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Seit Stunden saß ich auf meinem Bett. Ich zitterte am ganzen Leib und wollte einfach nicht hier sein. Meine Brüder waren sofort gekommen, als sie es erfahren hatten. Nun waren sie bei mir im Zimmer, das ich mir mit jemand anderen teilte, der gerade irgendwo anders war. "Manu?",begann Sebi vorsichtig. Er war vom Stuhl aufgestanden und setzte sich neben mich. Peter hielt sich sein Handy ans Ohr und rannte aus dem Zimmer. "Ja, was denn?",fragte ich lustlos. "Der Arzt meinte, dass du ziemlich gut aussiehst und bald nach Hause kommst." Ich sah ihn erstaunt an. Wie konnte es sein, dass es mir gut ging, aber es meine Mutter so stark erwischt hat. Naja, mir ging es gut bis auf meinen gebrochenen Arm, der vorhin eben eingegipst wurde.

"Und er meinte auch",stotterte er. Ich kratze an meiner Hand herum und atmete tief ein. "Und er meinte auch, dass es um Mama schlecht steht. Ihr Herz hat schon zwei Mal aufgehört zu schlagen. Sie mussten sie reanimieren. Sie wird schwächer, Manu." Ein Schauer fuhr über meinen ganzen Körper. Sebis Augen waren glasig und rot. "Er kommt",meinte Peter leise. Dass er wieder ins Zimmer gekommen war, hatte ich gar nicht bemerkt. "Er weiß-",begann Peter. Sebi nickte schnell. Peter setzte sich zu uns und nahm uns beide in den Arm. "Es tur mir leid",schluchzte ich. "Dir muss nichts leid tun",murmelte Peter nur.

"Doch es ist alles meine Schuld. Nur meine Schuld." Peter legte einen Arm um mich. "Der LKW Fahrer hat Schuld. Nicht du oder Mama, sondern der andere Fahrer. Du kannst nichts dafür",versicherte mir Peter. Seine Hand, die über meine Schulter streichelte, wurde weggenommen. "Manu, Vater kommt bald." Peter sah mich mitleidend an. "Ich will ihn nicht sehen." Ich hatte mich auf mein Bett zusammengekauert ließ den Tränen freien Lauf. "Ich will niemanden sehen. Geht raus!",schrie ich. Ich wollte allein sein. Ich wollte nicht, dass sie mich so sahen, auch wenn ich der Jüngste bin und auch der schwächste.

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"Manuel",begrüßte mich mein Vater. Er war hereingekommen ohne zu klopfen, was ich vorallem gegenüber meines nicht vorhandenen Mitbewohners extrem unhöflich fand. Ich sah ihn böse an. "Manuel, wie geht es dir?",fragte er. "Gut." Ich seufzte und setzte sich auf mein Bett. Ich wollte ihn anschreien, dass er weg von mir bleiben soll, aber ich konnte nicht. Ich fühlte mich zu schwach.

"Ich war vorhin beim Arzt-" "Ach, der Arzt ist wichtiger als der eigene Sohn. Schon klar." "Unterbrich mich nicht, Manuel",befahl mein Vater mit strenger Stimme. "Sie ist tot." Drei Wörter, die mein Leben veränderten. Sie ist tot. Für immer. Ich konnte es nicht glauben. Meine Mutter, die, die mich mein ganzes Leben lang aufgezogen hat, die mich trotz allem, was an mir nicht perfekt war, geliebt hat, ist tot. "Und jetzt?",fragte ich und biss mir auf die Lippe. Warum war nicht der Arzt hereingekommen und hat es mir gesagt, warum musste das ausgerechnet mein Vater machen?

Ich verdrückte mir die Tränen. Ich wollte nicht vor ihm weinen. "Ich werde das Sorgerecht bekommen",meinte er nur kalt und stand dann auf. Fast gleichzeitig kamen meine Brüder wieder herein. Mit einer unbekannten Frau. Sie hatte blondierte Haare, ihr Gesicht war stark geschminkt und ihr Ausschnitt ziemlich tief. "Schätzchen, ich muss noch zur Maniküre",sagte sie mit ihrer hohen Stimme zu meinem Vater. Ich sah ihn erstaunt an.

Anstatt, dass er mir irgendwann mal erzählt, dass er eine neue Freundin hat, kommt er nur zu meinem Geburtstag, wenn ich im Krankenhaus liege. Es machte mich unheimlich wütend, ihn zu sehen, wie er seine Freundin abknutscht, während alle um unsere Mutter trauern. Peter und Sebi sahen ihn auch unverstanden an, waren aber höflich. Ich hatte dieselbe Erziehung genossen wie sie, aber das war mir zu viel und in diesem Moment war mir Höflichkeit egal.

"Ich hasse dich. Du bist ein scheiß Vater. Ich hasse dich und deine bescheuerte Freundin. Ich hasse es, dass du doch nie meldest und sogar meinen Geburtstag verpennst. Ich hatte mir nie mehr als einen richtigen Vater gewünscht, aber ich hatte dieses drecks Pech, dass ich dich hab. Ich hasse dich so sehr!", schrie ich ihn an. Er sah mich zornig an und kam bedrohlich auf mich zu. Seine Freundin wollte ihn abhalten, aber er schubste sie leicht weg. "Du respektloses Ding!",schrie er. Im nächsten Moment klatschte es laut und meine Wange brannte extrem. "Sag mal, hast du sie noch alle?!",fragte Peter aufgebracht.

Tränen blideten sich in meinen Augen. Es tat weh. Von seinem eigenen Vater geschlagen zu werden tat weh. Sebi legte schützend einen Arm um mich und zog mich weg. Ich hielt mir die schmerzende Wange. Wütend rauschte mein Vater aus dem Zimmer und die Tussi stöckelte ihm hinterher. "Manu, gehts dir gut?",fragte Peter besorgt. "Geht schon",murmelte ich.

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"Ich würde ihn gern noch zur Überwachung über Nacht hier lassen, aber morgen sollte er wieder nach Hause können. In regelmäßigen Abständen erwarte ich Manuel bei Untersuchungen wegen seinem Arm und der Gehirnerschütterung. Schließlich ist damit nicht zu spaßen",meinte der Arzt. Peter nickte nur. Sebi hielt immernoch meine Hand. Nachdem mein Vater gegangen war, hatte ich herzzerreißend angefangen zu weinen und den anderen ging es genauso. Der Arzt war gekommen, als ich mich gerade beruhigt hatte. "Wie sie wahrscheinlich schon wissen, muss das Sorgerecht für Manuel vergeben werden und ihr Vater wird wahrscheinlich sein neuer Erziehungsberechtigter. Ich weiß aber, dass das nicht der Wunsch ihrer Mutter war, allerdings wird dies nicht beachtet werden. Deshalb will ich von Ihnen",er sah Peter und Sebi an," dass sie versuchen, das Sorgerecht zu erlangen. Es wäre das Beste für Manuel."

"Ihre Mutter war kurze Zeit wieder bei Bewusstsein. Dieser Zeitpunkt war der einzige Lichtblick, dort sagte sie mir, dass ich Ihnen sagen soll, dass sie sich gut um Manuel kümmern sollen. Er soll seine Jahre nicht mit trauern verbringen." Ich war den Tränen nahe. "Und sie liebt euch, das sollte ich euch noch ausrichten. Ihre genauen letzten Worte waren: Ich liebe euch, meine Kinder. Der Todeszeitpunkt war 16:46 Uhr. Es tut uns leid." Als erstes begann ich laut zu schluchzen, als sich der Arzt umgedreht hatte, dann Peter und schließlich auch Sebi.

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"Entschuldigung",unterbrach mich eine zarte Mädchenstimme. Sie war blass, hatte dunkle Haare und einen Gips am Arm genau wie ich. "Der Arzt meinte, ich könnte jetzt wieder in mein Zimmer." Ich nickte nur. Peter und Sebi mussten gehen. Nun saß ich alleine auf dem Bett und weinte stumme Tränen. "Was ist den passiert?",fragte das Mädchen vorsichtig und einfühlsam. " 'N scheiß Leben ist passiert"

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(1100 Wörter)

When your dreams all fail...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt