Siebenundzwanzig (Teil 2)

9 0 0
                                    

Ich hielt hilfesuchend nach meine Freunden Ausschau, die uns bald einholen würden. Dieses Miststück! Ich schnappte nach Luft, als sich meine gespiegelte Gabe bemerkbar machte. Sie schoss durch meine Adern und ließ die rotem Pusteln verschwinden, so schnell, wie sie gekommen waren. Ein hämisches Grinsen machte sich auf meinem Gesicht breit. „So leicht kann man mich nicht gefügig machen, Schätzchen." Ich nutzte den Moment der Überraschung und befreite mich von ihren Händen, die sich wie Schraubstöcke um meine Handgelenke geschlossen hatten. Warum war dieses Mädel so stark? Als mir bewusst wurde, was mir da gerade aus dem Mund gerutscht war, fing ich unkontrolliert an zu kichern. Wann hatte ich das letzte Mal jemanden die Stirn geboten? Mir wurde bewusst, dass ich mich verändert hatte. Es war schleichend gekommen und jetzt aus mir heraus gebrochen. Ich würde nicht mehr so schnell klein bei geben. Was im Weg stand, musste da weg. „Wenn du mir arbor wiedergeben würdest, wäre ich sehr dankbar.", hauchte ich zuckersüß. „Setz mal die rosarote Brille ab. Das ist hier eine ernste Angelegenheit.", knurrte sie erneut. Ich musste wieder kichern. Was war nur mit mir los? „Ich habs mir anders überlegt. Ich verhandle nicht mit einer Supay.", giftete sie und rannte davon. „Was bist du dann?", brüllte ich ihr hinterher, als ich die Verfolgung aufnahm. „Eine Welpe?" Ich sprintete am Bahnhofsgebäude entlang und musste mit offenem Mund feststellen, wie das Model mich überholte und in Lichtgeschwindigkeit an mir vorbeisauste. Alles passierte so schnell, dass ich nicht reagieren konnte. Ich rannte voll in ihm herein, er fiel nach hinten und schließlich lag ich halber auf ihn, zitternd und völlig aus der Fassung. Sein aufdringliches Deo stieg mir sofort im die Nase und ich schnappte nach Luft. Er rollte sich zur Seite und ich plumpste erschöpft auf dem nassen Asphalt. Er war schneller und hatte sich schon aufgerappelt. „Du stinkst.", stellte er fest und rümpfte die Nase. „Grace kann manchmal etwas harsch sein." Er streckte mir die Hand hin. „Ich bin Titus." Bedröppelt ließ ich mich von ihm auf die Beine ziehen. „Ähm." Ich tastete nach meinem Medaillon um mich zu beruhigen. „Ich bin...ich bin Rose." „Tut mir leid dass ich dich so...überrumpelt habe.", fing er an und faltete die Hände ineinander. "Ich wollte nur dass ihr aufhört ihr hinterher zu rennen. Das bringt nichts. Sie wird schon wieder kommen." „Abe sie hat arb..." „Keine Sorge.", winkte er ab und zwinkerte mir zu. „Spinnst du?", fuhr Emelie Titus an und Milla konnte sie gerade noch zu Boden drücken, bevor sie in die Luft sprang. „So geht man nicht mit meiner Freundin um!" Sie hob drohend den Zeigefinger und Titus fing an zu lachen. Es war ein helles Lachen eines kleinen Jungens. Dann hörte er plötzlich auf zu lachen und meinte wieder ernst: „Ich denke, wir haben viel zu besprechen."

Wir hatten beschlossen den späteren Bus zu nehmen und hatten uns in einen Bäcker im Bahnhofsgebäude gesetzt, um in Ruhe reden zu können. Es gab eine Theke und ein paar kleine Tische mir Bänken. Es war angenehm warm drinnen und ich hatte mein klammes T-Shirt gegen ein trockenes gewechselt, das allerdings sehr verschwitzt war. Meine juckende Haut sehnte sich nach einer Dusche und ich rutschte unruhig hin und her, da ich nicht wusste , was uns erwartete. Titus hatte sich einen Kaffee to go geholt und uns erklärt, dass er Grace schreiben würde wo wir waren. Er verhielt sich als würden wir uns schon ewig kennen, als würden wir uns nur zum Kaffee trinken treffen. Es lockerte die Stimmung ein wenig und ich starrte besorgt zu Jo, der ins nichts starrte. „Sie kommt gleich.", meinte er und ließ das Handy sinken. „Wollt ihr nichts essen oder trinken?", fragte er in die Runde. Er schien sich nicht unwohl zu fühlen, ganz im Gegenteil. Neugierig musterte uns. Als sich eine unangehneme Stille über uns ausbreitete, meinte er: „Ich glaube nicht, dass ihr böses im Schilde führt. Er lehnte sich zurück und trank genüsslich von seinem Kaffee. „Wohin wolltet ihr fahren?", fragte Jo sachlich. „Nach Wolfsbach." Ich hob alamiert die Augenbrauen. Sie wollten in mein Dorf? „Warum.", entgegnete ich. Vorhin hatten sie von einer alten Frau gesprochen. Konnte es etwa sein, dass...?" „Bevor ich das euch verrate, muss ich euch was fragen: Was wisst ihr über die Supay?" „Ihr seid nicht von der Supay.", stellte Milla fest. „Nein.", antwortete er und ich runzelte die Stirn. Das Tattoo auf Grace Arm...irgendetwas stimmte da nicht. Auch wenn mir Titus ehrlich erschien, irgendetwas stimmte da nicht. Aber wenn sie von der Supay gewesen wären, wäre er garantiert nicht so freundlich gewesen. Sie hätten uns gefangen genommen und zurück nach Terra gebracht. Titus war bestimmt okay, aber Grace... Ich ließ meinen Blick über die Tische schweifen. Nebenbei hörte ich Emelie sagen: „Na ja, eigentlich alles. Wir sind aus Terra geflohen." Gab es jemand, der uns beobachtete? Als ich glaubte, niemanden verdächtigen entdeck zu haben, richtete ich meine Aufmerksamkeit wieder auf unseren Tisch. Titus Augen wurden groß. „Ihr seid...was?" Jo warf Emelie einen vorwurfsvollen Blick zu und sie zog den Kopf ein. „Das ist ja fantastisch!", rief er laut, sodass sich die Leute nach uns umdrehen. Etwas leiser meinte er: „Ich schätze, wir stehen auf derselben Seite." Er beugte sich über den Tisch. „Wie habt ihr das denn geschafft?" Und Emelie fing an zu erzählen. Sie erwähnte kein Sterbenswörtchen von Arbor, Gorn, mir oder Jo und behauptete, wir wollten einfach nur auf die Erde zurück. Sie erzählte, wie wir mit der Fleur geflüchtet und abgestürzt waren. Als sie gerade erzählte, wie wir die wilden Weiten erreichten, kam ein roter Lockenkopf in den Bäcker hineingestürmt. Grace ließ sich neben Titus auf einen Stuhl fallen und knallte arbor auf den Tisch. „Na, hast du sie schon mit deinem Charme eingewickelt?" Titus verdrehte die Augen. „Ich bin ein Kaktus, schon vergessen? Ich habe Stachel.", sagte er und piekste ihr in die Seite, was sie mit einem genervten Blick quittierte. Dann fiel sein Blick auf arbor und er richtete sich auf. „Ich schätze, ihr habt uns etwas verschwiegen." Jo verschränkte die Arme vor der Brust. „Wir sagen nicht mehr, bevor ihr mir der Sprache rausrückt." Titus Augen schlossen sich zu zwei schmalen Schlitzen, doch er gab nach. „Also schön." Ich wollte mir arbor schnappen, doch Grace zog es zu sich. „Nicht so schnell, Schnuckibärchen.", meinte sie spitz. Ich beschloss auszupacken. Zu Titus gewandt meine ich: „Sicher, dass wir auf der selben Seite stehen? Schließlich trägt sie ein Supay Tattoo am Handgelenk." Ich zeigte provokant auf Graces Handgelenk. „Was?", rief Titus entgeistert und schaute mich verwirrt an. Er musste doch Grace gut genug kennen, um so etwas zu wissen, oder? Deckte er sie oder wusste er tatsächlich nichts? Seine Verwirrung wirkte echt. Grace zog ihre Ärmel nach oben und hielt uns ihre Handgelenke hin. Ich starrte entgeistert darauf. Dort, wo noch das zarte goldene Logo geprangt hatte, war...nichts. „Aber..." Ich war mir ganz sicher, dass ich mich nicht getäuscht hatte. Sowas dachte ich mir doch nicht aus! „Vielleicht bist du einfach nur müde.", meinte Milla und tätschelte meine Schulter. Ich schaute sie enttäuscht an. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich etwas gesehen hatte. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und beschloss ihn später wieder auszupacken. Das brachte uns jetzt nicht weiter. Ich wollte endlich wissen, woher sie kamen. „Gut möglich.", murmelte ich. Ich war tatsächlich müde. Entschuldigen tat ich mich aber nicht. Ich schaute sehnsüchtig in Richtung arbor, ich wollte das Insigne endlich in meiner Obhut wissen. „Erzähl, bitte.", sagte ich leise und spitzte neugierig die Ohren. Nach einem Kopfschütteln auf Titus Seite erklärte er: „Wir gehen auf eine Schule für die Kinder Terras. Es gibt eine Stadt, versteckt, indem unser Volk lebt. Und man kann dort Außendienst leisten. Menschen über ihre Gaben aufklären, Zeitung kaufen, Kontakt zur Außenwelt halten. „Zeitung kaufen." Grace verdrehte die Augen. „Wohl eher nach-verschwundenen-Menschen-Ausschau-halten-und-die-Supay-ausspionieren." „Ich erzähle.", grummelte Titus. „Jedenfalls sind wir auf dem Weg zu einer alten Frau, die durch die Träume anderer wandelt und somit die Nachbarschaft in Atem hält. Wir besuchen sie jeden Mittwoch und versuchen sie zu überzeugen, mit uns in die Stadt zu kommen. Sie kann sich nicht gut kontrollieren. Aber ich schätze, heute werden wir sie überzeugen." Seine Mundwinkel zogen sich nach oben. „Dass sie ihre Gabe erst jetzt bekommt, ist fragwürdig. Ich schätze, da hatte die Supay mal wieder im Spiel." Ich sandte ein paar bedeutungsschwere Blicke zu Jo. Bevor ich den Mund aufmachen und erklären konnte, dass es sich dabei wahrscheinlich um meine Oma handelte, sprang Grace dazwischen. „Ja, weil deine Überzeugungskunst soooo gut ist.", stichelte sie. „Sie wird nie mitkommen, bis das etwas, das in ihren Herzen fehlt, wieder da ist.", seufzte sie und legte eine Hand gespielt dramatisch auf ihre Brust. Mein Herz zog sich zusammen. Vielleicht hatte der Vergessenszauber etwas nachgelassen. Wie einsam sie sein musste! Aber ich konnte ihr ja bald die Erinnerungen wiedergeben. „So wie es aussieht, habt ihr da meine Oma kennengelernt.", kommentierte ich so trocken wie möglich und biss mir auf die Unterlippe. „Oh...tut mir leid. Sie..." „Was ist mir ihr?", rief ich alamiert. „Sie ist...etwas verwirrt." „Sie ist verrückt.", korrigierte Grace und ich wäre ihr am liebsten an die Gurgel gesprungen. „Da hast du wohl Pech gehabt Schätzchen.", sagte sie ruhig und schob sich eine Haarsträhne zwischen die Lippen. Als ich bemerkte, dass meine Hände zitterten, nah ich Jos Hand. Warum war dieses Mädchen nur ein kleines Biest? Ich atmete tief durch. Ich würde sie in Ordnung bringen. Sie würde sich wieder an alles erinnern. „Kannst du einfach mal aufhören, ständig deinen Senf dazuzugeben?", fuhr Emelie sie an. „Du bist ein kleines..." „Lass es gut sein, Emelie.", sagte ich. „Das bringt jetzt auch nichts." „Aber..." Milla stieß Emelie in die Seite und gab mir zu verstehen, dass ich ihnen erzählen sollte, dass ich ihr helfen konnte. „So. Das war unsere Geschichte.", sagte Titus und versuchte sich zu entspannen. „Jetzt seid ihr dran." Ich versuchte mich zu sammeln und mir ein paar Formulierungen auszudenken. „Jetzt sagt schon, wo habt ihr arbor her. Hat Gorn es euch in die Hand gedrückt? Was wollt ihr?" Mir fiel ein, dass sie nicht mitbekommen hatte, wie Emelie erzählt hatte, dass wir vor der Supay geflüchtet waren. Ich stöhnte innerlich. Kein Wunder war sie so feindselig. „Nur um das klar zu stellen.", meinte Jo und stütze die Ellenbogen auf der Tischplatte ab. „Wir sind vor der Supay geflohen. Wir sind auf euer Seite." Er zog die Mundwinkel hoch. „Was arbor angeht, ..." Er zog arbor langsam aus Graces Händen, während er ihr tief in die Augen schaute. „Sind wir auch unschuldig." Er schnappte sich arbor und drücke es mir in die Hand. Erst jetzt sah ich, dass Grace Tränen die Wangen hinunterliefen. Er lehnte sich grinsend zurück. „Was hast du mit ihr gemacht?", wollte Titus ein wenig fasziniert wissen. „Meine Gabe." Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Sorgt dafür, dass Menschen ihre schönsten Momente noch einmal erleben." Titus zuckte anerkennend mit den Augenbrauen. „Das kannst du ruhig öfter machen."

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt