Lya
„Was glaubt ihr mir?"
„Dass wir Hexen sind" Fynn seufzte. Es klang so eigenartig, aber es war auch die einzige Erklärung, die Sinn machte. Wollte ich denn eine Hexe sein?
„Na, endlich!" Da war wieder sein recht normales Lächeln.
„Sie haben die ganze Zeit die Wahrheit gesagt..." Fynn schüttelte ungläubig den Kopf. Oh, mein Gott. Wir waren Hexen... Das kam bei mir gerade das erste Mal wirklich an.
„Natürlich hab ich die Wahrheit gesagt!" Er lachte und nahm seine Hand wieder zurück.
„Also sind wir wirklich Hexen?" Ich sah ihn genauso ungläubig an wie Fynn. „Das ist keine Ihrer Geschichten?"
„Ja! Ich habe euch nie nur Geschichten erzählt" Zufrieden lächelte er.
„Okay..." Das war alles so eigenartig... Ich musste das kurz einmal verarbeiten und fuhr mir kurz übers Gesicht. Aber irgendwie war das Ganze auch echt cool.
"Dann können wir ja eure Kräfte trainieren! Worauf habt ihr Lust?" Ich sah zu Fynn, der nur mit den Schultern zuckte. Wir hatten genug Zeit. Unseren Eltern hatten wir erzählt, dass wir alles verarbeiten mussten. Sie würden also nicht in nächster Zeit mit uns rechnen.
„Dann üben wir heute das Heilen!" Erfreut sah er uns an. Cool!
Fynn wollte schon Einspruch erheben, doch da drehte Arthur sich schon zum Bücherregal hinter ihm. Ich nahm an, dass er ein Buch suchte, also störte ich ihn erstmal nicht. Ich war gespannt, was er uns jetzt beibrachte. Einerseits wollte ich das alles nicht akzeptieren, andererseits wollte ich doch wissen, was mit uns los war. Fynn sah eher genervt davon aus. Doch wenn wir wissen wollten, wie wir diese komischen Kräfte kontrollieren konnten, mussten wir wohl mit Arthur klar kommen. Schon drehte er sich wieder zu uns um. Doch auf einmal bemerkte ich, dass er ein Messer in der Hand hielt. Sofort läuteten bei mir alle Alarmglocken.
„Woah! Arthur, wofür brauchen Sie das?" Fynn machte einen Schritt zurück. Was machte er denn da? Ich konnte nur wie erstarrt auf das Messer in Arthurs Hand sehen.
„Oh! Nein, es ist alles gut, Kinder! Wir üben nur das Heilen!" Er lächelte immer noch. Was hatte er dann mit dem Messer vor? Doch bevor wir ihn aufhalten konnten, nahm er das Messer und schnitt sich in den Unterarm.
Ich schrie kurz auf. Was, verdammt nochmal, machte er da? Wieso tat er das? War er doch verrückt?
„Was machen Sie denn?" Fynn klang ebenfalls ängstlich. Wir liefen sofort zu ihm und sahen auf seine frische Wunde. Blut quoll daraus hervor, er hatte wohl sehr tief geschnitten. Oh, mein Gott! Wieso hatte er das getan? Ich hatte kein Problem mit Blut, doch ich wollte nicht auf seine frische Wunde sehen und drehte meinen Kopf weg.
„Ich hole einen Verband!", rief Fynn und wollte schon nach oben rennen, als Arthur ihn zurückrief.
„Wir brauchen keinen Verband. Ihr werdet mich heilen" Er drückte mittlerweile mit seinem anderen Arm auf seine Wunde, lächelte uns aber immer noch an. Heilen? Das gehörte alles zum Training? Das war aber die eigenartigste Trainingsmethode der Welt...
„Sie sind verrückt! Wir können sie nicht heilen! Wir können das nicht!" Fynn schrie ihn richtig an.
„Wie soll das denn überhaupt gehen?", fragte ich etwas verzweifelt.
„Kommt schon, Kinder. Ihr könnt das" Er nickte uns zu. „Ihr haltet eure Hände über die Wunde und stellt euch vor, wie die Magie meine Wunde verschließt" Wie konnte er so ruhig bleiben? Sein Arm war offen! Ich atmete tief durch und tat zögerlich, was er beschrieben hatte. Ich wollte nicht, dass er weiterhin blutete und wenn er glaubte, dass es funktionierte, dann würde ich es versuchen! Langsam legte ich meine Hand über seine Wunde.
„Wenn ihr beide mithelft, geht es schneller und leichter", erklärte er immer noch seelenruhig. Ich sah zu Fynn, der ihn immer noch skeptisch ansah.
„Fynn, wir können ihn nicht bluten lassen. Wir müssen es doch versuchen..." Konnte ich ihn überzeugen? Er seufzte und verdrehte kurz die Augen, legte aber dann aber auch seine Hände über die Wunde. Ich musste dankbar lächeln.
Fynn
„Keine Sorge, ich helfe euch. Jetzt müsst ihr eure Augen schließen, damit ihr euch besser konzentrieren könnt" Wir taten wie uns aufgetragen und stellten uns vor, wie die Wunde wieder zusammenwuchs. Eine etwas ekelhafte Vorstellung, doch es musste sein. Warum hatte Lya mich dazu gezwungen? Doch ich dachte nicht mehr an sie oder Arthur, sondern nur an die Wunde, die sich gleich schließen würde. Ich spürte, wie die Kraft, dich ich heute Morgen auch auf dem Dachboden gespürt hatte, wieder durch mich floss. Plötzlich zischte Arthur kurz auf, zog seinen Arm aber nicht weg. Doch das irritierte mich so sehr, dass ich meine Augen öffnete und zu ihm sah. Neugierig nahm ich meine Hände weg, um auf seine Wunde sehen zu können.
Ich traute meinen Augen nicht. Die Haut war bereits fast wieder normal. Kleine Hautfasern schlugen übereinander und woben alles wieder zusammen. Die Wunde verheilte langsam, bis nur noch ein paar Blutflecken auf Arthurs Arm übrig blieben. Mit offenem Mund starrte ich auf seinen Arm. Hatten wir das geschafft? Ich sah zu Lya, die ebenfalls ihre Hände zurückgezogen hatte. Ängstlich starrte sie auf die nun geschlossene Wunde.
„Danke, Fynn" Arthur rieb sich den nun geheilten Arm. Was war mit Lya gewesen?
„Ich war das doch nicht allein", lachte ich.
„Doch" Lya sah zu Boden. Zuerst lachte ich vor Freude, da ich es geschafft hatte. Ich hatte das gemacht! Ich hatte Arthur geheilt! Doch dann wurde mir klar, dass das hieß, dass irgendetwas mit Lya nicht stimmte. Hatte sie das Heilen gar nicht erst versucht? Aber sie hatte doch gesagt, dass wir uns auf Arthur einlassen wollten!
„Warum hast du nicht mitgemacht?" Ich klang wie ein trotziges Kind, doch ich wollte es wissen.
„Ich hab's versucht, aber ich...hab irgendwie... gespürt, dass ich nicht stark genug bin..." Verwirrt sah sie auf ihre Hände. So etwas ging? Aber das hieß ja, dass sie auch diese Kraft in uns spürte!
„Das ist überhaupt nichts Schlimmes! Jede Hexe und jeder Hexer hat etwas, in dem er gut ist und in anderem ist er eben nicht so gut. Das ist normal!" Normal? Nichts an all dem war normal! Wir waren Hexen! Das war die einzig logische Erklärung für das alles!
„Das war schon sehr gut, Fynn. Aber es ist immer noch ausbaufähig" Arthur legte mir eine Hand auf die Schulter. In dem Versuch, höflich zu bleiben, machte ich einen Schritt von ihm weg, sodass seine Hand von meiner Schulter fiel. Doch zum Glück störte es ihn nicht, denn er hatte bereits eine neue Idee.
„Wisst ihr was? Ihr solltet euch ein Grimoire mitnehmen!" Überrascht sah ich Arthur an. „Um mehr über eure Kräfte zu lernen, bis wir uns wieder sehen" Wollte ich denn mehr darüber lernen? Es war alles unglaublich interessant zu hören gewesen. Doch jetzt, wo wir wussten, dass alles real war, war es gruselig. Aber er hatte wohl recht. Wir mussten erfahren, wie wir uns kontrollieren konnten. Ein Buch konnte da vielleicht etwas ändern.
„Kann so ein Buch uns denn helfen?" Lya zweifelte anscheinend.
„Natürlich! Ich gebe euch ein einfaches für den Anfang!", verkündete er, stand auf und sah sich eines der Bücherregale neben der Tür an. Dann war es jetzt wohl offiziell. Wir würden lernen, wie man zauberte...
Bevor wir gingen, musste Lya anscheinend noch eine Frage loswerden: „Achja, Arthur? Sie haben uns alles erzählt, was Sie über unsere Eltern wissen, oder?"
„Ja" Er nickte und sah zu Boden. Anscheinend nahm ihn das Ganze genauso mit wie uns. „Mehr weiß ich nicht"
„Danke..." Diese Antwort hatte sie sich sicher nicht erhofft. Und ich mir auch nicht...

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Hexennacht
FantastiqueEine mysteriöse Nachricht. Eine rätselhafte Seitengasse. Ein eigenartiges Geschäft. Fynn und Lya sind adoptiert und entdecken plötzlich durch eine einfache Nachricht, dass sie anders sind, denn ihre leiblichen Eltern waren nicht so normal, wie sie...