Damals 19.02.2016

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Art

Sprachnachricht gesendet 18.02.2016,um 23:56.

,,Art,du musst sofort kommen. Bitte. Jamie dreht durch. Er zerschlägt hier alles,er ist betrunken,bitte Art,wenn du das hörst,dann komm."

Alis Stimme klingt brüchig,leise und schmerzerfüllt. Meinen Namen aus ihrem Mund zu hören,mit so viel Gefühl und Schmerz,tut mir weh.

Ich höre Jamie laut im Hintergrund schreien. Er brüllt wirres Zeug und ich höre Glas zerschmettern.

Sie brauchen mich. Jamie und Alison brauchen mich. Mein Herz schlägt mir wild gegen die Brust,weil ich nicht weiß,was ich jetzt tun soll. Es ist mitten in der Nacht,alle schlafen schon.

Soll ich Alison eine SMS schreiben oder Jamie? Soll ich einer der beiden anrufen? Soll ich es ignorieren und darauf hoffen,dass er sich beruhigt?

Ich höre mir die Sprachnachricht um die hundert mal an. Versuche mir einzureden,dass sie das hinbekommt mit ihm,dass sie es alleine schafft,doch es wird immer schlimmer. Mein Gewissen droht mich zu zerreißen.

Der Schmerz durchzuckt mich bis tief in mein Inneres. Ich kann sie nicht ignorieren,nicht wenn sie weint,nicht wenn Jamie schreit,nicht wenn beide mich brauchen.

Mit zitternden Händen öffne ich die Tür. Mein ganzer Körper bebt vor Anspannung. Ich laufe zu der gegenüberliegenden Tür und klopfe leise an,bevor ich das Zimmer betrete. Ich schalte das Licht an und warte darauf,dass Mckenny aus ihrem Schlaf aufwacht.

Sie reißt die Augen auf,setzt sich kerzengerade auf. ,,Ist was passiert? Geht es dir nicht gut?"

,,Ich..ich muss nach Hause. Meinen Geschwistern geht es nicht gut,sie brauchen mich. Ich wollte mich von dir verabschieden und mich für alles bei dir bedanken"

Sie nickt verständlich und steht von ihrem Bett auf. ,,Dann lass uns fahren"

,,Du.. du musst mich nicht fahren. Ich kann die Bahn oder den Bus nehmen. Es ist wirklich inordnung."

,,Ich möchte dich fahren. Du bist keine Last für mich Art. Die Zeit mit dir hat mich an die Zeit mit Maddy erinnert und dafür danke ich dir"

Wir stehen vor dem Haus,was einmal mein Zuhause gewesen ist. Mehrere Stunden sind vergangen. Stunden in denen ich nur in dem Auto gesessen und aus dem Fenster gestarrt habe.

Ich habe mehrere Panikattacke erlitten. Immer wenn ich aus dem Wagen steigen wollte,haben meine Beine nachgegeben. Ich konnte einfach nicht aussteigen,ich hatte Angst,schreckliche Angst.

Jetzt gerade versuchte Mckenny mich zu beruhigen. Sie redete auf mich ein,leise,sanft und doch klang ihre Stimme für mich wie hysterisches Geschrei.

Mein Gehirn verarbeitete alle Informationen falsch. Leise Töne wurden laut,helle Farben dunkel.

,,Atme. Ein und aus. Ein und aus. Denk an etwas schönes,etwas das dich glücklich macht."

,,Ich.. ich bekomme keine Luft",hechle ich. Es fühlte sich an,als würde mir jemand die Luft zum Atem nehmen,als würde mich jemand erwürgen.

Mein Herz pochte,so unglaublich schnell,dass ich Angst habe jeden Moment zu sterben.
Ich sah mein Leben schon an mir vorbei ziehen.

Meine Hände zu Fäusten geballt,die Nägel fest in meine Haut vergraben. Mein Kopf dröhnte,die Stimmen laut.

,,Es spielt sich alles nur in deinem Kopf ab,hörst du? Es ist nicht real"

Genau das ist das schlimmste,nicht zu wissen was real ist und was nicht. Ich weiß nicht,ob ich gerade tatsächlich in diesem Wagen sitze oder nicht. Ich weiß nicht,ob Mckenny gerade etwas gesagt hat oder ob ich es mir nur eingebildet habe.

Und dann sind da noch diese Stimmen. Fremde,laute,schreiende,Stimmen. Sie zerschmettern mir den Kopf,zerstören mein Trommelfell. Ich schüttle den Kopf,heftig.

,,Die Stimmen sind nicht real,kämpf dagegen an. Dräng sie in den Hintergrund,genau dort gehören sie hin"

Ich schließe die Augen. Versuche zu atmen und mich auf die Stimme von Mckenny zu konzentrieren. Ich lausche ihren Worten,auch wenn es anstrengend ist sie unter all den Stimmen zu verstehen.

,,Atmen. Kämpfen. Nicht real. Sind die Worte die zu mir durchdringen. Die Stimmen sind nicht real. Die Angst ist nicht real. Ich höre sie nicht,denn sie existieren nicht. Ich bin in Sicherheit.

Ich reiße meine Augen auf und sehe Mckenny an. Sie sitzt neben mir,sie ist real,die Stimmen nicht. ,,Sie sind nicht real. Die Stimmen sind nicht real",flüstere ich und sie nickt.

,,Du sitzt in einem Auto,neben mir,alleine. Keiner redet bis auf mir,verstehst du das?"

Langsam nicke ich,kehre in die Realität zurück. Ich kann wieder atmen,kann wieder richtig sehen und denken.

,,Lass uns noch kurz hier sitzen bleiben,bevor du gehst,okay?" Und ein weiteres Mal nicke ich.

Keiner sagt etwas,es ist still,fast schon unangenehm still. Ich will was sagen,doch schließe meinen Mund sofort wieder.

,,Weißt du,du erinnerst mich sehr an Maddy",flüstert jetzt sie. ,,Was..was ist mit ihr passiert?" Sie sieht mich kurz an,ihr Gesicht schmerzverzerrt.

,,Ich habe dir erzählt,dass mein Mann psychisch krank war. Er kämpfte anfangs mit Depressionen. Sie wurden immer schlimmer,er konnte weder arbeiten,noch das Haus verlassen. Man musste ihm nur ins Gesicht sehen und sah wie schlecht es ihm ging.

Ich habe ihm versucht zu helfen,zu unterstützen,doch er war nicht stark genug.
Er hat sich vor einen Zug geworfen. Es hat mich beinahe umgebracht. Ich habe ihn so sehr geliebt und nun war er nicht mehr da,mein Herz war gebrochen.

Ich weiß nicht,ob Maddy schon vorher an leichten Depressionen gelitten hat oder ob der Auslöser dafür der Tod ihres Vaters war. Sie hat sich immer mehr zurückgezogen. Sie hat immer geweint,konnte nicht schlafen oder essen. Nachts ist sie schreiend aufgewacht.

Ich wollte Ihr helfen,ich wollte ihr so sehr helfen,dass ich sie einweisen ließ. Ich wollte keine zweite Person verlieren,die ich liebe und doch habe ich es. Sie hat sie erhängt,ich habe sie gefunden.

Ich werde niemals ihr bleiches Gesicht vergessen. Ich werde keinen von beiden jemals vergessen,denn ich liebe sie,selbst wenn es schmerzt.

Du bist nicht alleine Art. Du bist stark,stärker als die zwei es waren. Du kämpfst schon so lange und bist noch hier. Du konntest die Stimmen aus deinem Kopf zurückdrängen,dass konnte Maddy nicht.

Ich will dir damit sagen Art,dass ich dir helfen will,dass ich es muss. Ich bin Therapeutin geworden um Menschen zu helfen,denen es so geht wie meinem Mann oder meiner Tochter. Ich möchte helfen,bevor es zu spät ist.

Ich habe es ihnen versprochen. Ich habe es meinem Mann geschworen,dass ich Therapeutin werden würde. Also bitte Art,wenn es dir nicht gut geht,wenn du an Dinge denkst,die du nicht denken solltest,dann ruf mich an"

Ich sehe zu ihr,ihr Gesicht Tränen übersät.
,,Ich danke dir für alles Vanessa" Ich ziehe sie in meine Arme und umarme sie. Sie braucht es,ich brauche es. Sie klopft mir auf den Rücken und lächelt mir zu.

,,Geh zu deiner Familie,denn sie ist das wertvollste was man besitzen kann"

,,Danke",flüstere ich und steige aus dem Wagen. Ein letztes Mal drehe ich mich zu ihr um und winke. Sie nickt mir aufmunternd zu und ich laufe weiter.

Mein Herz rast,meine Hände zittern. Der Schweiß bricht mir aus. Ich setze meine Hand an die Klingel und drücke zu. Die Sekunden die ich zähle,kommen mir unendlich lange vor und als sich die Tür öffnet,bleibt mein Herz stehen.

Verbotene Liebe Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt