26.0 Sechsundzwanzig (Teil 1)

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Nach einer Weile löste ich mich von Newt und ging zu Milla hinüber. Emelie hatte Recht. Ich war nicht die Einzige, die Jo vermisste. Ich wollte wissen, was sie jetzt von ihm hielt und jemanden über ihn reden. Jetzt hatten wir endlich die Zeit dazu. Ich wusste, dass sie ihn von Anfang an nicht leiden konnte. Trotz allem war er noch ein Mörder. Dank Newt fühlte ich mich etwas mutiger. Ein Problem weniger.
„Du, Milla...", begann ich vorsichtig als ich sie eingeholt hatte. „Hm?" „Vermisst du Jo?" „Soll ich ehrlich sein?" Sie schnitt eine Grimasse. „Ja. Aber er war ein Arsch." Sie seufzte. „Er hatte es nicht verdient zu sterben." Ihr Blick richtete sich auf mich. „Wenn er noch leben würde, würde ich ihm an deiner Stelle eine zweite Chance geben. Er hat und gerettet, und dass nicht nur einmal." Sie presste die Lippen aufeinander, als würden ihr die Worte schwer fallen. „ Du hast dir wirklich keinen schlechten Typ ausgesucht." Ich nickte erneut und wusste mal wieder nicht, was ich sagen sollte. Zum Glück übernahm das Milla für mich. „Es ist so schön hier.", seufzte sie. Ich nickte. „Es sieht hier aus wie in Neuseeland." „Neuseeland? Auf der Erde?" Ich nickte. „Bist du viel gereist?" „Es geht." „Wenn das alles vorbei ist, will ich die Welt bereisen. Ich habe immer gedacht ich komme hier nie raus und habe auch nicht mehr länger darüber nachgedacht, aber jetzt..." „Ja, ich habe auch noch viel vor.", sagte ich. Wenn wir das alles überleben. „Ich bin so froh, dass ihr hier seid." Ich musste an Jasmin denken. Sie hatte bestimmt auch noch viel vorgehabt. Doch nun hatte sie keine Zukunft mehr. Ich blinzelte Tränen weg. „Ich doch auch.", erwiderte Milla. „Wir sind eine tolle Truppe." „Wenn du das sagst.", antwortete ich. Wir schwiegen wieder. Aber es war keine angespannte Stille. Es erzeugte eine innere Ruhe in mir und zum ersten Mal seit Ewigkeiten fühlte ich mich ausgeglichen. Klar waren es nicht rosige Zeiten, aber für eine kurze Zeit musste ich mal nicht an Gorn denken. Es schien fast, als wären wir stinknormale Pfadfinder, die Urlaub machten. Mir taten die Füße schon weh vom laufen. Ich ließ mich in der Illusion treiben. Die Sonne war wieder aufgewacht und brutzelte auf uns herab. Nichts zeugte von übernatürlichen, dunklen Mächten. Ich schloss für einen kurzen Moment die Augen und genoss die Sonne, die auf meinen Lidern Ballett tanzte.

Es war Abend geworden. Die Sonne war im Inbegriff unterzugehen und die Landschaft hatte sich kein bisschen verändert. Wir campierten wieder im Schutz eines Felsens. Der Kühlschrank drängte sich an den Zelteingang, der etwas überdacht war. Ich konnte im Zelt schlafen. Erschöpft ließ ich mich auf meinen Schlafsack. Auch wenn es keine Dusche und kein Klo gab, fühlte ich mich einigermaßen sauber. Ich hatte mein Schlaf T-Shirt mit warmen Wasser gewaschen und es draußen aufgehängt. Wir hatten alle unsere Haare mit Wasser gewaschen und mit unseren Fingern provisorisch durchgekämmt. Ansonsten war mehr als Katzenwäsche nicht drinnen gewesen. Bei dem eiskalten Wind wäre es auch nicht ratsam gewesen. Ich hatte den Pulli angezogen, den ich bei meiner Entführung mit dabei gehabt hatte. Er roch nach zuhause. Zufrieden schnupperte ich Omas Waschmittel und schloss die Augen.

Ein Quietschen weckte mich. Was war denn jetzt schon wieder los? Emelie hatte sich im Schlaf irgendwie mein Kopfkissen geschnappt und es als Ohrstöpsel verwendet. Ich befreite mich aus einer unbequemen Position. Ich beschloss der Sache auf den Grund zu gehen. Ohne würde ich bestimmt wieder nicht einschlafen können. Plötzlich hörte ich Schritte, die sich schnell entfernten. Wenn es Gorn gewesen wäre, hätte er uns aufgeweckt und Wölfe konnten garantiert keine Kühlschränke öffnen. Also: wer trieb sich in dieser gottverlassenen Gegend herum? Mein Herz klopfte viel zu laut. Ich wollte niemanden aufwecken, denn nachher hatte ich mir das nur eingebildet und hatte alle aufgeweckt. Ich schnappte mir ein Küchenmesser, dass wir mal aus dem Kühlschrank geholt hatten, als Milla sich einen Laib Brot vorgestellt hatte. (Damit es im Kühlschrank "gemacht" wird) Umständlich quetschte ich mich an den Kühlschrank vorbei. Auf Zehenspitzen schlich ich um den Felsen herum, doch dort war niemand. Ich hatte mir das wohl nur alles eingebildet. Trotzdem machte mir die Dunkelheit Angst. Ich rannte zurück ins Zelt. Ich war echt schon paranoid geworden. Ich klaute mir mein Kissen von Emelie zurück, die irgendwas unverständliches nuschelte, und versuchte wieder zu pennen. Bei jedem kleinen Geräusch hielt ich inne und tastete nach dem Messer. Ich bezweifelte, dass ich es jemals benutzen würde, doch es gab mir Sicherheit. Irgendwann holte mich der Schlaf doch ein.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt