20.0 Zwanzig (Teil 1)

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Auf jeden Fall müssen wir das Insigne in die Finger bekommen. Ohne sie traue ich mich nicht von hier zu verschwinden.", sprach ich meine Gedanken laut aus. „Ich habs." Jo hob den Kopf. „Wir holen uns die Insigne, fliegen zu deiner Oma, und sehen dann weiter." Newts Miene war zu einer Grimasse aus Skepsis und Resignation verzogen. „Und wie sollen wir das anstellen?", wollte er wissen. „Solange Rose das Vertrauen von Gorn genießt, sollten wir es in vollen Zügen auskosten. Wenn uns eine Situation günstig erscheint, schnappt sich Rose arbor. Sie kann jeden erdenklichen Zauber aufhalten, deshalb sollte er ihr fürs erste nicht antun können. Wir sagen euch vorher Bescheid, ihr haltet die Fleur bereit und wir brausen davon." Newt seufzte. „Und wie sollen wir aus Terra rauskommen?" „Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder wir besorgen und ein Tengam. Oder wie besorgen und eine Karte von Terra, und fliegen über die wilden Weiten hinweg." Newt, Emelie und ich blickten ihn fragend an. „Was sind wilde Weiten und was ist ein Tengam?", stellte Emelie die Frage, die uns in den Köpfen herum schwirrte. „Ein Tengam besteht aus zwei Halbkugeln. Es ist eine Reisemöglichkeit. Die eine Halbkugel besteht aus Silber, die andere aus Gold. Die silberne zieht die aus Gold an und die aus Gold wird von der aus Silber abgestoßen. Sprich: Wenn du an einem Ort zurückkehren willst, musst du die goldene dort drapieren. Willst du wieder zurück, musst du die goldene mitnehmen. Und dann aber dort wieder zurückkehren willst, musst du dort eine andere goldene Kugel drapieren, und so weiter. Alles, was du berührst, wird mitgezogen." Etwas verwirrt blinzelte ich ihn an. „Gorn hat ein Tengam benutzt, um nach Terra zu kommen, oder?" „Ja.", erwiderte er knapp. „Aber dann musste er ja schon zuvor dort da gewesen sein.", bemerkte ich. „Weißt du, wie er das angestellt hat?" Jo zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich ist er, als er noch jung war mal dorthin gereist." „Und was sind die wilden Weiten?", hakte Emelie nach. Jo seufzte. „Das ist schwierig zu erklären." Er fuhr sich nachdenklich durchs Gesicht. „Ihr müsst es euch wie ein Kontinent vorstellen. Terra ist ein riesiger Kontinent und statt Meer befindet sich an der Küste Wildnis, die sich ständig verändert. Wo gestern ein Sumpf war, kann am nächsten Tag ein Berg stehen." Ich versuchte es mir vorzustellen. Unendliche Wildnis, die sich veränderte wie Wasser. „Und wie soll man von dort aus in die normale Welt zurück finden, geschweige denn wenigstens nach Terra zurück?", fragte Emelie. „Jede Nacht verändert sich das Gelände. Es heißt, dass wenn man in der Nacht ständig läuft, würde sich der Raum so verbiegen, dass man irgendwo auf der Erde hinaus kommt." „Und wenn wir im Pazifik landen?", fragte ich besorgt. „Wir haben doch die Fleur.", meinte Newt und tätschelte behutsam den Tisch. „Ohne sie wären wir verloren." Ich nickte langsam und meine Sorge, wir könnten der Titanic Gesellschaft leisten, verlor sich im nichts. „Wie zum Auge Terras sollen wir das alles bewerkstelligen?"Newt dürrer Körper zitterte. „Es wird nie wieder so sein wie zuvor. Er zog so sehr am seinem Lederarmband, dass es aufriss. „Verdammt!", fluchte er und stand so schnell auf, dass sein Stuhl umkippte und scheppernd zu Boden fiel. Dornenranken schossen aus dem Boden und wickelten sich um dem Stuhl Wütend kickte er gegen den Stuhl und wankte davon. Tausende Gänseblümchen folgten Newt wie ein treuer Hund. Das letzte, was wir von ihm hörten, war ein Schrei, der sich wie eine Mischung aus Weinen und wütenden Brüllen anhörte. Wir starrten Newt deprimiert hinterher. „Also.", sagte Jo und räusperte sich. Man konnte ihm von der Nasenspitze ablesen, dass er alles andere als glücklich war. Ich war etwas überrascht, ihn so aufgelöst zu sehen, immerhin durfte ich ewig nicht hinter seine Fassade blicken. Emelie stand auf und wollte Newt hinterher fliegen, doch ich hielt sie auf, indem ich den Kopf schüttelte. Sie sank langsam auf dem Stuhl zurück. „Um das Insigne zu stehlen..." Jo stoppte und sein undefinierbarer Blick fiel auf mich. Er schüttelte den Kopf und blickte verlegen auf seine Schuhe. „Ich...Gorn vertraut Rose und mir. Wir müssen das so lange wie möglich ausnutzen." Ich nickte und hoffte, Jo würde uns einen perfekten Plan erläutern. „Gorn wird bestimmt bald aufbrechen, um sich das nächste Insigne unter dem Nagel zu reißen. So wie ich ihn kenne, ungefähr in zwei Wochen...", murmelte er vor sich hin. Er kratzte sich am Nacken. „Ich habe eine Idee, aber...ist es in Ordnung, wenn ich die Führung übernehme?" Er fuhr sich durchs Gesicht. Emelie und ich schauten uns kurz an, dann nickten wir. Ich war erleichtert, das Denken Jo überlassen zu können. Schließlich brach eine Gedankenflut aus ihm heraus, dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. „Ich werde herausfinden, wo er das Insigne aufbewahrt. Rose, du wirst einfach das tun, was Gorn von dir verlangt. Wahre den Schein. Außerdem glaube ich nicht, dass etwas Verheerendes tun musst. Und du, Newt werdet Bücher und Karten über Terra auftreiben, und alles, was ihr findet und für wichtig erachtet, schafft es au die Fleur. Wir müssen für alles vorbereitet sein. Stellt euch nur vor, der magische Kühlschrank ginge kaputt und wir müssten verhungern. Oder wenn wir die ganze Fleur zurücklassen müssen, weil sie abstürzt. Emelie, es ist besser wenn sich Newth allein um die Recherche kümmert. Verlasse die Fleur nicht. Du bist für Gorn eine Gefahr. Wenn du nicht willst, dass er in deinen Verstand eindringt, fliege die Fleur so weit weg wie möglich. Newth sollte dann einfach so tun, als wäre alles wie immer. Gehe in die Schule, koche, aber gehe in jeder freien Minute in die Bibliothek. Gebe Gorn keine Grund, dich zu bewachen, klar?" Er schaute beide prüfend an. „Ja.", erwiderte sie, um ihn zu bestätigen, dass sie alles in sich aufgesogen hatten wie ein Schwamm. „Und Milla..." Er seufzte. „Ich schätze, wir müssen sie entführen, und Newt muss dann versuchen, ihr wieder ihr altes Ich einzuflößen." Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe. Es würde wohl keine andere Möglichkeit geben. „Und wenn wir...nein." Emelie trank resigniert einen Schluck Kakao. Jo warf einem Blick in die Runde. „Morgen treffen wir uns wieder. Bis dahin muss das nötigste vorbereitet sein, damit wir im Notfall jeden Moment abhauen können, verstanden?" „Geht klar.", meinte Emelie ernst. Er warf mir einen Blick zu und ich nickte. Jo stand auf. „Rose, wir müssen jetzt gehen, wenn wir noch genügend Schlaf bekommen wollen. Widerwillig stand ich auf. „Bis dann. Gute Nacht.", flüsterte ich Emelie zu und stand ebenfalls auf. Ehe ich reagieren konnte, hatte sie mich in eine feste Umarmung geschlossen, sodass meine Füße den Boden nicht mehr berührten, weil sie schwebte. Auch ich legte meine Arme um sie. „Wir schaffen das.", wisperte sie. Ich nickte. „Ich hab dich lieb.", entgegnete ich leise. „Ich dich auch." Wir lösten uns voneinander und Jo und ich verließen die Fleur. In meinem Bett angekommen, fiel ich todmüde auf die Matratze.

Jemand klopfte gegen das Bett. Erschrocken riss ich die Augen auf und zwang meine Stimme zu sprechen. „Was ist los?", krächzte ich schlaftrunken. „Du musst aufstehen." Millas Stimme sickerte in mein Bewusstsein. „Du sollst mit Jo trainieren gehen, wegen eurer zukünftigen Mission. Die Trainingsanlage befindet sich im Keller. Wenn ihr durch die Welten wandert, solltet ihr nicht so schnell schlappmachen." Ich knipste meine Nachttischlampe an und schaute auf die Uhr. Es war fast vier Uhr, die Uhrzeit, zu der wir uns immer verabredet hatten. Ich stöhnte innerlich. Drei Stunden Schlaf waren einfach zu wenig. Ich schleppte mich ins Bad, wo man Sportklammotten für mich bereitgelegt hatte. Ich zog sie  an und lief leise die Treppe hinunter. Alles in mir wand sich. Ich wollte nicht bei Jo sein, konnte ihn nicht in die Augen sehen. Ich bezweifelte, dass ich in dieser Frühe dazu imstande war, auch nur eine Hantel zu heben. Ich verbot mir an seine Augen zu denken. Sie waren das letzte gewesen, was meine Schwester gesehen hatte. Ich unterdrückte einen Schluchzer und hätte am liebsten gegen das Geländer getreten. Es war alles so unfair! Schließlich drückte ich die Tür zum Fitnessraum auf und stiefelte demotiviert hinein. Wie eine Kanonenkugel bohrte sich Jos Blick in meinen. Ich wich seinem Blick aus und versuchte an etwas anderes zu denken. Der Boden. Er war von einem dunkelblauen Teppichboden bedeckt. Er war hässlich und sah abgenutzt aus. „Rose." Ich hob den Kopf. „Was?" „Ich habe dich gefragt, ob du mit mir einem Kaffe holen willst." Ich blickte betreten zu Boden. Ich musste besser aufpassen. Ich nickte. Einen Kaffee konnte ich jetzt gut gebrauchen. Wir schlichen die Treppe wieder hoch, hinaus in die kalte Nacht. Ich würde ihn so gerne lieben. Ihn küssen, ihn bewundern. Und doch hasste ich ihn für das, was er getan hatte, ich konnte ihn einfach nicht verzeihen. Er hatte sie getötet, er hatte das Loch in meinen Herzen zu verantworten. Aber er hatte es nicht gewollt, Gorn war derjenige, der dahinter stand. Ich war zwiegespalten. Ohne ihn würde ich zugrunde gehen, mit ihn an meiner Seite auch. Wenn ich glücklich werden wollte, musste ich ihn verzeihen, doch ich wusste nicht, ob ich je dafür bereit sein würde. Ich glaube, ich hätte genauso gehandelt wie er. Unschuldige Menschen umzubringen wäre mir leichter gefallen, als meine Freunde. Doch es war nicht richtig. Beides nicht. Ich bemerkte erst, als ich weinte, als ich geräuschvoll einatmete. „Verdammt.", presste ich kaum hörbar aus meiner Kehle. Jo mochte mich. Wie er sich jetzt fühlte? Ich konnte einfach nicht ganz glauben, dass er es tat. Es passte einfach nicht in das neue Bild, das ich von ihm hatte. Die schöne, sorgenfreie Zeit, die ich mit ihm verbracht hatte, und dann seine Offenbarung, dass er mich nur benutzte und meine Familie getötet hatte. Mir fiel auf, dass sich meine Gedanken immer im Kreis drehten und zwang mich, damit aufzuhören. Ich würde nie ein klares Bild von unserer Beziehung haben. „Rose?" „Hm?" „Ich..." Er schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Du kannst dich immer auf mich verlassen. Du vertraust mir vielleicht nicht mehr, und ich werfe dir das nicht vor. Aber wenn wir etwas erreichen wollen, musst du mir vertrauen." Wir erreichten den Pausenhof. „ Ich ... ich vertraue dir jedenfalls.", fügte er hinzu. „Ich auch.", erwiderte ich. Es würde mir mehr als schwer fallen, doch wenn ich es nicht tat, war hier alles zum Scheitern verurteilt. Im Halbdunkeln der Laternen sah ich, wie er sich etwas entspannte. Sein schwarzes Haar glänzte in Licht der Laternen und seine Muskeln zeichneten sich deutlich unter seinem Shirt ab. Beschämt von mir selbst wandte ich den Blick ab. Er hatte mein Vertrauen missbraucht, ich durfte ihn nicht so ansehen. Ich atmete die kühle Nachtluft ein. Er war niemand Bewundernswertes. Wir gingen in das Gebäude, wo sich die Schlafzimmer befanden. Emelie und mein Zimmer befand sich im Erdgeschoss. Wir liefen daran vorbei in die kleine Küche. Als wir eintraten fühlte ich mich an die Nacht zurückversetzt, wo ich mir vor Schreck den Kakao auf meinen Pyjama geschüttet hatte und auf der Spülmaschine gelandet war. Ich hätte nicht in meinen kühnsten Träumen gedacht, dass er der Mörder war. Als die Kaffeemaschine brummte, fragte mich Jo ob ich auch einen Kaffee wollte. „Schwarz, bitte.", entgegnete ich mit brüchiger Stimme. Der Kaffe würde mich wachmachen. Ich würde dieses eklige Zeug einfach schnell und schmerzlos hinunterkippen.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt