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In der großen Halle waren Stühle aufgestellt, welche schon bis zur Hälfte besetzt waren. Wir setzten und nach Anweisung einer Lehrerin in die dritte Reihe. Als wir uns Niederließen, sah ich mich nach Dado und Micha um. In den Reihen vor mir saßen sie nicht. Wahrscheinlich würden sie noch kommen. "Wen suchst du?",fragte Pat. Der Raum war voller lauter Schülerstimmen, weshalb ich ihn kaum verstand. "Dado und Micha. Sie müssten auch da sein",antwortete ich.

"Ich hab sie vorhin gesehen. Sie saßen irgendwo in einer Ecke und Herr Kohler hat mit ihnen geredet",erwiderte er. Ich sah mich erneut nach ihnen um. Palle hatte Recht. Sie saßen hinter uns. Herr Kohler redete immer noch mit ihnen, aber dann nickte er und stand auf. Als ein weiterer Lehrer auf sie zukam, redete er mit ihm und sie gingen weg. Micha hatte sein Gesicht in den Händen vergraben und Dado strich ihm über den Rücken. Ich wollte aufstehen und zu ihnen gehen. Ich hatte mich schon zu Palle umgedreht, um ihm Bescheid zu sagen. Als ich meinen Mund öffnete, ging das Mirkofon an und der Schulleiter hat uns alle leise zu sein. Kurz war es Still, dann fingen allerdings wieder ein paar an zu tuscheln. Ich sah gespannt zu ihm und hörte zu.

"Es verwirrt euch sicher, warum wir uns hier versammelt haben. Ich bat Herrn Grom", das war Mark, " und Frau Stecher",die Betreuerin der Mädchen," euch zusammenzurufen, weil wir eine traurige Mitteilung zu verkünden haben." Jetzt war plötzlich alles leise. Der Direktor machte eine Pause. "Der Schüler Oskar Rankl ist gestern bei einem schweren Verkehrsunfall ums Leben gekommen." Wieder eine Pause. Oskar. Michas Bruder. Ich schluckte. Er war doch gerade 12 oder 13 Jahre alt. Die ganze Halle war wie erstarrt. "Er ging in die 7. Klasse und war ein hervorragender Schüler. Sein Tod erschüttert die gesamte Lehrerschaft und ich denke, auch euch, liebe Schüler. Wir wünschen den Angehörigen die Kraft den schweren Verlust zu verarbeiten. In dem Raum neben dem Lehrerzimmer bietet die Schule einen Therapeuten an, falls jemand Hilfe oder jemanden zum Zuhören braucht. Danke, für eure Aufmerksamkeit."

Noch immer herrschte in der Halle Stille, die keiner durchbrechen wollte. Manche Schüler tuschelten zwar, andere versuchten ihre Tränen zurückzuhalten und ich sah zu Micha. Er schluchzte etwas und stand plötzlich auf und ging. Dado rannte ihm nach. "Kanntest du ihn?",fragte Pat. "Ja, er saß bei uns am Tisch im Speiseraum. Ich...Ich muss zu Micha. Er braucht mich",flüsterte ich und stand auf. Er war noch so jung. Oskar war noch so jung. Er hatte es nicht verdient. Seine liebe, ruhige Art. Jeder mochte ihn. Wie kann sowas passieren. Mein Herz fühlte sich komisch verkramoft an und das Atmen fiel mir irgendwie schwer. Ich seufzte, während ich die Bilder der Beerdigung meiner Mutter verdrängte und mich darauf konzentrierte, dass es Micha beschissen ging.

Wie erwartet waren sie in unserem Zimmer. Als ich die Tür aufmachte, krächzte ich ein leises Hey und ging auf sie zu. Sie saßen auf Dados Bett. Michas Haare waren zerzaust und Tränen rannten unaufhörlich von seiner Wange. Sie tropften auf seinen Oberschenkel, wo sich der Stoff seiner Jogginghose dunkler färbte. Ich setzte mich vor ihn auf den Boden und sah ihn an. Seine roten Augen musterten mich. "Es ist schrecklich",murmelte er mit belegter Stimme. Er hatte tiefe Augenringe und sah müde aus. Verübeln konnte man es ihm nicht. Ich schwieg und legte meine Hönde auf seine Knie. "Du schaffst das",meinte ich.

"Wie hast du das geschafft? Abschließen zu können? Es ist mein Bruder tot und bei dir deine Mutter. Wie hast du es geschafft das zu verarbeiten? Ich meine",er schluchzte kurz," ich bin Schuld daran. Ich bin Schuld, dass er gestorben ist. Ich hab einfach nicht nachgedacht, ich hätte das verhindern können. Ich hätte ihn mitnehmen sollen, nur weil ich mir meinen Freunden allein sein wollte." Seine weinerliche Stimme brach mir das Herz. "Was ist genau passiert?",fragte Dado, der bis jetzt stillschweigen neben und gesessen und beobachtet hatte.

"Ich war mit ihm in der Stadt. Wir haben Geschenke für Mama und Papa gekauft und wollten dann wieder zurück ins Internat",er schluchzte kurz und wischte sich Tränen aus dem Gesicht," auf dem Weg haben wir Freunde von mir getroffen. Da es inzwischen fast 18 Uhr war, wollten sie ins Kino und danach eventuell noch feiern gehen. Sie haben mich gefragt, ob ich mitkommen möchte. Klar hab ich zugesagt. Oskar hat gefragt, ob er mitkommen darf, aber weil es wahrscheinlich ein längerer Abend werden würde, sagte ich nein",seine Stimme versagte. Neue Tränen flossen über seine Wangen und er wischte sie sich immer wieder weg. "Nimm dir alle Zeit, die du brauchst",flüsterte ich. Ich saß immer noch am Boden, da ich ihn von dort aus gut anschauen konnte und er mich ansehen konnte, ohne den Kopf drehen zu müssen.

"Ich meinte, er soll schon mal ins Internat gehen und, dass ich eben etwas allein mit meinen Freunden machen möchte. Er hat mich so enttäuscht angesehen, dass ich ihm versprochen hatte, mit ihm nächstes Wochenende in Kino zu gehen, weil wir das schon lange nicht mehr gemacht haben. Trotzdem war er enttäuscht. Es tut mir so leid, dass ich ihn nicht mitgenommen hatte. Es war wirklich kein schlimmer Film und wir sind danach nichtmal mehr feiern gegangen, weil die meisten sowieso keine Lust mehr hatten."

Er raufte sich die Haare und stand plötzlich auf. Er nahm ein Kissen und warf es mit Gewalt zu Boden. "Es ist alles meine Schuld",schluchzte er, "nur meine!" Es versetzte mir einen Stich ins Herz, ihn so zu sehen. Ich stand ebenfalls auf und legte eine Hand auf seine Schulter. "Erzähl weiter. Es wird dir gut tun",meinte ich. Nun stand er etwas verloren im Raum bis er anfing auf und ab zu gehen. Dabei erzählte er weiter:"Als wir auf dem Heimweg waren, sahen wir von weitem das Blaulicht und dachten uns erst nichts dabei. 'Lass mal schauen, was passiert ist', hat einer gemeint. Und dann...war da...da war das Auto meiner Eltern. Ich hab's am Nummernschild erkannt. Mein Herz ist stehen geblieben und irgendwie bin ich halb hingerannt. Meine Eltern waren am Auto angelehnt. Mein Vater hielt meine Mutter im Arm, welche bitterlich weinte. Ich bin sofort hin. Mein Vater sah mich unglaublich traurig an. Ich hatte einen Kloß im Hals. Ich hatte eine Ahnung was passiert war. Ich dachte mir, er wäre nur angefahren worden, nur verletzt. 'Wo ist er?',hab ich gefragt.

Mein Vater hat erst nicht geantwortet und meine Mutter war dazu gar nicht erst fähig. Also fragte ich nochmal, diesmal lauter. 'Im Krankenhaus. Er ist tot',flüsterte mein Vater. Ich hatte ihn kaum verstanden, aber irgendwie reichte es doch. Ich bin weg von ihnen. Weg von meinen Freunden. Ich wollte mir die Stelle ansehen. Auf dem Asphalt sah man eine Blutlache." Michas Tränen waren verstummt. Dafür hatte ich begonnen zu weinen. Der Unfall meiner Mutter und der von Oskar. Es war irgendwie anders und doch gleich. In meinem Kopf kamen die Erinnerungen hoch. Plötzlich schrie Micha zornerfüllt auf und schlug mit der Faust auf Dados Schreibtisch. "Ich hab mich abseits hingesetzt und zu weinen begonnen. Meine Freunde haben mich unterstützt,mir Trost gespendet und gemeint, dass es nicht meine Schuld war. Aber das änderte nichts. Ich hatte ihn zurückgeschickt, ich hatte ihn allein gelassen, ich hätte es verhindern können. Und ich hab's nicht, weil ich mit meinen beschissenen Freunden etwas unternehmen wollte, was ich immer hätte tun können. Ich hätte es ändern können!"

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Tut mir leid um Oskar...aber naja, passiert.

Das ist an meiner Schule auch schon passiert. Letztes Jahr. Da ist auch ein Junge, 13 Jahre, von einem Auto angefahren worden und ist noch am Unfallsort gestorben. Das war nicht so toll. Vorallem wenn man bedenkt, dass er erst 13 Jahre zu leben hatte, in denen man noch nichts gesehen und erlebt hat (zumindest nicht allzu viel) :(

Anderes Problem:Ich hab nur noch 1 Kapitel, ich muss unbedingt wieder schreiben but i don't know what xD naja, sehen wir dann

When your dreams all fail...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt