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"Tim hat mich morgen zu einem 'Schnuppertraining' eingeladen",teilte ich Dado mit, als er unseren Raum betrat. Es war bereits nach dem Abendessen, wir hatten nach der Schule zwei Stunden "betreutes Lernen", wo wir Hausaufgaben machen und lernen mussten. Wenn wir etwas nicht verstanden, konnten wir den Betreuer oder jemand aus seiner oder einer höheren Klasse fragen.

"Echt, das ist ja super",grinste Dado. Ich nickte nur und begann wieder zu lesen, was Dado aber unterbrach. "Und ähm...mir tuts leid, was die anderen zu dir gesagt hatten. Also, das in Sport mit dem Schwuchtel. Mir ist es egal,  ob du schwul bist, so aussiehst oder dich so verhältst. Das ist komplett normal und ähm...",stotterte Dado. Mein Schweigen irritierte ihn zudem. Ich sah wieder in mein Buch, das mir die Freundin meines Vaters nach dem Abendessen gebracht hat, wie ganz viel anderes Kleinzeug. Ich kam nicht weiter als zu dem Wort 'Harry' da unterbrach Dado mich wieder.

"Ich wollte damit nicht sagen, dass du dich wo so jemand verhältst...ich meinte nur..." Ich nickte wieder nur. Ich hörte wie Dado sich etwas aus dem Schrank holte und ins Bad ging, wo Musik durch die dünnen Wände drang. Das Wasser begann zu prasseln und deutete an, dass Dado duschte. Ich wollte weiterlesen, aber die Musik ließ meinen Blick zum Fenster, von wo wir einen schönen Ausblick auf die 5 Minuten Fußweg entfernte Stadt hatten.

Vor meinem inneren Auge sah ich meine Mutter, wie sie traurig am Bett saß und sogar weinte. Ich war damals acht, als mein Vater sie verlassen hatte. Ich war auf sie zugegangen und hatte sie in dem Arm genommen. Dannach sahen wir einen Film, der uns beide zum Lachen brachte. Im Nachhinein überlegte ich, ob er nur mich zum Lachen gebracht hat und meine Mutter nur wegen mir glücklich schaute. Obwohl ich mir auf die Lippe biss konnte ich nicht verhindern, dass meine Augen glasig wurden und mir einzelne Tränen übers Gesicht liefen. Ich wischte sie mit dem Handrücken weg und strich mir eine Strähne, die sich aus meinem Zopf, den ich mir zum lesen gemacht hatte, hinters Ohr. Meine Mutter mochte meine langen Haare. Sie flechtete diese immer, wenn wir einen Film sahen.

Ich befand mich in einer Art Trance aus der ich nicht entkommen konnte. Wie so oft. Dado, der gerade aus dem Bad kam, legte eine Hand auf meine Schulter, die mich zurück in die Realität brachte. Er gab mir ein Taschentuch, was ich nur in meiner Hand hielt und zusammendrückte. "Hast du Heimweh?",fragte er vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte nicht zu meinem Vater, ich wollte zu meiner Mutter. "Ich vermisse nur meine Mutter",meinte ich. "Naja, am Wochenende kannst du wieder zu ihr." Ich schüttelte den Kopf. "Nein, das geht nicht",murmelte ich traurig. "Was?! Ach ja, deine Eltern haben wenig Zeit. Sind sie auf Geschäftsreise, oder was?",fragte er. "Mein Vater ist zu Hause, meine Mutter...nicht."

Ich beschloss ebenfalls zu duschen, aber nur kurz, da ich sonst in meinen Gedanken gefangen wäre. Also nahm ich mir nur eine frische Boxershorts aus dem Schrank und verschwand im Bad, wo ich alles in meinen Wäschekorb schmiss. Im Spiegel betrachtete ich meinen Körper, soweit er zu sehen war. An den Oberarmen hatte ich noch blaue Flecken von meinem Vater, als er mich gepackt hatte. Genau wie an meiner rechten Seite, wo er meistens hinschlug. Ich verfluchte meine Haut, dass sie so empfindlich war. Es waren auch neuere Flecken von heute da, als ich gestürzt war und den Ball abbekommen hatte. Am meisten hasste ich aber die ganzen Narben, die von den etwas tieferen Schnitten beim Autounfall stammten. Sie waren überall auf meinem Körper,  vor allem aber an meinen Armen. Sie erinnerten mich immer an den schlimmsten Tag meines Lebens. Darunter befand sich auch eine lächerliche Narbe, die vom Ritzen entstanden ist. Ich wusste einfach nicht weiter und dann probierte ich es aus. Ich war ein blutiger Angfänger in dieser Sache und ließ es dann auch bleiben, weil ich keinen Nutzen darin sah.

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Nach dem Duschen zog ich mir die Boxer an und kämmte meine Haare durch. Ich trocknete diese mit einem Handtuch bis sie nicht mehr tropften und ging dann zurück in unser Zimmer. Ich holte aus meinem Schrank bequeme Klamotten, die ich zum Schlafen anziehen konnte, und zog diese an. Ich spürte Dados Blick auf mir. Wahrscheinlich waren ihm die Blutergüsse und Narben aufgefallen. Als ich den großen Hoodie über meinem dünnen Körper fielen, drehte ich mich zu ihm um und sah ihn erwartungsvoll an. Komm schon, sag was gegen meinen scheiß Körper!

Aber er schwieg. Seine nassen Haare fielen ihm glatt an der Wange herunter. "Ich geh zu Zombey, willst du mit?",fragte er. Ich schüttelte den Kopf, während ich mir eine Jogginghose anzog. Ich setzte mich auf mein Bett und schaltete mein Handy an. "Ich komm wahrscheinlich spät wieder. Bis dann",verabschiedete er sich. "Jup",sagte ich noch bevor die Tür ins Schloss fiel.

Die Stille im Raum wurde durch mein Handy unterbrochen, das zu vibrieren begann. Taddl rief an. Ich nahm ab und war sofort glücklich, als seine Stimme ertönte. "Hey, Manu. Na?" "Hi",hauchte ich. "Und wie sind die da so?",fragte er. "Ganz nett auf den ersten Eindruck." "Schon jemanden gefunden?",erwiederte er. "Ähm, ich teile mir mit einem ganz netten Jungen das Zimmer und da ist noch so einer",gab ich zu. "Ach Manu",seufzte Taddl. "Wie ist es so ohne mich?" "Beschissen. Zum Glück gibts noch Ardy und Lissy, aber ohne dich ist es nicht das gleiche. Lissy muss mich richtig zurückhalten. Abschiede machen mich aggresiv. Sorry nochmal wegen letzten Freitag. Mein Dad",erzählte er.

Sein Vater interessiert es nicht, was Taddl so machte und meckerte nur an ihm rum, wenn es einen Grund gibt. Am Freitag musste ich Taddl davon abhalten einen unschuldigen 6.Klässler zu schlagen, weil er schon wieder ausgerastet ist. Dabei hab ich einen Schlag abbekommen, aber das machte mir nicht viel aus. Nur einer der vielen anderen, die ich schon ertragen musste. "Ich würde tausend Schläge einstecken, um bei euch zu sein",seufzte ich. "Nein, du bist da gut aufgehoben und sicher vor deinem Vater",meinte Taddl nur. "Wo du Recht hast, hast du Recht."

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(1039 Wörter)

When your dreams all fail...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt