Kapitel 19

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Eine ganze Stunde dauerte das Programm. Jetzt hatten wir Zeit bis um Mitternacht, dann würde das Programm bis um 1 weitergehen und somit den Ball beenden. Gelangweilt saß ich am Tisch. Mein Blick war auf die Tanzfläche gerichtet auf der gerade ein paar Paare eng umschlungen tanzten. Auch Lia tanzte mit Luke, der sie überraschenderweise zu einem Tanz aufgefordert hatte. Sie passte einfacperfekt zusammen. Lia hatte sich bereits 4 Drinks hinuntergeschüttet, was wohl ihren lockeren Umgang mit Luke erklärte. Ich musste schmunzeln. Ich, im Gegensatz zu ihr, fühlte mich fehl am Platz. Sogar Mara tanzte. Und zwar mit Alex. Ohne es mitzubekommen fixierte ich die Beiden. Sie tanzten eindeutig zu eng. „Nehmt euch doch ein Zimmer.", murmelte ich, während ich die Augen verdrehte. Mein Blick fiel auf die Uhr. Gerade einmal 23 Uhr. Ich nahm mein Handy aus meiner Tasche und tippte darauf herum. Meine beste Freundin hatte sich immer noch nicht gemeldet. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen. Sie war der einzige Halt gewesen der ich in dieser schweren Zeit hatte und jetzt?Jetzt meldete sie sich nicht mehr. Tränen schossen mir in die Augen als ich auf mein Hintergrundbild sah. Wir beide saßen auf unserer alten Hollywood-Schaukel. Die Sonne strahlte uns ins Gesicht. Meine braunen Haare hatte sie mir für diesen Tag zu einer schönen Flechtfrisur geflochten. Ihre blonden, etwas kürzeren, Haare fielen ihr lockig auf die Schultern. Wir beide trugen Kleider. Es war der Geburtstag meines Vaters. 3 Wochen vor dem schlimmen Autounfall. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten meine beiden Cousins uns keine 2 Minuten nachdem das Bild geschossen wurde mit einer Wasserbombenschlacht überrascht. Am Ende waren wir alle klatschnass und Kira und ich bekamen beide schnupfen. Ich lachte leise auf, während eine Träne auf das Display tropfte. Ich musste hier raus. Frische Luft und etwas Stille würde mir guttun. Gesagt, getan. Seufzend erhob ich mich von meinem Platz, schulterte meine Tasche und machte mich dann auf den Weg in den Flur, dann die Stiegen hinauf und in ein einsames Klassenzimmer. Dort öffnete ich ein Fenster. Ich schloss meine Augen als ich mich auf das Fensterbrett lehnte um mich ein wenig nach vorne zu lehnen. Die kalte Herbstluft schlug mir ins Gesicht. Die Tränen die ich vor kurzem noch zurückgehalten hatte rannen meine Wange hinunter. Ich versuchte so leise wie möglich zu sein, doch wie kann man Schluchzer unterdrücken. Schluchzer die einem die Luft zum Atmen nehmen? Panische Schluchzer die nach Hilfe rufen. Habt ihr es jemals geschafft ruhig zu bleiben obwohl ihr jeden Tag ein Stück mehr sterbt? Euch hält nichts hier und dennoch könnt ihr nicht gehen? Mein Herz und mein Magen krampften sich zusammen. „Du musst zu deinem Opa." „Ich soll hierweg?" „Kath ich will nicht das du gehst." So viele Szenen stürzten auf mich herab. „Kath bitte.", murmelte ich mit zitternder Stimme. Doch ich konnte mich nicht beruhigen. Das konnte niemand. Nur sie konnten es, aber sie waren tot.Dort oben in diesem scheiß Himmel von wo sie auf mich aufpassen. „Ich will nicht das ihr von da oben aufpasst. Ich will, dass ihr hier auf mich aufpasst.", schrie ich den Himmel an. Jetzt drehte ich durch. Wütend knallte ich das Fenster zu. Meine Hände wanderten in meine Haare die ich mir raufte,während ich die Wand hinunter rutschte. „Stirb doch endlich.", schrien mich meine Gedanken an. „Beende das doch endlich." Weinend zog ich meine Beine zu meinem Körper auf die ich meinen Kopf legte. Ich musste mich irgendwie beruhigen. Aber dafür brauchte ich etwas Spitzes. Etwas Scharfes. Meine Gedanken versteiften sich auf das Eine. Wie ferngesteuert machte ich mich auf die Suche. Es dauerte nicht einmal lange, da hielt ich die Schere die in einer Schublade lag in der Hand. Natürlich hatte jede Schule eine Schere, aber dass sie diese über Nacht nicht wegsperrten? Die Lehrer heutzutage sind echt nachlässig. Naja mir kam es zu gute. Kurz sah ich das Ding in meiner Hand einfach nur an. Ich könnte es hier beenden. Sie mir einfach in den Magenstoßen, doch ich konnte nicht. Mein Körper sträubte sich dagegen, weswegen ich einfach an meinem Handgelenk ansetzte und abzog. 3 mal zog ich scharf die Luft ein um nicht zu schreien. Geschockt ließ ich die Schere zu Boden fallen. Unten am Boden hatte sich eine kleine Blutlacke gebildet. Zitternd ging ich in die Hocke, bevor ich die Schere aufhob, sie mit meinen Fingern vom Blut befreite und dann zurück in die Schublade legte, danach machte ich mich auf zum Klo. „Kathrin.", ertönte eine mir zu bekannte Stimme. Ich spürte wie mir die noch übriggebliebene Farbe im Gesicht entwich. Zitternd zog ich meinen Ärmel über die noch immer blutende Wunde. Ich musste die Augen schließen und tief einatmen um nicht vor Schmerz zu schreien. „I.Ich bin hier.", erklärte ich. Meine Stimme war schwach, sie gehorchte mir einfach nicht. Alex tauchte vor mir auf. Sein Gesicht war eine Mischung aus Genervtheit, Führsorge, Erleichterung und Wut .„Lia stirbt vor Sorge.", erklärte er mir sein plötzliches Auftauchen. „Oh, also eh, ich musste aufs Klo und unten waren so viele, da bin ich raufgegangen.", begann ich zu lügen. Gebt mir den Award für die beste Lüge die einem in 2 Sekunden einfällt. Eindringlich sah er mich an, bevor sein Blick für einen kurzen Moment zu meinem Unterarm huschte, den ich sofort hinter meinem Rücken versteckte. „Gehen wir?", fragte ich ihn mit einem großen aufgesetzten Lächeln, durch das man meine Zähne sehen konnte. Er verdrehte die Augen, dann ging er ohne ein Wort zu sagen. Ich schleppte mich hinter ihm her. Den Schmerz versuchte ich zu unterdrücken. Lass diesen Tag einfach schnell vergehen.

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