19.0 Neunzehn (Teil 1)

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Wir traten ein. Ich musste husten, als ich die staubige Luft einatmete. Auch hier herrschte die betäubende Stille eines vergessenen Ortes. Wir befanden uns in einer riesigen Halle, die so groß war wie zwei Fußballstadien. Bunte Fenster malten farbenfrohe Muster auf den Boden.Überall standen Sessel und Sofas bereit, die wieder mit diesem weißen Material verarbeitet waren. Ich hatte gelesen, dass die Zahrianer Terra vor tausenden von Jahren verlassen hatten, weshalb die die Sessel garantiert aus einem mir nicht bekannten Material bestanden. In der Mitte der riesigen Halle führte ein gläserner Aufzug in unerkennbare Höhen. Der Staub war eine Handbreit tief und er fühlte sich an, als würde man durch Schnee laufen. Ich biss von meiner Brezel ab und spürte eine sanfte Magie, die den Aufzug umgab. Wäre ich nicht verwandelt, würde mich dieses Zusammenspiel aus Technik und Magie faszinieren. Ich war mit meiner Brezel fertig, als wir den Aufzug erreichten. Ich schob mir den Traubenzucker in den Mund. Gorn strich mit dem Handballen über das blinde Glas, und ein zuvor unsichtbares Feld aus fremden Symbolen leuchtete auf. Gorn tippte etwas ein und zwei Flügeltüren öffneten sich. Der aufwirbelnde Staub setzte sich in meinen Lungen fest und ich wurde von einem Hustanfall geschüttelt.

In dem Aufzug roch es feucht. Die Luft erleichterte es mir zu atmen und ich erholte mich. Der Aufzug war ausladend und etwa so groß wie der Grundriss eines Einfamilienhauses. Als alle eingetreten waren, schlossen sich die Flügel hinter und wir schossen so rasant in die Höhe, das meine Beine kurz einknickten. Es dauerte nur Sekunden und der Aufzug wurde langsamer. Die Türen öffneten sich und wir stiegen aus. Wir befanden uns auf einem Stockwerk, das einem Bahnhof ähnelte. Nur dass statt Schienen Seile durch zwei runde Öffnungen das Stockwerk verließen. Dort, wo die Seile verliefen, war der Boden und die Decke auch rund ausgehöhlt. Ich saugte die Informationen, die mir meine Sinne lieferten in mich auf. Der Boden hier war kaum mit Staub bedeckt und ich erkannte goldene Muster, die sich über die weißen Fliesen dahinzogen. Wenn ich lange darauf schaute, meinte ich dass sie sich bewegten. Ich lief meinen Blick weiter schweifen. Diese Halle war viel kleiner als die Eingangshalle, ungefähr so fünfmal so groß wie der Aufzug. „Bleibt hier stehen. Bis ich das System im Gang gebracht habe, kann es etwas dauern." Gorns dunkle Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich beobachtete ihn, wie er den Boden nach bestimmtem Mustern absuchte. Mir wurde bewusst, wie klar ich denken konnte, wenn meine Gefühle nicht dazwischen funkten. Der Mensch wurde eigentlich nur von Gefühlen gelenkt. Kein Wunder war mein Kopf so leer und mein Verstand so klar. Ich schaute Gorn zu, wie er die die Hand auf den Boden legte und Wörter in einer fremden Sprache murmelte. „Wir brauchen jemanden, der seine Energie hergibt, damit das Verkehrsystem wieder funktioniert. Danach läuft es von allein und zieht seine Energie von Sonnenlicht.", murmelte Gorn mehr zu sich selbst als zu uns. „Emelie.", flüsterte er und sie setzte sich wie von Fäden gezogen in Bewegung. Wenn ich einen Moment länger in ihre Augen blickte, spürte ich wie ihr innerstes sich sträubte. Sie legte ihre Hand neben Gorns. Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich Jo kaum merkbar versteifte. Hatte ich mir das nur eingebildet? Ich blickte wieder wie hypnotisiert zu Gorn herüber. „Keine Sorge.", flüsterte er zu Emelie. „Ich nehme dir nicht viel Energie, du wirst nicht umkippen." Jo warf einen verstohlenen Blick zu mir rüber, als wolle er mich dazu bewegen, etwas zu tun. Und wieder war der Moment so schnell vorbei, dass ich meinte, ihn mir nur eingebildet zu haben. Emelies Züge erschlafften etwas, als sich das Muster auf dem Boden so schnell bewegte, dass mir schwindelig wurde. Emelie stand wieder auf und stellte sich neben mich. „Perfekt.", murmelte Gorn wieder. Auf einmal hörte ich ein Surren, das von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien. Die Seile vibrierten leicht und etwas, das wie ein gläsener Wurm aussah, hielt in der Halle. „Einsteigen.", brummte Gorn und wir folgten ihn zu dem außergwöhnlichen Gefährt. Ein Geruch aus einer Mischung von Honig, Abgase und etwas metallischem Stieg mir in die Nase. Es waren die Seile, die so rochen, wenn man sie bewegte. Die Türen des Wurms öffneten sich und wir stiegen ein. Wieder gab es weiße Sitze und wieder musste ich husten, als ich eine Decke aus Staub von meinem Sitz fegte, indem ich mich niederließ. Als wir alle einem Platz gefunden hatten, schlossen sich die Türen wieder von allein und wir fuhren los. Ich wischte den Staub vom Fenster. Als wir durch das Loch schossen, bekam ich eine Aussicht zu sehen, die ich in meinem Leben nicht vergessen würde. Ein schier unendliches Netz aus fahrenden Würmern, Bahnhöfen und surrenden Seilen offenbarte sich uns. Unter uns und über uns waren unzählbare viele Seile, die alle betriebsam schnurrten. Der Stille war einer Atmosphäre gewichen, die ich ohne meine Gefühle nicht beschreiben konnte. Überall befanden sich verwahrstlose Terrassen und Gärten, die alle in das Rosenrote Licht der untergehenden Sonne getaucht waren. Da fast jedes Gebäude aus Glas bestand, erkannte ich Wohn und Arbeitsräume, die sich denen auf der Erde relativ ähnlich waren. Jedesmal, wenn wir durch einen Tunnel oder einen Bahnhof fuhren, wurden wir langsamer. Irgendwann hatte ich den Überblick durch die vielen Abzweigungen und das Umsteigen verloren. Doch dann bemerkte ich, dass alle Netze mehr oder weniger in eine Richtung führten. Nachdem wir eine halbe Ewigkeit in abnormaler Geschwindigkeit durch Sonaria gefahren waren, öffnete sich ein Platz vor uns, deren Größe ich nicht in Worte fassen konnte. In der Mitte stand ein Wolkenkratzer, der kein Ende zu haben schien. Er war unten dünn und wurde oben immer breiter, sodass er sich fasst über den ganzen Platz spannte. Er wies die Ähnlichkeit eines Baumes auf, besaß einen kaum wahrnehmbaren grünen Schimmer und war wieder mit diesen goldenen Mustern bemalt. Wir hielten genau auf den Tunnel zu, der sich in das Haus bohrte, kurz bevor es breiter wurde. Wir wurden langsamer und fuhren in den Bahnhof ein.

Die Magie der RoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt