15 Fünfzehn

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Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit im Gang stand, ging ich schließlich zurück in mein und Emelies Zimmer zurück. Sie war gerade dabei, ihre Sachen in unseren Wäschekorb zu stopfen. Der Boden war schon erheblich freier geworden, was mir aber im Moment sichtlich egal war. „Wie ist es gelaufen?" Neugierig schaute sie mich an. „Scheiße.", flüsterte ich und warf mich auf mein Bett. Ich schloss die Augen und versuchte für ein paar Minuten oder Sekunden nichts zu denken. Nichts wahrzunehmen. Nichts zu fühlen. Ich fühlte mich leer und ausgelaugt, als ich spürte, dass Emelie sich neben mich setzte. Ich schlug die Augen auf und richtete mich auf. Nach einem tiefen Atemzug schilderte ich ihr, was vorgefallen war. Emelie wurde blass und das Funkeln in ihren Augen erlosch. „Meinst du, er sagt die Wahrheit?", fragte ich Emelie. „Ja. Er war schließlich er selbst und na ja, er konnte nicht mehr sagen, weil das etwas wieder seinen Verstand vernebelt hätte." „Kann gut sein." Ich lehnte mich an die Wand. „Wir müssen es Newt sagen.", sagte ich in das Schweigen hinein. „Nein. Er würde das nicht verkraften." „Aber hat ein Recht es zu erfahren.", widersprach ich. „Es ist besser so. Schau ihn doch an. Das einzige, was ihn noch zusammenhält, ist die Gewissheit, dass sie ihn liebt." „Aber, wenn wir Geheimnisse vor ihm haben, ist das auch nicht viel besser." Ich blickte zur Tür, und bemerkte, dass sie offenstand. Ich wollte gerade Emelie darauf aufmerksam machen, als wir beide sahen, wie Newt im Gang verschwand.

„Na toll." Ich stand auf und wollte ihn hinterherrennen, als Emelie an mir vorbeischoss und im Gang verschwand. Ich überlegte nicht lange und nahm die Verfolgung auf. Ein wenig später holte ich sie ein und sah, wie sie im Gang standen und diskutierten. „Und das wolltest du vor mir verheimlichen, ja? Ein armer kleiner Junge, der dann rumheulte wie ein Mädchen. So siehst du mich also?!!" „Ich habe es doch nicht böse gemeint.", entgegnete Emelie ruhig. „Das weiß ich doch.", zischte er wütend. „Hey!", versuchte ich dazwischen zu gehen. Doch meine Stimme war viel zu leise, worüber ich mich sehr ärgerte. Ich fasste mir ein Herz und ging dazwischen. „Könnt ihr euch bitte beruhigen? Jo muss ja nicht die Wahrheit gesagt haben. Vielleicht war er einfach durch den Wind und ihr regt euch unnötig auf. Früher oder später muss sie ja wiederauftauchen und dann können wir sie ja selber fragen. Und Newt, Emelie hat nur gesehen, wie dich die ganze Sache aus der Bahn wirft. Deswegen bist du doch keine Heulsuse." „Sieht man mir das wirklich so an?", entgegnete Newt frustriert. „Ja.", bestätigte Emelie. Newt blickte noch angepisster drein. Ich versuchte die Diskussion irgendwie aufzulösen. „Ähm wie wäre es, wenn wir...uns eine Tasse Kakao machen und UNO spielen? Ich kann dann gleich den Kühlschrank reparieren." „Also schön.", brummte Newt. „Ich hol mal schnell die UNO Karten." Er verschwand um die Ecke. Ich bedachte Emelie mit einem vorwurfsvollen Blick. „Du hast ja Recht.", gab sie schließlich zu. Wir warteten schweigend auf Newt.

Ein wenig später fand ich mich Kakao trinkend und UNO spielend auf der Fleur wieder. Nach der zehnten Runde blickte selbst Newt etwas fröhlicher drein. Wir spielten, und Runde um Runde dachte ich weniger an meine Sorgen. Nachdem ich den Kühlschrank repariert hatte, war es schon sehr spät und wir beschlossen schlafen zu gehen. Wir kehrten ins Schulgebäude zurück und ich schlief ein mit der Hoffnung, dass am nächsten Tag alles besser wurde.

Ich wachte am nächsten Tag auf und fühlte nichts. Leer und ausgelaugt machte ich mich mit Emelie für die Schule fertig. Als wir dann zum Frühstück gingen, trauten wir unsere Augen kaum. Milla! Sie saß neben fremden Leuten an einem Tisch. Als sie uns sah, drehte sie sich einfach wieder um und aß weiter. Emelies Blick blieb an mir hängen, und ich war mir fast sicher, dass wir in diesen Moment dasselbe dachten: Jo hatte recht gehabt. „Komm, wir gehen zu ihr.", sagte Emelie. Ich nickte und wir gingen zu ihrem Tisch, um sie auszufragen. Emelie wagte den ersten Schritt. „Hi." Sie drehte sich nicht um. „Hi." „Willst du dich nicht zu und setzen?" „Warum?" Sie ließ ihr Brot auf dem Teller sinken und drehte sich mit einer geschmeidigen Bewegung zu uns um. Ich sah ihr fragendes Gesicht und erkannte sie nicht wieder. Ihr Haar glitt seidig über ihre Schultern. Ich meinte es sei länger geworden. Ihre Wimpern waren voller und dunkler, und ihr Gesicht sah aus wie aus Stein gehauen. Sie war die Schönheit in Person. Nicht, dass sie zuvor nicht schön gewesen wäre. Doch kein Pickel verunstaltete ihr Gesicht mehr, und die kleine Narbe am Hals war verschwunden, Sie war nahezu makellos geworden, doch der Glanz in ihren Augen war erloschen. Ich spürte diese Tatsache, als wäre sie greifbar. Das war nicht Milla. Nicht mehr. Während ich sie fassungslos anstarrte, versuchte Emelie ein Gespräch mit ihr anzufangen. „Na ja, weil du unsere Freundin bist, und wir gerne wissen würden, was mit dir passiert ist." Sie bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Was ist eine Freundin?" Sie sprach ruhig, ohne eine Spur von jeglicher Emotion. Emelie blieb der Mund offenstehen. Dann lief sie davon in Richtung Frühstücksbuffet. „Milla?", versuchte ich mich zu vergewissern, dass es wirklich sie war. Mit der, der ich gelacht hatte, mit der, der ich bis tief in die Nacht Bücher gelesen hatte. „Ja?", entgegnete sie mechanisch. „Was hast du eigentlich so die ganze Zeit gemacht?" „Was sollte dich das angehen?", sagte sie ruhig. Ich schnaufte und folgte Emelie. Jo hatte Recht gehabt. Aber was sollte das jetzt wieder bedeuten? Was war mit Milla passiert? Hatte man irgendwelche Experimente mit ihr gemacht? Wütend starrte ich in die Ferne. Von wegen es geht ihr gut. Sie war nicht mehr sie selbst. Ich biss mir so fest auf die Unterlippe, bis es wehtat. Ich begann leise zu weinen.Was war nur mit ihr passiert? Plötzlich sah ich Newt, der auf Milla zu lief. Er rannte fast. Doch bevor er zu ihr konnte, versperrte ihm Emelie den Weg. „Es ist zwecklos.", hörte ich sie mit traurigen Augen sagen, dann hielt ich es nicht mehr aus und verließ die Cafeteria. An Frühstück war einfach nicht mehr zu denken. Es gab so viele wichtige Fragen, und die beantworteten sich nicht von allein. Mit grimmiger Entschlossenheit ging ich ins Bad und putzte mir die Zähne. Danach setzte ich mich auf mein Bett und schlug das grüne Büchlein auf. Es musste doch irgendwo Antworten geben! Ich las Kapitel um Kapitel, bis es zur ersten Stunde läutete. Dann machte ich mich auf den Weg in den Unterricht.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt