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Es waren hier viel zu viele Leute und zu wenig Zeit, die ich allein verbringen konnte. Ich hasste es ständig jemand anderes zu sehen. Ich hasste es ständig in Begleitung zu sein. Ich hasste es ständig mit Menschen in Kontakt zu sein. Es stresste mich. Allein zu sein war bei zwei von Daheim ausgezogenen Brüdern und einer Mutter, die Vollzeit arbeitete, normal. Und dann plötzlich in ein Internat geworfen zu werden, wo man nichtmal nachts alleine in einem Zimmer schlafen kann, erfordert viel zu viel Anpassungsvermögen.

Seit ein paar Tagen sah ich eine Tür, durch die der Hausmeister oft ging. Er sperrte sie nie ab. Dahinter befand sich eine Treppe nach oben, allerdings wusste ich nicht, wo sie hinführte. Als Dado schlief, schlich ich mich leise aus unserem Zimmer. Die Tür knarrte kurz, als ich die Klinke hinunterdrückte, um sie zu öffnen. Dado schlief aber tief und fest, sodass er nichts bemerkte. Ich lief leise den Gabg entlang bis zu der besagten Tür. Daran hing ein "Betreten Verboten"-Schild. Sonst war keineswegs darauf zu schließen, wo sie hinführte. Ich hörte etwas rascheln und mein Herz schlug automatisch schneller.

Keine Panik, Manu. Es ist mitten in der Nacht, jeder normale Mensch schläft jetzt! Ich drückte die Tür auf. Sie quitschte dabei leise, weshalb ich so schnell wie möglich durchschlüpfte und sie hinter mir achtlos zuzog. Wieder gab sie Laute von sich. Kurz hoffte ich, dass davon keiner wach geworden ist, aber schon im nächsten Moment war es mir egal. Sollen sie mich soch erwischen. In diesem Moment war es mir egal, ob ich zu meinem Vater zurück müsste. Es war mir egal, ob ich seine Freundin ertragen müsste. Es war mir egal, ob ich wieder Schläge einstecken musste. Ich wollte einfach nur allein sein.

Die Treppe führte zu einer Dachterrasse, was möglicherweise nach Patrick das schönste war, das ich bisher entdeckte hatte. Sie ermöglichte den Blick über die ganze Internatanlage und man sah bis auf die Stadt hinunter. Die Lichter glitzerten schön in der Ferne und es war ruhig. So ruhig hatte ich es schon lange nicht mehr. Ich zog die kalte Nachtluft ein. Gänsehaut bildete sich auf meinen nackten Beinen und Armen. Vielleicht war es nicht die beste Idee mit meinem übergroßen Schlafshirt und meiner Boxershort auf Erkundungstur zu gehen, aber dieser Anblick war zu schön, um mich davon losreißen zu können.

In der Ferne hörte ich die Eisenbahn rattern und die Autos an der Schnellstraße vorbeirasen. Ich setzte mich an das Geländer, wo ich meine Beine in den Abgrund baumeln ließ. Am Himmel glänzten die vielen Sterne. Irgendwo vor Millionen Lichtjahren hatte ein Stern dieses Lichtteilchen ausgesendet, das jetzt, genau in diesem Zeitpunkt, an der Erde ankam. Das war zu krass, um es sich vorstellen zu können. Schnell verwarf ich meinen Gedankengang und ließ mich nach hinten fallen. Auf dem Rücken liegend sah ich in den Sternenhimmel, wo auch ab und zu Flugzeuge flogen. Zusammengefasst war es wunderschön.

Ich wünschte nur Patrick wäre hier. Ich könnte mit ihn Zeit verbringen und dann auch noch in einem romantischen Umfeld. Allerdings musste ich mich damit abfinden, dass es sie Realität werden konnte. Deshalb wünschte ich mir einen meiner Freunde her. Am liebsten Taddl oder Lissy. Ardy und ich waren nie die besten Freunde. Unsere Beziehubg würde man "Mein-bester-Freund-ist-mit-dir-befreundet,-deshalb-bin-ich-auch-mit-dir-befreundet" nennen. Er war korrekt, keine Frage, aber eben nicht der beste Freund. Musste er auch gar nicht. Schließlich hatte ich ja noch Lissy und Taddl.

Diese Situation, wie ich unter dem klaren Himmel lag und due Sterne anstarrte hatte ich schon öfter. Ich tat es gern, dabei ionnte man seinen Gedanken einen freien Lauf lassen. Mit Peter und Sebi hatte ich oft gezeltet, als och noch kleiner war. Wir bauten unser Zelt in dem kleinen Vorgarten unseres Mietshauses auf. Die Bewohner hatten alle nichts dagegen. Ein älteres Ehepaar fand es sogar schön, wie wir Stadtkinder versuchten, uns mehr mit der Natur anzufreunden. So hatten wir das nie gesehen. Füe uns war es einfach Zelten im Vorgarten, wo ein Zaun den direkten Weg zur Straße versperrte. Außerdem wohnten wir in einer Gegend, wo viele Familien wohnten. Diese Ecke hatte keine hohe Verbrecherrate. Deshalb konnten wir jedes Mal beruhigt einschlafen.

Zuvor zeigte mir Peter oft die Sternbilder. Ich konnte sie mir noch nie merken. Irgendetwas sollte den kleinen Wagen darstellen, aber ich fand ihn immer noch nicht, obwohl er, laut Peter, der einfachste zu finden war. Dann gab es noch einen Gürtel von irgendeinem Krieger, der aus vier oder fünf nah aneinanderliegenden Sternen bestand. Auch diesen fand ich nie. Wie gesagt, ich konnte es mir nicht merken.

Plötzlich hörte ich die Tür knarren. Blitzschnell stand ich auf und sichte panisch nach einem Versteck. Gott sei Dank lagerte der Hausmeister hier alles, was nicht zu leicht war  um wegzufliegen, weshalb ich mich hinter ein paar Kisten warf und vorsichtig um die Ecke spähte. Mein Herz klopfte wild und ich spürte das Adrenalin. Ich war hellwach. Ich versuchte, mich so leise wie möglich in eine bequeme Position zu legen, falls die andere Person vorhatte, länger zu bleiben.

Eine Gestalt kam herauf und sah sich suchend um. Sie haben mich! Was tu ich jetzt? Welche Ausrede nehme ich her? In der Dunkelkeit konnte ich nicht erkennen, wer es war. Zumindest war es nicht der Huasmeister. Dafür war der Umriss zu schlank. Die Person war ungefähr so groß wie ich, möglicherweise etwas größer und ein Junge. Die Art wie er sich bewegte und wie er stand, konnte kein Mädchen sein. Wie aus dem Nichts hörte ich die Person reden, was mein Herz still stehen ließ: "Manu, komm raus!"

When your dreams all fail...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt