Fynn
Ich rannte um die nächste Straßenecke. Wieso hatte Lya das getan? Was hatte sie nur vor? Ich rannte weiter geradeaus. Bald würde ich am Bahnhof sein. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Und unsere Eltern hatten auch noch zugestimmt? Warum hatten sie es mir erst jetzt erzählt? Wann hatte Lya das beschlossen? Vorhin schon, als Arthur bei uns war? Ich bog ein letztes Mal ein und rannte zum Bahnhof. Wo war Lya nur? Ich rannte auf den Bahnsteig, auf dem ich sie vermutete und suchte sofort nach ihr. Da! "Fynn?" Verwirrt drehte sie sich zu mir. "Lya, was machst du hier?" Sie sah schuldig zu Boden. Wieso tat sie das? "Ich weiß, du willst zu Oma fahren, aber... Wieso willst du unbedingt weg von hier?" Etwas traurig sah ich sie an. Ich fühlte mich verletzt. Ja, ich! Fynn Summers fühlte sich verletzt! Sie wollte mich allein lassen. Das machte mir an sich nichts aus, doch wir hatten in letzter Zeit so viel erfahren und sie verschwand einfach! "Weil es mir zu viel wurde, okay?" Wieso klang sie so wütend? Sie hatte keinen Grund wütend zu sein! "Ach, und mir nicht, oder wie?" Wutentbrannt starrte ich ihr in die Augen. Ich hatte genau dasselbe Recht, wütend zu sein! Wenn nicht sogar noch mehr!
"Was? Nein, ich wollte nur..." Doch ich unterbrach sie: "Verdammt, Lya! Es geht nicht immer nur um dich! Ich weiß, du willst weg von dem Ganzen, aber das will ich vielleicht auch! Entweder wir bleiben beide oder wir gehen beide!" Ich musste mich wieder beruhigen, ich schrie sie fast schon an... "Du erinnerst mich an all das hier! Ich wollte absichtlich von dir weg!" Sie wollte von mir weg? Wow... "Gut, dann geh...", gab ich nur geknickt zurück. Ich wollte nicht mehr diskutieren. "Gut" Sie sah mich ausdruckslos an und ging dann den Bahnsteig ein Stück entlang, um von mir wegzukommen. Ich seufzte. Ich hatte nicht gewollt, dass es so endete... Es war einfach ein schwieriges Thema für uns beide... Ich entschied mich, ebenfalls wieder nach Hause zu gehen. Ich wusste nicht, mit wem ich reden sollte. Normalerweise rief ich Lya an, wenn ich mit jemandem stritt... Ich konnte Kailey anrufen! Schnell tippte ich auf ihren Kontakt und rief sie an. "Hey" Sie klang gestresst. "Hey! Ich weiß, es ist spät, aber...machst du gerade irgendwas Wichtiges?" Klang ich sehr verzweifelt? "Fynn, was ist los?" Okay, ich hatte ihre Aufmerksamkeit!
"Und sie ist einfach so zu eurer Oma gefahren?", fragte sie erstaunt nach meiner Erzählung. "Ja... Ich verstehe es ja irgendwie, aber... sie tut so, als wäre sie die einzige, der das passiert..." Wow, ich ließ ja richtig meine Gefühle raus... Ungewohnt... "Und...geht sie dann morgen in die Schule? Ich meine, einen Tag hat sie noch vor dem Wochenende, will sie einfach schwänzen?" Da hatte Kailey Recht... Würde sie morgen überhaupt in die Schule kommen? "Keine Ahnung. Sie sah ganz schön sauer aus..." Wieso tat sie das nur? "Ach, Fynn...", seufzte sie, "Willst du dich treffen und darüber reden?" Keine schlechte Idee... Vielleicht wollte ich das wirklich... "Klar, wieso nicht? Geht's bei dir?" "Ich denke nicht, hier sind eindeutig zu viele Leute. Bei dir werden deine Eltern sein..." "Wie wär's, wenn wir einfach spazieren gehen?" Ein bisschen frische Luft und darüber sprechen tat mir sicher gut. "Nein! Es ist viel zu kalt! Treffen wir uns in der Schulbibliothek!" Das war eine gute Idee! Mit unseren Schülerausweisen konnten wir zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Schulbibliothek. Da es schon fast 20:00 Uhr war, war dort wohl auch keiner mehr. "Okay, wir sehen uns dort!" Ich legte auf. Zum Glück war ich gerade ziemlich in der Nähe einer Bushaltestelle, die zu unserer Schule führte. Ich stellte mich also zur Haltestelle, um zu warten und sofort schwirrten meine Gedanken wieder umher. Wieso war Lya einfach so weggegangen? Wichtigere Frage: Wieso hatte ich sie so angeschrien?
Lya
"Ich bin egoistisch? Ich bin doch nicht egoistisch! Wenn hier jemand egoistisch ist, dann ist das ja wohl Fynn!", schrie ich in mein Handy hinein, während ich die dunkle Gasse entlang ging. "Mhm", machte Henry zustimmend am anderen Ende der Leitung. "Außerdem denk' ich ja wohl nicht immer, dass es nur um mich geht!" Fynn war so wütend geworden! Nur, weil ich eine Auszeit brauchte! "Genau" Henry seufzte durch mein Handy. Langweilte ich ihn? Ich wollte nur alles raus lassen... Ich atmete tief ein und aus. Vielleicht hatte Fynn doch Recht... Vielleicht ging es nicht immer nur um mich... Warum war ich nur so wütend gewesen? In der Ferne sah ich schon das Haus meiner Oma. Ich war gleich da. "Henry, ich bin gleich da. Wir sehen uns morgen, okay?" "Okay, gute Nacht!" Damit legte er auf. Als ich beim Haus angekommen war, klopfte ich an die rot gestrichene Tür. "Lya, Schätzchen!" Meine Oma öffnete mir die Tür und umarmte mich sofort. Sie trug einen pinken Bademantel. Hatte sie mich nicht erwartet? Ich war noch etwas wütend wegen des Gesprächs mit Fynn und brachte nur ein leises "Hallo, Oma" raus, erwiderte aber die Umarmung und drückte mein Gesicht in ihre bereits weißen Haare. "Komm rein, setz dich hin!" Sofort fühlte ich mich durch ihre enthusiastische Stimme besser und musste lächeln. Ich legte meine Tasche im Vorzimmer ab und zog meine Schuhe aus. Hinter mir schloss sie die Haustür und ging in die Küche. Ich setzte mich währenddessen auf ihre Couch und wartete. Dadurch, dass ich endlich wieder diese Normalität fühlte, die mir so sehr gefehlt hatte, machte sich eine Wärme in mir breit. Es erinnerte mich an all die Male, die ich schon hergekommen war. Alles war normal. Sie brachte mir ein Glas Wasser und setzte sich neben mich. "Ich hab auch Kekse gemacht", erklärte sie mir fröhlich. Hatte? Wieso hatte sie sie bereits gemacht? "Wusstest du, dass ich komme?" Etwas verwirrt sah ich sie an und trank einen Schluck aus dem Glas, das sie mir so nett gebracht hatte. "Ach, Alexandra hat mich vorhin angerufen" Oh! Meine Mutter, also ihre Schwiegertochter, hatte sie angerufen! Das ergab Sinn... "Achso!", lachte ich. "Sie hat gesagt, du wolltest mich einfach so besuchen, aber ich denke ja, du wolltest dir etwas von der Seele reden" Eindringlich sah sie mich an und ich fühlte mich, als müsste ich ihr alles erzählen. Das ging aber nicht! Niemals konnte ich ihr alles erzählen! Ich spürte einen Kloß, der plötzlich in meinem Hals auftauchte, und konnte überhaupt nichts mehr sagen. Sie hatte Recht. Ich wollte ihr so gern alles erzählen, doch das ging einfach nicht... Sie würde es bestimmt unseren Eltern sagen... Angespannt versuchte ich, den Kloß in meinem Hals wieder loszuwerden und den gerade eintretenden Schweißausbruch zu verhindern. "Ich hab...mich mit Fynn gestritten...", bekam ich endlich raus. Das war zumindest ein Anfang! "Ohje, worum ging es denn?" Ihre Stimme war so weich und freundlich und ich konnte es ihr trotzdem nicht erzählen... Es ging einfach nicht... "Ich...geh mal meine Sachen auspacken und vielleicht ein bisschen schlafen..." Ich konnte nicht mehr mit ihr darüber reden... "Ich erzähl's dir nachher, okay?" Sie nickte einfühlsam. Ich nahm das Glas Wasser und meine Tasche und ging zu den Stufen. "Bis nachher" Sie lächelte mich an und ging wieder in die Küche.
Oben angekommen stellte ich zuerst das Glas auf das Bett, packte meine Sachen aus und suchte sofort nach irgendwas gut Riechendem, was meinen kleinen Schweißausbruch von vorhin überdecken würde, wobei ich gleichzeitig die Uhrzeit auf meinem Handy bemerkte. 19:26 Uhr. Wieso hatte ich das Gefühl, irgendwas tun zu müssen? Was war denn um 19:26 Uhr? Diese Uhrzeit kam mir so bekannt vor! Da fiel es mir ein. Ich hatte eine Vision gehabt! Sofort wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich rannte zu meiner Tasche und suchte nach dem Teleportationsstein, den ich heimlich eingesteckt hatte. Wer hatte gedacht, dass ich ihn wirklich brauchte? Hoffentlich suchte Oma nicht nach mir, während ich weg war... Ich wusste nicht mal, was ich genau tun würde! Doch laut meiner Vision brauchte Fynn meine Hilfe... Ich nahm den Stein und das Glas Wasser in die Hand. Doch da bemerkte ich, dass ich den Ort, an dem Fynn war, noch nie gesehen hatte... Wie sollte ich mich teleportieren ohne ein genaues Bild von Fynns Standort? Aber ich hatte es doch in der Vision gesehen... Funktionierte das auch? Einen Versuch war es wert!

DU LIEST GERADE
Hexennacht
ParanormalEine mysteriöse Nachricht. Eine rätselhafte Seitengasse. Ein eigenartiges Geschäft. Fynn und Lya sind adoptiert und entdecken plötzlich durch eine einfache Nachricht, dass sie anders sind, denn ihre leiblichen Eltern waren nicht so normal, wie sie...