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Yoongi's POV

Fröstelnd stehe ich unter der alten Weide und erkenne nur die Umrisse von dem, was vor mir ist. Es ist Abends und im Winter auch dementsprechend dunkel und kalt.

Nach außen hin, fühle ich mittlerweile nicht mal mehr meine Zehen- und Fingerspitzen, dennoch bewege ich mich kein Stückchen. In meinem Körper sprudeln jedoch die verschiedensten Gefühle. 

Hauptsächlich Trauer. Trauer, weil mein Vater nicht mehr da ist. Trauer, weil mit ihm auch mein bester Freund weg ist. Er war für mich schließlich wie ein bester Freund. Mein Herz schmerzt, auch wenn es sich kitschig anhört, aber es tut scheiße weh, wenn ich an meinen Vater denke. Es ist wie ein riesengroßes Loch, welches sich immer weiter frisst.

Zu der Trauer kommt die Wut. Wut darüber, dass er mich verlassen hat, auch wenn er nichts dafür kann. Niemand kann etwas dafür, dass es an diesem Tag so beschissen rutschig auf den Straßen war. Und trotzdem brodelt in mir eine Wut, die rausgelassen werden möchte. 

Diese beiden Gefühle zusammen sind alles andere als eine gute Mischung. Aber dazu kommt noch diese beschissene Gefühl in meinem Bauch, die Art von Unwohlsein, die ich nur fühle, wenn Jimin in meiner Nähe ist. Dieses Gefühl, was sich Liebe nennt.

Seitdem dieser Idiot mir heute einfach so ins Gesicht geklatscht hat, dass er mich liebt, spielt alles in mir noch mehr verrückt, als sonst schon. Und ich dachte, das war schon so, als wir endlich zueinander gefunden haben. Nein, da sagt er mir einfach, dass er mich liebt und alles, was ich machen kann, ist wegrennen.  

Natürlich hauptsächlich, weil er seinen bescheuertesten Moment nicht hätte auswählen können, aber eben auch, weil ich verdammt unsicher bin. Als mein Vater gestorben ist, ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Klar, an wen würde sowas auch einfach so spurlos vorbeigehen?

Seitdem habe ich mir vorgenommen nicht mehr unüberlegt irgendwelche Personen in mein Leben zu lassen und siehe da, das konnte ich ja richtig toll einhalten. Ich habe Jimin und - Gott - ich liebe ihn auch. Und wie ich das tue.

Ich bin mir dessen schon so lange bewusst, auch wenn ich es nie einsehen wollte. Es ist mir schon klar geworden, als ich ihm an jenem Abend meine Zuneigung gestanden habe. 

Gottverdammt ich liebe ihn und ich bin so froh, dass er in diesem Punkt den ersten Schritt gewagt hat, aber musste es heute sein? Musste es wirklich an diesem verfickten Tag sein, an dem bei mir sowieso schon alles Kopf steht? 

Und da kommen wir zu dem nächsten Gefühl, welches sich tief in mein Herz frisst. Schuld. Ich fühle mich schuldig, weil ich Jimin einfach so abgeschoben habe. Ich habe ihm eiskalt wegeschubst, obwohl ich ihn viel lieber in die Arme genommen hätte und nie wieder losgelassen hätte. Aber ich war viel zu überrumpelt und es hätte sich für mich wie Verrat angefühlt, wenn ich bei ihm geblieben wäre und nicht zu meinem Vater gegangen wäre.

Ich habe meinem Vater doch versprochen, jedes Jahr an seinem Todestag hier herzukommen und was wäre ich für ein Sohn, wenn ich es schon gleich beim zweiten Mal brechen würde?

Verdammt ich weiß, wie unsicher Jimin ist. Es war kaum zu übersehen, dass er sich vor Nervösität gleich in die Hosen gemacht hat, so, wie seine Stimme gezittert hat und wie er mit seinen kleinen Fingern gespielt hat. Das macht er immer, wenn er nervös ist. Mit seinen kleinen, süßen Fingern, die ich so gerne in meinen Händen halte.

„Tchs." entkommt es mir, als mir auffällt, dass ich schon wieder ins Schwärmen gerate. Es gehört sich nicht, ich fühle mich verpflichtet meinem Vater die Ehre zu erweisen, weil es das einzige ist, was ich noch tun kann. 

Es ist das einzige, weil er verdammt nochmal nicht mehr hier ist. Er ist einfach gestorben und hat uns hier alleine gelassen. Was soll das? Wer hat sich ausgedacht mir einfach meinen Vater zu entreißen?

just one yearWo Geschichten leben. Entdecke jetzt