Das gähnende Loch in meinem Herzen wurde ein Stück größer. Ich weinte, bis Newt mich ablöste. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es in mein Bett geschafft hatte. Ich schlief ein, bevor meine Füße den Boden verließen.
Ich konnte nicht lange schlafen. Albträume und die Angst vor der Zukunft hielten mich wach. Als es schließlich dämmerte, schleppte ich mich unter die Dusche. Das heiße Wasser machte mich wach und wusch den Schweiß der letzten Nacht von mir. Ich atmete tief durch und sprach mir Mut zu. Dann verließ ich die Dusche und beschloss das Chaos in der Küche zu beseitigen. Ich musste mich irgendwie ablenken, hier war kein Platz für Trauer. Die anderen waren noch am schlafen, ausgenommen derjenige, der gerade steuerte. Die Küche würde viel Arbeit beanspruchen. Seufzend watete ich durch die Pfütze aus Wasser und Essensresten, die die Spülmaschine verursacht hatte. Ich steckte die Kaffemaschine wieder ein und machte mir einen Espresso. Währenddessen räumte ich das Geschirr, das nur einen Sprung abbekommen hatte wieder in das Regal und kehrte den Rest zusammen. Ich kippte den Espresso hinunter, putze den Boden, räumte die Spülmaschine auf und schob den Kühlschrank wieder dort zurück, wo er gewesen war. Als ich gerade den Boden putzte, stieg Milla die Treppen hinauf um Newt abzulösen. „Morgen.", krächzte sie. „Morgen." Es war erst acht, doch der klare Himmel kündigte schönes Wetter an. „Lass uns frühstücken.", warf ich ein. „ Die Fleur kann auch für eine halbe Stunde still stehen. Jetzt sind wir ja sicher." Milla war erst skeptisch. „Wir sind gerade dem Tod von der Schippe gesprungen und du willst frühstücken?" „Gerade deswegen.", bestätigte ich.
„Bist du sicher, dass das so eine gute Idee ist?" Milla stand mit verschränkten Armen vor dem reich gedeckten Tisch. Emelie nickte ernst. „Die neue Luft tut uns allen gut." Newt gab ein undefinierbares Geräusch von sich. „Lass uns einfach essen. Ich hab Hunger."
Emelie hatte unbedingt draußen frühstücken wollen. Ich ließ mich auf einen Stuhlauf Deck fallen fallen. „Lasst uns einfach essen." Als schließlich alle am Tisch saßen, gab Milla auf. Newt saß neben mir und hatte schon die Hälfte des Spiegeleis weggeputzt. „Ich will auch noch etwas.", beschwerte ich mich kraftlos und angelte mir die Pfanne. Milla schob sie mir herüber. „Meinst ihr, sie sind jetzt an einem besseren Ort, Jasmin und Jo?" Ich schlug die Beine aufeinander. So eine Frage hatte mir noch nie jemand gefragt. „Exakt." Newt lehnte sich zurück. „An etwas anderes will ich gar nicht denken." „Ja. Wir sollten positiv denken." Emelie schenkte Newt ein wehmütiges Lächeln. „Ich weiß nicht.", gab ich meinen Senf dazu. „Als ich kleiner war, habe ich mir immer vorgestellt, wie meine Familie auf einer Wolke sitzt und auf mich aufpasst. Es hat mich getröstet." Ich stocherte in meinem Rührei herum. „Mittlerweile weiß ich nicht mehr was ich glauben soll. Ich versuche möglichst nicht dran zu denken.", gab ich zu und schob mir das Ei in den Mund. Milla nickte etwas überrumpelt. „Was denkst du?", fragte ich sie. „Ich weiß es auch nicht.", flüsterte sie. „Ich habe gehofft, ihr könntet mir eine Antwort liefern." Sie schob ihr Unterkiefer nach vorne. „Hauptsache sie haben keine Schmerzen." Ich nickte langsam und aß mein Rührei auf. „Na ja, ich hab euch lieb.", murmelte Emelie leise. „Wir stehen das gemeinsam durch.", ergänzte ich. Newt warf mir einen hasserfüllten Blick zu. „Er war mein bester Freund. Und du hast gezögert." Sein Messer wies anklagend auf meine Brust. Ich wich zurück. „Mach das Messer weg." Er ignorierte es, Dornen schossen aus seinem Handgelenk. Ich rückte zurück. Ich wollte nicht noch einmal von einer durchbohrt werden. „Das ist doch verrückt. Du wolltest ihn zurücklassen!" „Du hast gezögert. Das hat ihn umgebracht." Ich kniff die Augen zusammen um nicht wieder zu weinen. Nicht schon wieder. „Du wolltest ihn zurücklassen." „Aber nicht töten." „Ich doch auch nicht.", verteidigte ich mich. Ich kannte meine Fehler gut genug, warum musste er sie mir noch unter die Nase reiben? „Newt.", ermahnte Milla ihn. „Du hast ja Recht.", versuchte ich ihn zu beruhigen. „Ich habe gezögert. Aber...ich..." Ich vergaß, was ich sagen wollte. Es auszusprechen machte es noch schlimmer. „Ich habe jemanden getötet, aber..." „Du hast Jasmin vergessen.", entgegnete Newt emotionslos. Ich schluckte den nächsten Tränenkloß hinunter. Ich würde hier nicht als ein Häufchen Elend das Feld räumen. „Newt, es tut mir so unfassbar leid. Ich...ich habe das alles nicht gewollt." Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Ich entschuldige mich bei euch allen. Wenn ich könnte, würde ich alles rückgängig machen. Aber es geht nicht. Wir stehen nun mal hier. Wenn Jo nicht gestorben wäre, würden wir jetzt vielleicht hier nicht stehen. Ich weiß es ist schwer, aber wir müssen nach vorne schauen." Die Dornen zogen sich zurück und Newt ließ sein Messer sinken. Er schwieg, doch ich sah, wie er sich allmählich entspannte. Vielleicht würde er mir nie verzeihen. Ich war in einem ewigen Alptraum gefangen. „Lasst uns einfach essen.", sagte Emelie. Zittrig stocherte ich in meinem Essen herum. Ich durfte mich nicht den schlechten Gefühlen hingeben. Ich verdrängte Jasmins ängstliches Gesicht aus meinem Gedanken. Wir hatten den Peilsender gefunden. Wir hatten uns befreit. Wir waren auf dem Weg zu Oma. Das waren die wesentlichen Gedanken. Mir wurde plötzlich heiß und kalt zugleich. Wie hatte Milla den Peilsender in die Fleur bringen können? Sie war die ganze Zeit draußen gewesen. Er musste noch irgendwo hier draußen sein. Das schwarze Ding war vielleicht gar kein Peilsender gewesen. Ich sprang auf. „Was ist?", wollte Milla wissen. „Was ist, wenn das gar nicht der richtige Peilsender war? Du warst nicht in der Fleur, als du manipuliert warst. Milla stand wie von der Tarantel gestochen auf. „Scheiße." Wir starrten sie fragend an. „Ich kann mich wieder erinnern. Rose hat Recht." Sie fuhr sich über die Stirn, dann lief sie zur Reling und wollte etwas herausholen, das darunter geklemmt war, als etwas mit voller Wucht in die Fleur raste. Wir wurden zurückgeworfen und mein Kopf schlug hart auf das Deck auf. Rauch quoll aus dem Heck der Yacht. Mein Herz blutete die Fleur so zu sehen. Die Fleur neigte sich beträchtlich. Emelie flog davon. Der Tisch war bis an die Reling gerutscht und wir lagen im unserem Essen. „Verdammt, was ist hier los?", brüllte Milla gegen den Lärm an, der von einem fremden Motor herrührte. Newt ließ Kletterpflanzen über den Boden wachsen, sodass wir uns festhalten konnten, als die Fleur zu fallen begann und sich immer mehr neigte. Ich nahm meine Hände und klammerte mich so fest daran, dass meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Emelie kam zurück „Der Helikopter-er hat uns gerammt.", brüllte sie gegen das Dröhnen an, das die Fleur erzittern ließ. Der Boden unter mir wurde immer heißer. Schweiß lief mir im Strömen über den Rücken. Wie sollten wir das nur überleben? Geschirr und Rührei flog mir um die Ohren, ein Kreischen wie das von einer Kreissäge ertönte. Die Fleur stand fast senkrecht, der Boden bebte wie ein verletzter Drache. Rauch füllte meine Lungen, Glut regnete auf uns herab. Meine Haut warf Blasen. Ich schnappte verzweifelt nach Luft. Ich sah wie Emelie Milla in Sicherheit brachte. Wir waren mitten im nirgendwo, dem Tode geweiht. Glassplitter regneten auf uns herab. Die Fleur fiel. Ich musste mich festhalten. Sagte ich mir. Arbor war für mich nutzlos, es befand sich in meinem Schlafzimmer, das sich in einen Ofen verwandelt hatte. Ich klammerte mich an die Kletterpflanze, das einzige, was mich vor meinen sicheren Tod bewahrte. Vielleicht war es gut so. Gorn konnte die Insignen ohne meine Hilfe nicht befreien, wenn er nicht ohnehin schon tot war. Es würde alles enden. Ich sah zu Emelie, die versuchte Newt zu holen. Er klammerte sich verzweifelt an einen Zweig und versuchte es wachsen zu lassen. Sie sollen leben. Der Fahrtwind nahm mir den Atem. Ich konnte nicht mehr denken. Meine schwitzigen Finger ließen los. Ich presste die Augen zusammen. Ich würde mit der Fleur gehen, mit einem Knall zugrunde gehen. Es war ein unangenehmes Gefühl zu fallen. Mein Kopf dröhnte. Es tut mir leid. Ich habe aufgegeben. Sie sollten ganz neu anfangen, Newt, Milla und Emelie. Ganz neu. Etwas fing mich auf. Ich fiel langsamer, warme Hände umklammerten meine Taille. Emelie. Sie hatte mich gerettet. Schon wieder. Ich hustete. Mit fiel auf, dass ich die Luft angehalten hatte. Bitte lass es den anderen gut gehen. Bitte. Ich betete, dass Emelie Newt rechtzeitig retten konnte. Wenn nicht... Ich wollte mir solche Dinge gar nicht ausmalen. Meine Lunge zog sich schmerzhaft zusammen. Alles was ich noch wahrnahm, war der Gestank von Rauch, der die Fleur in Besitz genommen hatte. „Wir haben es gleich geschafft.", flüsterte Emelie. Wir wurden langsamer. Ein Knall ließ die Luft erzittern. Die Fleur. Sie war in so vielen Fällen unsere letzte Hoffnung gewesen. Mein Herz zog sich zusammen. Wir landeten. Die Luft war klarer, erst jetzt wagte ich es die Augen zu öffnen. Wir befanden uns einem Wald, der so hohe Bäume hatte, dass man die Blätter kaum erkennen konnte. Viele Tiere stießen Warnlaute aus, Vögel flüchten in die entgegen gesetze Richtung, in die wir flogen. Die Fleur war entzweigebrochen. Die Fläche war ausgebrannt, und ein paar Meter im Wald hinein beugte sich Milla über Newt. Emelie setzte mich behutsam ab. Ich ließ mich auf den Po fallen. „Geht es euch gut?", wollte ich besorgt wissen. Ich konnte es nicht mehr ertragen, noch jemanden zu verlieren. „Ja.", sagte Milla, die Newt eine Glasscherbe aus dem Fuß zog. Newt schrie auf und Blut quoll auf den Boden. Ich zuckte bei seinen Schrei zusammen. „Newt." „Es ist gleich vorbei.", flüsterte Milla, die ihn den Schuh und die Socken auszog und seine Wunde heilte. Emelie ließ sich neben mir nieder. „Danke.", flüsterte ich. Mein Blick verfing sich in Emelies grünen Glasmurmelaugen. „Ohne dich wären wir alle tot." Sie lächelte zog die Mundwinkel hoch. „Gern geschehen. Wie geht es Newt?" „Mir geht es gut." Newt setzte sich hin. „Danke, meine kleine Blume."
, scherzte er kraftlos. Sie küssten sich kurz. Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander, jeder hing seinen Gedanken nach. „Denkt ihr, Gorn ist tot?", wollte Milla wissen. Emelie zuckte mit den Schultern. „Er kann das unmöglich überlebt haben." „Was machten wir jetzt?", fragte Newt. „Wir warten, bis die Fleur ausgebrannt ist. Na ja, und dann schauen, was noch von ihr übrig ist.", entgegnete Emelie, die auf die Flammenzungen starrte, die an der Fleur leckten. „Und was dann?", fragte Milla. „Gorn ist tot. Wir haben es hinter uns." „Ich will zu meiner Familie.", sagte Emelie. „Ich will Fleur wiedersehen. Meine richtige Schwester. Und meine Eltern." „Ich auch.", murmelte Newt. „Ob sie uns vergessen haben?" Ich schüttelte den Kopf. „Dich- ihr seid unvergesslich." „Ich kann mich kaum noch an sie erinnern.", seufzte Milla. „Finden wir sie überhaupt? Wie ist es auf der richtigen Erde, Rose?" Ich zuckte mit den Schultern. „Menschen verschmutzen die Umwelt, töten Tiere, in Saudi- Arabien durften Frauen keine Autos fahren.. ." Milla hob eine Augenbraue. „Ich meinte die schönen Dinge." „Was sind Autos?", wollte Emelie wissen. Über der Fleur hatte sich eine große Rauchwolke gesammelt. Der Himmel war dadurch verdunkelt und ich hatte das Gefühl, es wäre Abend geworden. „Ich legte meinen Kopf in den Nacken. „Autos sind Dinger, mit denen man fahren kann. Man setzt sich rein und fährt dann wohin man will." Ich wusste, dass diese Erklärung alles andere als gut war, aber ich fuhr fort. „ Es gibt Ozeane, größer als alles, was ihr je geehen habt. Es gibt superviele Menschen. Es gibt unendlich viele Varianten zu kochen. Es gibt auch Wälder, Seen und Gebirge." Ich wusste nicht was ich noch erzählen sollte. Ich war nicht sonderlich gut darin, Dinge zu erzählen. „Was hast du so gemacht, bevor du hierhergekommen bist?", wollte Milla von mir wissen. „Na ja..." Ich zuckte mit den Schultern. „Ich habe viel gelesen. Ich bin zur Schule gegangen.", murmelte ich wortkarg. Milla gab es auf mich auszufragen und starrte in die stinkenden Flammen. „Ob arbor diesen Brand überlebt hat?", meinte ich nachdenklich. „Bestimmt. Ich bezweifle dass das Ding tausende Jahre existiert, nur um sich jetzt grillen zu lassen." Newt rupfte Unkraut aus der Erde. „Wir werden sehen.", entgegnete Milla. Stille legte sich auf unsere Gruppe. Das Einzige, was noch zu hören war, war das knistern der Infernos, das sich die Fleur als Frühstück ausgesucht hatte. Hätten wir nicht darußen gefrühstückt, wären wir vermutlich jetzt alle tot. Ich lehnte meinen Kopf an Emelies Schulter. Ich dachte über die Zukunft nach. Die Frage war was mit der Supay passierte, wenn Gorn tot war. Was würde mit all den Kindern passieren? Mit dem Dorf der Supay? Bevor wir uns darüber Gedanken machen konnten, mussten wir hier weg aus dieser Welt. Wenn wir den Rückweg zur Erde fanden und überleben. Ich würde Natalie und Oma die Erinnerungen wiedergeben, Newt, Emelie und Milla würden nach ihren Familien suchen. Dann würden wir weitersehen. Ich würde arbor zurückbringen. Irgendwie musste ich doch die Bindung zwischen mir und ihn lösen, damit ich meine alte Gabe zurückbekam. Ich würde nie wieder dieselbe sein, aber ich würde mir ein neues Leben aufbauen. Mir fiel Julius wieder ein. Ich bezweifelte dass Natalie mit ihrem neuen Schoßhündchen zurechtkam. Was hatte ich nur angetan? Wie viel Zeit war vergangen? Ich konnte mich nicht mehr erinnern. Ich hatte das Gefühl schon Jahre bei der Supay gelebt zu haben, ein ganz anderes Leben geführt zu haben. Auch wenn es ungewiss war, dass wir es bis zu den wilden Weiten schaffen würden, geschweige denn nicht gerade in einem der sieben Weltmeere ertrinken würden, bekam ich Heimweh. Sehnsucht nach Omas echten Liebesschnulzen, nach meinem Ohrensessel. Nach meinen Nervtötenden Lehrern. Ich wollte die Verantwortung auf meinen Schultern auf eine Müllhalde kippen, die Geschehnisse der letzten Zeit vergessen und neun anfangen. Jo vergessen. Mit ihm hatte die ganze Tragödie angefangen. Doch ich vermisste ihn. Wegen mir war er tot. Jetzt waren wir quitt, doch ich wünschte, ich könnte die Zeit zurück drehen. Meine Lider wurden schwer. Wenn ich doch nur für einen kurzen Moment die Augen schließen könnte...
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Die Magie der Rose
FantasySeit Rose den Tod ihrer Familie mitansehen musste, ist nichts mehr wie zuvor. Als sie dann plötzlich Wünsche erfüllen kann, wird sie in eine Welt gerissen, in der nichts ist, wie es scheint. Und dann ist da auch noch Jo, der Rose in den Bann zieht. ...