie musste lachen. Was? „Es war doch keine Absicht!", verteidigte ich mich. „Ja, schon klar", lachte sie weiter und ging voraus in die Klasse. Ich folgte ihr, nachdem ich meine Bücher aus dem Spind geholt hatte. „Geh' ihr aus dem Weg!", rief irgendeine Stimme in meinem Kopf. Aber wir konnten sowieso nichts gegen die Vision tun! Es würde passieren, egal, was wir taten! Ich veränderte einfach nichts an der Situation. Doch unbewusst fing ich ab diesem Zeitpunkt an, weniger mit Kailey zu reden und sie auszuschließen...

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