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Fynn

Ich saß auf der Couch und versuchte, mich mit Fernsehen abzulenken. Unsere Eltern waren zum Glück noch arbeiten. Es war schon so "lang" her, aber ich konnte einfach nicht vergessen, was gestern passiert war... Irgendwie wünschte ich mir jetzt, in der Schule zu sein. Das klang komisch, aber die Schule war der einzig normale Ort für mich.

Kailey und Henry waren ebenfalls hergekommen, da sie sich laut ihnen bei sich zuhause nicht wohl fühlten. Ich verstand das. Lya saß in der Küche und las ein Buch. So wollte sie sich wohl davon ablenken. Jeder von uns versuchte es auf eine andere Weise, doch keiner schaffte es wirklich... Wir mussten darüber reden. Mutig stand ich auf und verkündete: "Leute, ich weiß, es gefällt keinem von uns, aber wir können nicht so tun, als wäre gestern nichts gewesen!" Lya sah von ihrem Buch auf, Kailey sah mich nur verwirrt an und Henry meinte einsichtig: "Du hast Recht, es ist passiert...Wir können es nicht einfach verdrängen..." Lya nickte. "Was war nur mit Arthur los...?" Sie sah traurig zu Boden. Sie hatte ihm wohl am meisten vertraut... "Wir haben ja schon viel schräges Zeug mit euch erlebt, aber das hat echt die Grenzen gesprengt..." Kailey traute sich nicht, uns anzusehen. Sie hatte Recht... So komisch und so gefährlich war es für die beiden noch nie geworden. Wegen uns... Plötzlich klingelte es an der Tür. Ich sah zu den anderen. Ich war am nähesten an der Tür. Also stand ich auf und ging hin. Ohne groß darüber nachzudenken, riss ich die Tür nach innen auf und bereute es sofort wieder. Da stand Arthur vor unserer Tür! Sofort zuckte ich zurück. Wie kam er hierher? Was tat er hier? Was wollte er von uns?

Ich schmiss die Tür ins Schloss und stemmte mich von innen dagegen. Ich wusste, dass das nichts bringen würde, aber ich war in Panik! Die anderen sprangen auch auf und sahen mich verwirrt an. "Arthur. Vor der Tür...", flüsterte ich ihnen zu. Sofort erschraken sie. "Was machen wir jetzt?" Lya bemühte sich, möglichst leise zu sprechen. "Woher weiß er eigentlich, wo ihr wohnt?", warf Kailey ein. Ich zuckte nur mit den Schultern. "Lya, Fynn? Ich denke, ich habe euch einiges zu erklären...", rief Arthur von draußen. Er klang traurig. Wieso klang er nicht mehr so bösartig wie gestern? Was war hier los? "Vielleicht sollten wir ihn erklären lassen..." Lya sah traurig zur Tür. "Was?", riefen wir alle fast im Chor. Wie kam sie auf sowas? "Vielleicht will er sich wirklich nur entschuldigen" Wie konnte sie davon ausgehen, dass das wieder der Arthur war, den wir kannten, und nicht der von gestern? "Es tut mir wirklich leid! Wenn ihr mich erklären lasst, versteht ihr es vielleicht..." Wartete er wirklich immer noch vor der Tür? War das nur ein Trick von ihm, um an das Buch zu kommen? "Wenn er uns hätte angreifen wollen, hätte er das schon getan...", schlussfolgerte Henry nachdenklich. Wollten sie ihn jetzt wirklich reinlassen? Das war Arthur! Der Typ, der uns gestern noch hatte umbringen wollen! "Komm schon, Fynn, wir sollten einmal zuhören und dann urteilen. Außerdem seid ihr Hexen, was soll schon passieren?" Kailey war auch auf deren Seite? Wieso? Ich hatte mein Urteil gefällt! Ich vertraute ihm nicht mehr! Doch was brachte es mir schon? Es stand 3:1... Seufzend öffnete ich die Tür einen Spalt. "Sie wollen wirklich nur mit uns reden?", fragte ich skeptisch. Er nickte heftig. Ich seufzte erneut und öffnete ihm die Tür. Er trat ein und sofort wurde er von allen neugierig beäugt. Als er mir den Rücken zuwandte, erkannte ich, dass er einen Verband um den Hinterkopf trug, der allerdings von seiner Mütze verdeckt wurde. Hatte das der Aufprall gegen die Wand verursacht? Sah so aus... Sollte ich mich schuldig fühlen? Ich schloss die Tür hinter ihm und er begann: "Ich weiß, es gibt keine Entschuldigung für all das, was ich gestern getan habe, aber es gibt eine Erklärung...und ihr verdient eine Erklärung..." Traurig sah er zwischen uns hin und her. Tat es ihm etwa wirklich leid? Was dachte ich denn da? Natürlich nicht! "Darf ich mich setzen?" Lya nickte schnell. Sie war einfach zu nett! Er setzte sich auf den Sessel und wagte es nicht, irgendwem von uns ins Gesicht zu sehen. Wir setzten uns alle gegenüber von ihm auf die Couch und sahen ihn gespannt an. "Ich bin gestern so ausgezuckt, weil...die Magie in mir verrückt gespielt hat..." Warte...was? Welche Magie? Er war ein Hexer? Was?! Doch ohne uns verarbeiten zu lassen, redete er einfach weiter: "Ich hatte einmal Kräfte... Den Pakt mit dem Teufel kann man ja nicht auflösen, aber...bei mir ist er nicht mehr vorhanden, nur noch zu einem kleinen Teil zumindest... Wenn dieser Teil erfährt, dass er wieder vollständig werden kann, übernimmt er die Kontrolle über mich..." Zum ersten Mal sah er wieder vom Boden auf und sah jeden von uns an, während er erzählte. "Dann bin ich nicht mehr ich selbst..." Ich konnte nicht glauben, was ich hörte. Er war ein Hexer? Er hatte uns nur angegriffen, weil er das Buch wollte? Er konnte sich nicht kontrollieren? Ich musste das erst einmal verdauen! "Woher haben...oder hatten Sie diese Kräfte?", fragte Kailey neugierig. Gute Frage! Arthur atmete tief ein, so als müsste er etwas mit großer Wirkung sagen. "Eure Mutter hatte ihre Kräfte von ihren Eltern und...ich auch... Ich bin ihr Bruder" Er sah wieder zu Boden. Moment mal... Der Bruder unserer Mutter... Das hieß ja... "Sie sind unser Onkel?!", rief Lya fassungslos. Er nickte und sah uns endlich wieder an. Er war unser Onkel?! Wieso wussten wir nichts davon? "Jetzt können wir uns doch duzen, oder?" Er versuchte, leicht zu lächeln. "Wieso haben S...hast du uns nie etwas davon erzählt?", rief Lya und ich hörte, dass sie den Tränen nahe war. Das hörte ich an ihrer zittrigen Stimme. "Ich wollte einfach nicht, dass ihr wisst, dass ich der Bruder eurer Mutter bin, sonst hättet ihr herausgefunden, dass ich einmal Kräfte hatte und, dass ich...mich nicht kontrollieren kann... Es hätte niemals dazu kommen dürfen... Es tut mir so leid, glaubt mir!" Mitleidig sah Lya ihn an. Sie würde ihm doch nicht etwa verzeihen? Er hatte uns immer noch angegriffen! Aber das hieß doch auch... "Das heißt, unsere Eltern und Sie...waren alle Hexen?", fragte ich nach. "Nein. Euer Vater war nur immer dabei, wenn Juna und ich Zauber ausprobiert haben" Nostalgisch sah er in die Ferne. "Unser Vater war also gar kein Hexer?" Verwirrt sah ich ihn an. Er war ein Mensch? "Aber dann seid ihr ja nur zur Hälfte Hexen", erkannte Henry erstaunt. Arthur nickte. Nur zur Hälfte? Das war alles so viel Information! Ich atmete einmal tief ein und wieder aus. "Arthur, ich verstehe das, aber...Sie haben uns immer noch angegriffen und...tut mir leid, aber ich kann Ihnen jetzt nicht mehr vertrauen..." Er sah mich etwas erschrocken an. Es war die Wahrheit! Er hatte uns so vieles verschwiegen und erwartete, dass jetzt alles wieder gut war? Oh, nein! Er nickte. "Ich verstehe das. Aber glaubt mir, ihr braucht die ganzen Zauberbücher! Ohne die könnt ihr euch niemals fortbilden! Auch, wenn ihr mich nicht mehr sehen wollt, braucht ihr die Bibliothek!" Er klang richtig verzweifelt, aber das war mir irgendwie egal! "Okay, wir finden schon einen Weg, an Bücher ranzukommen. Wir brauchen Sie nicht dafür" Er erschrak. War ich zu weit gegangen? "Fynn!", zischte mir Lya wütend zu. Ich erschrak vor mir selbst. Das war dumm gewesen... "Ich verstehe schon, dann gehe ich lieber..." Ich sah ihm etwas traurig nach, als er aufstand und zur Tür ging, doch ein anderer Teil von mir war auch froh, ihn vertrieben zu haben. War das das Richtige? Wieso fühlte es sich so falsch an?

Lya

Ich sah zu Fynn. Wie konnte er so etwas sagen? Und das nachdem wir erfahren hatten, dass er unser Onkel war! Unser einziger bekannter Verwandter! Leiblich zumindest... "Arthur...", begann ich, doch er war bereits durch die Tür verschwunden. Verdammt... Wieso hatte er uns all das nie erzählt? Er war unser Onkel? Ich konnte nicht mehr! Jetzt fehlte nur noch, dass mir jemand erklärte, dass Fynn gar nicht mein Bruder war oder unsere Adoptiveltern doch unsere echten Eltern waren! Dann würde mein komplettes Leben auf den Kopf gestellt werden! Doch es war auch so schon kompliziert genug... Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte nicht mehr an all das denken! Ich wollte alles aus meinem Kopf löschen und nie wieder darüber nachdenken! "Lya?" Henrys Hand auf meiner Schulter riss mich aus meinen Gedanken. "Hm?", machte ich nur geistesabwesend. "Alles okay?" Er klang besorgt. Ich drehte mich zu ihm und sah ihn an. Ich wusste es nicht... Es war mir einfach alles zu viel geworden... "Ich...ich geh mal hinauf...", gab ich nur von mir und trappelte zu den Stufen. Oben angekommen setze ich mich auf mein Bett und wusste nicht, was ich tun sollte. Ich wollte einfach so tun, als wusste ich nicht, dass Arthur unser Onkel war, doch es ging diesmal nicht... Ich hatte schon so oft alles verdrängt, es ging nicht mehr... Ich atmete tief ein und aus. Was war mit mir los? Ich konnte nicht weinen, ich konnte nicht schreien. Ich konnte nichts tun. Ich wusste nicht, was los war... Plötzlich klopfte es an der Tür und ich zuckte zusammen. "Ja?" Als ich das sagte, merkte ich, wie mein Hals kratzte. Woher kam das denn? Ich fühlte mich vollkommen ausgelaugt. Henry trat ein und sah mich mitleidig an. Mitleid. Das brauchte ich jetzt überhaupt nicht. "Spar' dir das Mitleid bitte..." Ich hob eine Hand, wie ein Polizist, der eine Stopp-Tafel hochhielt. Wow, das hatte ich noch nie ausgesprochen... Vor allem nicht zu Henry... Doch er verstand es und nickte. "Willst du darüber reden?" Er schloss die Tür hinter sich. Ich überlegte. Keine Ahnung... "Ehrlich gesagt weiß ich es nicht...", bekam ich nur raus. Er setzte sich neben mich auf mein Bett und starrte an die Stelle, an die ich auch starrte. Ich wusste nicht, was ich fühlte. War ich wütend? Nein. Naja, vielleicht auf Arthur, weil er uns nicht erzählt hatte, dass er unser Onkel war und uns angegriffen hatte. Aber sonst... Nein. War ich traurig? Nein. Worüber denn auch? Also was war mit mir los? Die Welt ergab keinen Sinn mehr für mich. So fühlte ich mich also: Nichts machte mehr einen Sinn. "Wie geht's dir eigentlich?", fragte er auf einmal nach langem Schweigen. "Keine Ahnung... Auf lebensverändernde Ereignisse kann ich in den nächsten Tagen verzichten..." Ich winkelte meine Beine an und legte meinen Kopf hinein. "Versteh ich..." Was sollte ich jetzt tun? Wie sollte ich all das verarbeiten? "Soll ich gehen?", fragte er mich. Nein! Sofort hob ich meinen Kopf und sah ihn an. Der mitleidige Blick war wieder da... "Nein..." Plötzlich bemerkte ich, wie mir eine Träne die Wange hinunterfloss. Ich war fast schon froh, endlich irgendein Gefühl zu zeigen. Ohne irgendeine Vorwarnung umarmte Henry mich plötzlich. Ich war zwar überrascht, freute mich aber unterbewusst darüber. Wir saßen eine gefühlte Ewigkeit so da, bis wir uns irgendwann voneinander lösten und er mir riet, eine Nacht darüber zu schlafen. Ich nickte. "Da hast du wohl Recht" Er lächelte und ging zur Tür. Müde lehnte ich mich zurück und ließ mich in meinen Polster sinken. Ging es mir jetzt besser? Ich wusste es nicht... Ich seufzte. Wann war alles so kompliziert geworden?

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Ich hab sehr lange überlegt, ob ich diese Wendung mit Arthur und so einbauen soll. Also... Wie immer: Lasst mir gerne eure Kritik da!:)

Eure Jellie

HexennachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt