26.5 Sechsundzwanzig (Teil 2)

9 0 0
                                    

Ich blinzelte gegen das Sonnenlicht an. Ich musste eingeschlafen sein. Jos Schulter stach unbequem in meinen Hals. Er schlief noch. Er hatte seinen Kopf auf meinem gelegt. Wie konnten wir nur so eingeschlafen sein! Irgendwie schaffte ich es mich aus dieser skurrilen Position zu befreien und Jos Kopf plumpste im meinem Schoß. Er musste in den letzten Tagen nicht viel geschlafen haben, anders erklärte ich mir nicht, wie er einfach weiterschlafen konnte. Als ich ihn anschaute, wurde mir klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Er hatte den Mund leicht geöffnet und seine Haare waren ein einziges Vogelnest. Wir stanken beide fürchterlich. Ich strich im eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Konnte es noch kitschiger werden? Ja. Die Sonne war dabei aufzugehen und sorgte damit für rosarote Beleuchtung. Ich seufzte. Was hatte ich nur für ein Glück! Ich beobachtete unsere Zelte. Nicht mehr lange und Newt würde uns aus den Betten schmeißen. Davor wollte ich unbedingt da sein. Er sollte nicht wissen, dass wir die Nacht im freiem verbracht hatten. „Aufwachen!", flüsterte ich. Ich wollte ihn eigentlich nicht wecken. Unter seinen Augen tummelten sich Augenringe und Mundgeruch hatte er auch. „Sorry.", murmelte ich. Dann rüttelte ich ihn wach. „Hey!" Er stöhnte. Dann öffnete er seine von Schlaf winzigen Augen. „Morgen, kleine Knospe.", krächzte er und richtete sich auf. Mein Herz fing an zu galoppieren. Ich konnte mich gerade noch zurücklehnen, bevor unsere Köpfe aufeinander prallten. „Tut mir Leid dass ich dich geweckt habe. Aber ich wollte aufstehen, bevor Newt alle aus den Betten holt." „Schon gut.", grummelte er und fuhr sich durch die Haare. Mir tat alles weh. Mein Rücken knackte als ich aufstand. Ich musste feststellen, dass mein Hintern feucht von tau war. Na klasse!

„Hast du schon Bekanntschaft mit den Wölfen gemacht?", fragte ich Jo als wir die Senke hinunter zu den Zelten liefen. Mein Herz hüpfte vor Aufregung. „Ja, aber sie sind relativ ungefährlich. Ich habe die letzte Nacht auf einem Felsen geschlafen, um ihnen zu entgehen. Mein Rücken war sehr nachtragend, was das betrifft." Ich zuckte mit den Schultern. „Du hättest dich uns einfach zeigen sollen." Er schnaubte. „Ich habe ja schon kapiert." Seine Augen funkelten müde. Ich nahm seine Hand. „Neuanfang?" Er schluckte.

„Neuanfang."

Wir setzten und vor die Zelte und warteten darauf, dass Newt aufwachte. Wir legten und ins Gras (wir waren sowieso schon dreckig) und dösten noch ein bisschen.

„Aufwachen ihr Faultiere!", rief Newt plötzlich. Ich setzte mich hin und sah wie Jo grinste. „Das macht ihm Spaß, oder?", flüsterte er und ich nickte.

„Es geht lohos!" Wir sahen wie der Reißverschluss des kleineren Zeltes aufglitt und warteten auf Newts Herzinfarkt. Jo hatte sich mittlerweile auch aufgesetzt und grinste. Newt stieg aus dem Zelt. Seine Augen wurden so groß wie Gummibälle. „Wa..." Gänseblümchen sprossen aus dem Boden und verwandelten die Umgebung in eine Blumenwiese. Jo stand auf und schaute unsicher durch die Gegend. „Hi. Ähm...ich lebe noch." Emelie quetschte sich am Kühlschrank vorbei. Als sie Jo sah, quietschte sie auf und fiel ihm um den Hals. Newt stand immer noch wie versteinert da und starrte auf Jo, der etwas überfordert aussah. Als Milla schließlich aus dem Zelt krabbelte, gesellte sie sich zu Newt, um ihn mit großen Augen anzustarren. „Ach du grüne Neune!" Milla war total aus dem Häuschen. „Wie hast du das geschafft?" „Setzten wir uns doch erst einmal hin.", schlug ich vor und ließ mich auf meinen vier Buchstaben nieder. „Deswegen warst du nicht im Zelt. Warum...?",richtet Emelie sich an mich. „Ich bin so froh, dass du da bist.", seufzte Newt. Plötzlich fingen alle an durcheinander zu reden, und ich spürte, wie es Jo zuviel wurde. „Ruhe!", brüllte ich. „Jo kann euch alles erzählen. Seid einfach still." Zu meinem Glück gehorchten alle ohne noch irgendetwas zu sagen. Ich kam mir vor wie eine Lehrerin. Es war mucksmäuschenstill und alle starrten Jo an. Ihm war die Aufmerksamkeit sichtlich unangenehm. „Also..." Er zupfte an seinem Pulli. „Ich lebe noch, weil Rose mich gerettet hat. Sie..." Er erzählte die ganze Geschichte und ich musste wieder an den Jungen denken, den ich getötet hatte. Mörderin. Mörderin. Mörderin. Schoss es mir durch den Kopf. Ich biss mir auf die Unterlippe und meine Gedanken zu vertreiben. „Und warum bist du nicht früher aufgetaucht?", wollte Newt schlussendlich wissen. „Nun ja, ich...ich dachte...ich..." Ich warf ihm einen aufmunternden Blick zu. „Ich dachte, ihr seid ohne mich besser dran." „Ey, ich habe dich vermisst.", meinte Newt und zupfte an seine Uhr. „Ich auch. Und wie!" Emelie lehnte sich an Jo. „Ich auch.", brummte Milla. „Wir brauchen dich." Jo lächelte. „Lass uns aufbrechen." „Nein, erst wird gefrühstückt.", widersprach Emelie und stand auf, um den Kühlschrank zu holen. Wir erlaubten es uns ein bisschen länger sitzen zu bleiben als gewohnt. „Wenn wir schon nicht duschen können, gibt es eben Pancakes!", sagte ich zufrieden und holte einen großen Teller Pancakes aus dem Kühlschrank. Newt seufzte. „Ich wünschte, ich hätte die gebacken.", meinte er als er in einem hineinbiss. „Deine Vorstellungskraft verdient einen Preis." Ich grinste. „Danke." Konnte der Tag noch schöner werden? Die anderen schienen sich besser mit Jo zu verstehen als sonst. Das war ein gutes Zeichen. Nach dem Frühstück ließ ich mir vom Kühlschrank Zahnpflegende Kaugummis machen. Ich hoffte bald eine Zahnbürste zwischen die Zähne zu bekommen. Wir packten wieder zusammen und brachen auf. Der Wind hatte wieder aufgefrischt und blies uns Richtung Westen. „Ich kann nicht mehr.", stöhnte Newt und ließ die Ranken, die den Kühlschrank gehalten hatten, zu Staub zerfallen. Der Kühlschrank gab ein ekliges Geräusch von sich und fiel auf den Boden. „Soll ich ihn mal nehmen?", fragte Jo. „Na gut. Aber er ist wirklich schwer." Er zuckte mit den Schultern. „Ich mache es trotzdem." „Okay." Newt konzentrierte sich und ließ starke Schlingpflanzen und den Kühlschrank wachsen. Sie umgaben ihn wie ein Netz um formten zwei Gurte, wie bei einem Rucksack. Jo nahm ihn auf den Rücken „Passt das so?" Er nickte. Und es ging weiter. Der Wind sorgte dafür, dass wir nicht zu sehr schwitzten. Stundenlange Märsche über trockenes Gras. Schmerzende Füße. Schmerzender Rücken.

„Meine Füße.", jammerte Newt, als er seine Schuhe auszog, um seinen Füßen eine Pause zu gönnen. „Blasenpflaster sind doch nicht so unnötig, hm?", grinste Jo. „Ha. Ha.", machte Newt. Auch meine Füße waren nicht in bester Verfassung. Wir hatten ein kleines Rinnsal entdeckt und kühlten unsere Füße. Ich entspannte mich ein bisschen. Die Landschaft veränderte sich wieder. Das Gras wurde wieder höher, der Boden feuchter. Das kühle Wasser kitzelte an meinen Zehen. Ich schloss die Augen und legte mich ins Gras. So lässt es sich leben. Plötzlich bekam ich einen Schwall Wasser ins Gesicht. „Hey!" Emelies schaute mich grinsend an.  Mein Körper machte sich selbstständig. Na warte! Ich sprang auf die Füße und kickte mit dem Fuß Wasser in Emelies Richtung. Es eskalierte und wenig später fand ich mich in einer Wasserschlacht wieder. Lachend spritzte ich Milla nass. Ich hielt inne. Wann hatte ich das letzte Mal gelacht? Ich mich nicht mehr daran erinnern. Ich wusste nur, dass es eine Ewigkeit her war. Milla nutzte die Ablenkung und goss mir mit einer Flasche Wasser über den Kopf. Ich quietschte vor Schreck. Das würde ich ihr heimzahlen!

Es war Abend geworden und wir hatten wieder unser Lager hinter einem Felsen aufgeschlagen, um uns vor dem Wind zu schützen. Da wir den fünften Schlafsack bei der Fleur gelassen hatten, bekam Jo die Sofadecken aufgebrummt. Er schlief neben mir. Ich kuschelte mich erschöpft in meinem Schlafsack. „Gute Nacht.", murmelte ich. „Gute Nacht.", bekam ich es von rechts und links neben mir zu hören. „Ich bin so froh, dass du da bist.", flüsterte ich in Richtung Jo. Er lächelte. „Ich auch." Wir waren uns nun so nah, dass ich seinen Atem im meinen Gesicht spüren konnte. Wenn es nicht stockdunkel wäre, hätte ich jetzt seine Augen bewundert. „Ist es bequem?", fragte ich ihn. „Alles ist bequemer als draußen zu schlafen. Allein."

Ehe ich blinzeln konnte, landeten zart wie Schmetterlinge, seine Lippen auf meinen. Und in diesem Moment als wir uns küssten, wurde mir klar, dass ich heute ruhig schlafen würde.

Und die Welt war wieder ein kleines großes Stückchen besser.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt