Lya
„Was sollte das denn?" Fynn hielt immer noch meinen Arm fest, nachdem er mit mir aus dem Antiquitätengeschäft geflüchtet war. „Okay, er war ein bisschen schräg, aber trotzdem nett!"
„Nett? Dieser Mann ist gefährlich!" Ich hatte doch von Anfang an gewusst, dass er mir nicht helfen würde. Wieso konnte er mir nicht einmal vertrauen? Fynn wusste, dass ich schon immer ein gutes Gespür für Menschen gehabt hatte! Ich wusste schon, wann jemand gefährlich war und wann nicht! Mr. Mills lächelte vielleicht zu viel, aber er war keine Gefahr für uns! Er hatte mir mehr über die verzauberten Schalen und über die Nachrichten erzählen wollen, doch Fynn vertraute ihm natürlich nicht!
„Du bist unglaublich!" Ich stapfte zurück auf den Eingang zu, doch Fynn hielt mich erneut zurück. Ich wollte mich schon losreißen, da merkte ich, dass er ruhiger wurde. Was war mit ihm los? Wo war seine Wut hin? Verwirrt sah ich ihm in die Augen. Er hatte Angst. Wieso das denn? Hatte er Angst vor Mr. Mills?
„Bitte, Lya. Geh da nicht noch einmal rein" Sein besorgter Blick ließ mich nachdenken. Er hatte Angst. Wieso sollte ich seine Angst noch weiter strapazieren, indem wir wieder hineingingen?
„Er ist in Ordnung, wirklich" Ich nickte ihm zu.
„Es ist schon spät. Können wir das zuhause besprechen?" Da hatte Fynn wohl recht. Es dämmerte schon und würde bald finster sein. Unsere Eltern waren wahrscheinlich auch gleich zuhause. Es war wohl am Vernünftigsten, jetzt heim zu gehen.
„Naja..." Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Eigentlich wollte ich wieder dort hinein gehen und mir den Rest von Mr. Mills' Geschichte anhören.
„Bitte lass uns einfach verschwinden, okay?" Er lächelte mich leicht an.
„Okay" Ich lächelte zurück. Wir würden verschwinden. In Gedanken versprach ich mir allerdings, wieder herzukommen. Aber allein. Fynn konnte das anscheinend nicht. Er hatte zu viel Angst. Doch dieses Abenteuer war für mich noch nicht zu Ende!
Ich setzte mich auf mein Bett in unserem Zimmer und Fynn setzte sich auf seines, das auf der anderen Seite des Raumes stand. Den ganzen Weg über hatten wir geschwiegen. Es war eine unangenehme Situation gewesen. Fynn hatte versucht, sich von dem Erlebten zu erholen und sich zu beruhigen. Ich hatte am liebsten wieder umgedreht und Mr. Mills alle meine Fragen gestellt. Normalerweise konnten wir stundenlang über alles Mögliche reden, doch dieser Weg war von peinlichem Schweigen erfüllt gewesen.
Während des Abendessens war ich froh, dass wir nun endlich unsere Eltern dabei hatten, damit Fynn und ich nicht mehr über das Antiquitätengeschäft reden mussten. Aus irgendeinem Grund wollte ich unseren Eltern diesmal nicht von unserem Abenteuer erzählen. Vielleicht, weil ich das Thema nicht erneut aufbringen wollte.
Nun saßen wir auf unseren Betten und das peinliche Schweigen war wieder da. Dann würde ich wohl früh schlafen gehen, um ein erneutes Gespräch darüber zu vermeiden. Das war so eine eigenartige Situation! Wir hatten uns noch nie so lange angeschwiegen! Ich mochte das ganz und gar nicht... Nervös biss ich auf meiner Unterlippe herum. Ich musste etwas dagegen tun.
„Fynn?" Er sah auf. „Tut mir leid wegen heute..."
„Oh. Ist schon okay" Das klang nicht so, als meinte er es ernst.
„Nein, es tut mir wirklich leid. Ich hab einfach nur gedacht, dass Mr. Mills nicht gefährlich ist" Verstand er nun vielleicht meine Sichtweise? Ich hatte einfach kein schlechtes Gefühl dabei gehabt und normalerweise konnte ich mich auf mein Bauchgefühl verlassen.
„Nicht gefährlich?" Fynn sah nicht begeistert über meine Aussage aus. Ich wollte mich nicht streiten, aber ich wollte auch nicht nachgeben...
„Okay, gegen Ende war er ein bisschen gruselig, aber sonst war er nett"
„Ich finde ihn einfach zu gruselig" Fynn sah zu Boden und schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte ihn wohl nicht überzeugen, mir zu helfen. Na, gut, ich hatte Abenteuer schon alleine beschritten. Ich konnte es also wieder tun. Auch wenn ich dadurch Fynn anlügen musste...
Fynn
„Hi!", begrüßte mich meine beste Freundin Kailey, die auf einmal neben meinem Spind stand.
„Morgen!" Ich nahm meine Bücher heraus und räumte sie in meinen Rucksack. Wieso konnte die Schule nicht schon aus sein?
„Wir haben heute die Leicester in Mathe..." Genervt verdrehte sie die Augen. Das hieß, es würde ein ziemlich schlechter Tag werden...
„Juhu..." Sarkastisch jubelte ich. Konnte ich einfach schwänzen? Nein, das war eine dumme Idee!
„Hey, du hast mir gestern nicht zurückgeschrieben!", wechselte Kailey das Thema. Gespielt beleidigt verschränkte sie die Arme vor der Brust. Zurückgeschrieben? Ohh... Das hatte ich vergessen... Ich hatte zwar ihre Nachricht, ob ich ihr meine Unterlagen schicken konnte, gelesen, hatte jedoch nicht geantwortet. Ich hatte nur an dieses Geschäft und Lya denken können.
„Tut mir leid! Das hab' ich voll vergessen...", gab ich schuldig zu.
„Schon okay" Sie löste ihre Arme wieder auf. "Ich brauch die Zettel erst in der 6. Stunde, bis dahin kann ich sie kopieren" Nun wand sie sich zum Gehen, schnappte sich davor aber noch schnell den Zettel, den ich gerade aus meinem Rucksack nahm, und rannte davon.
"Hey!" Nicht schon wieder! Ich brauchte die noch!
"Danke!", rief sie noch und rannte in Richtung Kopierer.
Lachend verdrehte ich die Augen. Manchmal fragte ich mich wirklich, ob wir nur deswegen befreundet waren oder ob es nur ein Vorteil unserer Freundschaft war, dass ich eben immer meine Unterlagen vorbereitet hatte. Ich war immer ziemlich ordentlich und pünktlich, auch wenn meine Noten nicht danach aussahen. Kailey nutzte das oft aus, aber mich störte das nicht. Öfters hatten wir auch schon Probleme bekommen, da wir dieselben Fehler bei einer Hausübung hatten, weil sie bei mir abgeschrieben hatte. Doch sonst war Kailey immer für mich da! Ich fragte mich, ob ich ihr von gestern erzählen sollte... Doch dann rief sofort eine Stimme in meinem Kopf, dass das eine ziemlich dumme Idee war. Wahrscheinlich war es auch eine dumme Idee... Vielleicht irgendwann mal, doch solange ich das mit Lya noch nicht geklärt hatte, wollte ich ihr noch nichts davon sagen.
Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken zu vergessen und schloss endlich meinen Spind. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bald zur ersten Stunde läuten würde. Ich nahm meinen Rucksack und wollte mich gerade auf den Weg in die Klasse machen, als Lya plötzlich neben mir auftauchte.
„Fertig?" Sie stellte sich neben mich. Nebeneinander marschierten wir zum Klassenraum.
„Alles okay wegen gestern?" Lächelnd sah sie mich an. Ich wusste es nicht. Lya hatte erneut eine dumme Idee gehabt, die uns beide in Gefahr gebracht hatte. Würde das wieder vorkommen? Doch jetzt musste ich mich erst einmal auf die Schule konzentrieren. Und Lya auch... Also entschied ich mich dazu, den Streit abzukürzen.
„Kannst du mir einfach versprechen, dass du nicht wieder so etwas Dummes wie gestern machst, ohne mir was davon zu sagen?" Ich lächelte nun auch. Sie überlegte. Warum überlegte sie denn so lang?
„Ich werde nichts Dummes mehr machen, ohne dich davon in Kenntnis zu setzen" Wie bei einem Eid legte sie eine Hand auf die Brust und lachte. Ich hoffte nur, sie meinte das ernst.

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Hexennacht
ParanormalEine mysteriöse Nachricht. Eine rätselhafte Seitengasse. Ein eigenartiges Geschäft. Fynn und Lya sind adoptiert und entdecken plötzlich durch eine einfache Nachricht, dass sie anders sind, denn ihre leiblichen Eltern waren nicht so normal, wie sie...