28 Achtundzwanzig

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Ich saß eng zusammengepfercht zwischen Jo und Titus. Newt saß auf dem Beifahrersitz und Emelie und Milla hatten das andere Taxi genommen. Ich fühlte mich wie eine Frikadelle zwischen zwei Burgerhälften. Aber ich bereute es nicht, mit den Jungs zu fahren. Auf Grace hatte ich allemal keinen Bock. Jo und Titus unterhielten sich über meinen Kopf hinweg, und ich fühlte mich so gut wie unsichtbar. Aber mir war es auch recht so. In meinen Magen flog alles wild durch die Gegend. Wie es bei ihr wohl daheim aussehen würde? Was sie mit meinen Sachen angestellt hatte? Oder waren die auch verschwunden. Meine Fingerkuppen strichen über die glatte Oberfläche des Medaillons. Ich würde dafür sorgen, dass sie sich erinnerte. Wie lange war ich in Terra gewesen? Als die beiden eine kurze Gesprächspause einlegten, fragte ich: „Welches Datum haben wir eigentlich? „Hm, weiß nicht. Aber es ist Anfang Juni.", beantwortete Titus sofort meine Frage. Ich schluckte. Ich war zwei Monate weggewesen. Mir kam es viel länger vor. Jos Oberschenkel an meinem machte mich nur noch nervöser. Die Müdigkeit war veflogen. „Was hast du für eine Gabe?", fragte Jo Titus und senkte die Stimme. Der Taxifahrer musste schließlich nicht alles mitbekommen. Titus fing an mit seinen Finger zu spielen. „Nun ja...eigentlich..." Eine erwartungsvolle Stille machte sich im Auto breit. „Ich weiß es noch nicht." Jo hob überrascht die Augenbrauen, sagte aber nichts. Ich spürte, wie unangenehm das für ihn war und wechselte das Thema. „Wie schafft man es, eine ganze Stadt geheim zu halten?" „Durch Magie.", schmunzelte er. Innerlich batschte ich mir gegen die Stirn. Das war eine dumme Frage gewesen. „Gibt es eine Art Portal?" „Nein." „Liegt es in einer anderen Welt?" „Nein. Du wirst es früh genug sehen."

Wir bogen in die Straße ein. Es war ein seltsames Gefühl, wieder heimzukehren, wie in einem verblassten Traum. Graue Wolken hingen wie feuchte Seesäckte vom Himmel und drückten mir auf den Kopf. Wir fuhren an Natalies rotem Haus vorbei. Es stach aus der Menge der blassen Häuser heraus und drückte mir auf das Herz. Ich konnte sie nicht einweihen. Aber die Sache mit Julius war längst fällig. Nachdem wir mit Oma geredet hatten, würde ich losziehen. Hoffentlich konnte ich nur den Vergessenszauber von Oma aufheben, und musste nicht alles lösen. So sehr ich es auch wollte-es war falsch und viel zu gefährlich. Als das Taxi anhielt, hatte ich das Gefühl, an einer Steckdose angeschlossen zu werden. Was, wenn es mir nicht gelang, ihre Erinnerungen zurückzubekommen? Die anderen waren schon angekommen und wir rutschen aus dem Taxi und holten unser Zeug aus dem Kofferraum. Titus gab dem Fahrer Geld und das Taxi machte sich aus dem Staub. Emelie wollte schon zu Haustür stürmen, als ich sie stoppte. „Ich brauche jetzt einem Moment mit ihr allein.", flüsterte ich. „Na gut.", grummelte Emelie. „Sag uns Bescheid." „Danke." Ich stellte meinen Rucksack ab und ging zum Haus. Die zahlreichen Gartenzwerge waren verschwunden und der Garten verwaist. Das Einzige, was sich nicht verändert hatte, war das goldene Windspiel, das aussah, als würde es der Wind gleich mitnehmen. Ich schob es so an den Baum, dass es nicht so schnell abhauen konnte. Ich holte tief Luft und ging auf die petrol lackierte Haustür zu. Was würde mich wohl dahinter erwarten?

Ich stellte mich auf die Fußmatte und klingelte. Das Namensschild war ausgetauscht worden und nun stand nur noch Mona Mai in ihrer schwungvollen Schrift auf dem Briefkasten. Ich wartete ungeduldig und ich sah, dass kein Auto in der Einfahrt stand. Ich wollte gerade wieder umkehren, als sich die Tür öffnete. Im lila Morgenmantel eingepackt und mit Plüschpantoffel stand sie vor der Tür, die Hälfte ihres Körpers hinter der Tür versteckt. Mein Herz machte einen Satz. „Om...ich meine Frau Mai, ich würde gerne mit ihnen sprechen." Sie stöhnte. „Wenn ihr wieder von dieser...dieser Organisation seid, seid ihr hier nicht erwünscht. Ich habe mich entschieden-ich bleibe hier!" Sie wollte die Tür zu knallen, doch ich schob schnell den Schuh dazwischen. „Nein warten sie! Ich weiß nicht wovon sie reden. Ich bin hier...weil...um ihren Hund auszuführen!", rief ich. „Ich habe keinen Hund und jetzt verschwinde!" Sie griff nach dem Teppichklopfer. In meiner Panik hob ich die Hände. „Gut, gut. Ich.. ich bin nicht hier um ihren Hund auszuführen.", sagte ich und senkte die Stimme. „Ich..." Ich schaute ihr in die Augen. „Ich suche nach meinem Zuhause.", kam es schließlich aus meinem Mund und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor Frust gegen die Tür zu treten. Im Haus war es still geworden. Ich schaute unsicher zu den anderen, und sah, wie Jo nickte. Als Oma nachschauen wollte, wonach ich Ausschau hielt, verdeckte ich schnell ihre Sicht. Mir wurde klar, dass ich mit Lügen nicht weit kam. Die Worte purzelten einfach aus meinem Mund. „Ich...ich war lange Zeit nicht hier." Behutsam strich ich über den abblätternden Lack des Türrahmens. „Ich habe hier einmal gewohnt." Ich schluckte. „Als ich noch klein war, bin ich auf die Apfelbäume geklettert und habe mich vor meiner großen Schwester versteckt." Ich musterte ihr Gesicht. Ich kannte genau diesen Gesichtsausdruck. Die hochgezogenen Augenbrauen, der leicht geöffnete Mund und die halb geschlossenen Augen-das alles war mir so vertraut wie meine eigene Hand. „Ich habe hier mit meiner Oma gelebt." Mein Blick flog über den Garten. „Sie ist mein ein und alles. Sie hatte ein Faible für rosa Liebesromane u...und sie hat ein Auto namens Elfriede. Sie hat einen violetten Morgenmantel, den sie gehasst hat." Sie machte die Tür weiter auf. „Dort oben ist ein leeres Zimmer." Als sie bei meiner lauten Stimme zurückwich, ging ich einen Schritt nach vorne. Sie wollte etwas sagen, doch ich redete einfach weiter. „Ich weiß nicht, ob mich Möbel drin stehen, aber es ist leer. Und ich-" Ich deutete auf mein Herz. „Ich habe dort auch eines. Ich...ich glaube, hier kann ich das finden, dass es wieder füllt." Ich fing wieder ihren Blick auf. Ich fühlte mich stark und kribbelig und merkte, wie sie schmolz. „Also schön.", erwiderte sie kühn. „Komm rein, ich mache dir einen Tee wenn du willst." Ein verstohlenes Lächeln huschte über meine Lippen. Ich hatte es fast geschafft! Sie hielt mir die Tür auf. Keine Sekunde ließ sie mich aus dem Augen, sie sog mich gerade zu in sich auf. Mir war ihr Blick unangenehm, aber ich spürte den Triumph in meinem Mundwinken sitzen. Sie schloss bedachtsam die Tür und deutete auf das Sofa. „Setz dich." Ich ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen und ließ mich in das scheinbar Bodenlose Samtsofa sinken. Ich musste an meine Freunde draußen im Regen denken. Es tat mir leid, sie einfach stehen zu lassen, aber ich hatte das Gefühl dass das länger dauern würde und das war hier eine Sache zwischen ihr und mir. Als ich meinen Blick über die Bilder an der Wand schweifen ließ, fällte ich eine Entscheidung, die meinen Freunden nicht gefallen würde. Auf den Bildern, auf die ich hätte drauf sein sollen war ich verschwunden. Aber es waren weniger Bilder von unserer Familie und mehr neune geworden. Mich schmerzte es zu sehen, dass kein einziges Bild von mir übrig geblieben war. Während Oma in der Küche stand und sie mich fragte ob ich Tee wollte und dies bejahte, bemerkte ich ein Selfie von Hans und ihr. Ein Foto von ihr und ihren Freundinnen, da ein Foto von ihr mit einer ihrer Freundinnen am Meer. Je mehr ich die Bilder betrachtete, desto mehr wurde mir klar, dass sie in den letzten drei Monaten ein völlig neuer Mensch geworden war. Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so aussah, sie war...freier geworden. Und wenn ich sie jetzt erinnern ließ, war das hier alles futsch. Ich war nicht hier weil sie mich brauchte, sondern ich sie. Ich wollte ihr das ganze Chaos nicht antun, sie hatte das nicht verdient. Aber sie litt. Sie wusste nicht was ihr fehlte und was es mit den Träumen auf sich hatte. Und auf einmal wusste ich, was ich tun musste.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt