6 Sechs

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Das Klassenzimmer war in das warme Licht des Nachmittages getaucht, als ich eintrat. Herr Duffner wartete am Pult gelehnt. Das erst was mir an ihm auffiel, waren seine blonden Haare die in alle Richtungen standen als hätten er in eine Steckdose gefasst. „Guten Mittag, Rose.", grüßte er freundlich und seine braunen Augen ließen ihn sofort sympathisch wirken. „ Guten Mittag, Herr Duffner." Unter den Augen des Lehrers legte ich meinen Rucksack neben einen Tisch und ließ mich auf einen Stuhl fallen. „Erzähl mir etwas über deine Gabe."
Ich überlegte nicht lange. „Ich kann Wünsche erfüllen. Immer wenn jemand sich etwas wünscht und es laut ausspricht, geht es in Erfüllung. Ich kann es nicht verhindern"
„Gut.", meinte er nachdenklich. „Ich wünsche mir ein Glas Wasser." Mein Blick verschwamm und meine Umgebung begann zu flimmern. Es drehte sich alles und dann löste sich etwas aus dem Flimmern, was einem Glas ähnelte. Meine Sicht klärte sich und wenig später stand ein Glas Wasser auf den Tisch. „Interessant.", murmelte er. Ich fühlte mich unwohl. Er schaute mich an als wolle er mich durchleuchten. „Ich wünsche, dass du dich auf den Tisch setzt." Nichts geschah. „Du trägst ein Medaillon bei dir, nicht?", wollte er von mir wissen. „Ja."
„Das ist gut.", er lächelte. „Es schützt dich. Verhindert, dass man deine Fähigkeit gegen dich einsetzt. Trage es immer bei dir."
Ich atmete auf. Ich hatte erwartet dass er es mir wegnehmen würde. „Im Innern befindet sich eine Rose, nicht?"
Ich nickte. Mir war unwohl, weil er so viel über das Medaillon wusste. „Sie spiegelt dein Inneres wieder. Wenn du eine wichtige Person verlierst, oder andere Sachen passieren, die dich bedrücken, welkt sie." Ich nickte. Das hatte mir Oma schon erzählt. Wegen ihnen fehlte ein Teil meiner Rose. Meine Eltern. Lina. Natalie. Und Oma. Ich versuchte den Kloß herunterzuschlucken, der in meinen Hals steckte. Sie waren weg. Für immer. „Ich glaube, es ist das Beste, wenn wir üben deine Kräfte zurückzuhalten. Denn nur dann kannst du sie kontrollieren." Ich nickte erneut. Wenn ich mir jetzt etwas wünsche, versuchst du dir eine Wand vorzustellen, die meinen Wunsch nicht durchlässt, verstanden? Wenn du die Augen schließt ist es einfacher." Ich nickte eifrig. Ich wollte es schaffen. Er trank einen Schluck aus dem Glas. „Ich wünsche mir ein Glas Wasser." Ich schloss meine Augen und versuchte seinen Befehlen Folge zu leisten. Eine undurchdringliche Barriere, so standhaft wie die Dunkelheit vor meinen Augen. Ich stellte mir eine Haushohe Mauer vor, die mich umgab. Ich versuchte gegen das flimmern anzukämpfen. Ich öffnete die Augen einen Spalt breit.
Ich sah Lichtreflexe, die auf zwei Gläsern tanzten. Ich schlug die Augen auf. Was war dieses flimmern? Ich nahm meinen Mut zusammen und fragte ihn. „Wenn ich einen Wunsch erfülle, sehe ich dieses Flimmern. Was ist das?" „Deine Aura. Energie, die dich umgibt und aus denen die Wünsche geformt werden." „Aha.", meinte ich leicht verwirrt. „Nächster Versuch!", befahl Herr Duffner. Ich schloss wieder meine Augenlider. Eine Mauer. Eine feste, undurchdringliche Mauer. Ich kniff die Augen zusammen, bunte Punkte tanzten vor meinen Augen. „Ich wünsche mir ein Glas Wasser."
Dieses Mal dauerte es etwas länger bis das Kribbeln sich ausbreitete, doch als ich die Augen öffnete, standen drei Gläser vor mir. „Das war schon einmal nicht schlecht!", lobte mich Herr Duffner. „Versuche es noch einmal!"

Resigniert blinzelte ich. Vor mir befanden sich Unmengen von Wassergläsern. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich war so müde, das ich glaubte meine Augen müssten jede Sekunde zufallen. „Wir machen Schluss für heute." Er leerte ein Glas in einem Zug. „ Du hast dich gut geschlagen. Ruh dich aus." „Bis morgen." Ich gähnte. dieser Unterricht war anstrengender als jede Mathe Klausur. Als ich das Klassenzimmer verließ musste ich aufpassen, nicht über eines der Wassergläser zu stolpern, die überall herumstanden. Die Putzfrau würde sich freuen.
Ich schaffte es tatsächlich den Weg in unser Zimmer zu finden. Ich schnappte mir mein Duschzeug und machte mich auf den Weg zum Gemeinschaftsbad. Ich begegnete Jasmin die dasselbe Ziel hatte wie ich. Wir begrüßten und leise und keiner wusste so Recht, was er sagen sollte. Um die Stille zu überbrücken fragte ich sie: „ Welche Gabe hast du eigentlich?", erkundigte ich mich bei Jasmin. „Ich weiß wann jemand die Wahrheit sagst und wann nicht. Und du?" Ich hob erstaunt die Augenbrauen. Das war eine coole Gabe. Wenn ich sowas doch auch könnte. „Ich kann Wünsche erfüllen"
„Cool."
Wir erreichten das Bad. „Ich geh dann mal duschen.", sagte ich und schloss mich in einer Kabine ein. Sie tat es mit gleich und ich stellte mich unter den warmen Wasserstrahl. Später gingen wir gemeinsam zum Abendessen und ich wunderte mich, dass Emelie noch nicht aufgetaucht war. Ich biss gerade in ein Käsebrot, als eine verschwitzte Emelie auftauchte und mir fröhlich zu winkte. Als sie sich Essen geholt hatte, setzte sie sich zu uns. „Tut mir leid dass ich erst so spät komme." „Kein Ding.", nuschelte ich. „Wo sind Milla und Newt?" Emelie grinste verschmitzt und nickte mit dem Kopf zu einem Tisch, der nicht weit von uns entfernt stand. Dort saßen die beiden und ihre Nasenspitzen berührten sich fast. Als sich schließlich ihre Lippen berührten, schaute ich weg. „Die beiden sind ein tolles Paar.", stellte ich fest. Auch Emelie nickte zufrieden und Jasmin grinste. Wir verspeisten unser Essen und als wir fertig waren, verzog ich mich auf unser Zimmer, während Emelie duschte. Ich legte das Buch weg was ich mir aus der Bibliothek geliehen hatte und legte mich auf mein Bett.
Um nicht wieder über heikle Themen nachzudenken, versuchte ich ein bisschen zu dösen. Es war eigentlich erst acht Uhr, doch ich war so müde dass ich sofort einschlief. Als ich erwachte, hörte ich Emelie in unserem Zimmer. Mühsam blinzelte ich gegen das helle Licht an. „Du, Emelie", begann ich das Gespräch und hoffte, dass sie mich hörte. „Hmh?"

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt