Kapitel 47

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Kennt ihr das? Wenn es einem so vorkommt, als würde die Zeit einfach stehen bleiben? Niemand bewegt sich, alles um einem herum hält an. Es ist bloß diese eine Sache die einem vollkommen in den Bann zieht.

"Alex.", schüchtern lächelte ich ihn an. Ich hatte ihn zwar erst vor 5 Tagen gesehen, dennoch begann ich unruhig von einem Bein auf das andere zu steigen. Damals war Lia bei mir gewesen und ich hatte mich sicher gefühlt. Jetzt stand ich hier vor ihm. Mein Mund wurde trocken.

"Also. Was machst du hier?" "Ich wollte bloß spazieren gehen.", erklärte ich ihm. War ja auch die Wahrheit. "Ich brauchte einfach frische Luft." Es war die richtige Entscheidung gewesen, immerhin hatte ich so die Möglichkeit gehabt über das Vergangene nachzudenken. Eine unangenehme Stille breitete sich zwischen uns aus.
Abwartend sah ich ihn an. Er sah so aus als wollte er mir etwas sagen, konnte sich aber nicht überwinden es auszusprechen. "Ich sollte dann mal...." "Nein! Nein, ich, eh. Ich schulde dir noch einen Kaffee.", unterbrach er mich.

Kurz sah ich ihn verwirrt an, bis mir das "Date" eingefallen war. Gegen meinen Willen begann ich zu schmunzeln. "Also natürlich nur wenn du willst.". Er schien mein Schweigen falsch aufgenommen zu haben, weswegen ich ihn lächelnd ansah. "Klar. Wieso nicht?" Okay, mir würden da ein paar Gründe einfallen wieso.
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Dennoch versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen als wir gemeinsam zu dem Café gleich gegenüber meiner Schule gingen. "Wie waren deine Ferien bis jetzt?", fragte er, als wir uns auf einen der leeren Tische setzten.

Gute Frage. Meine Ferien waren einerseits toll, andererseits vollkommene Katastrophe. Und jetzt, wo ich so darüber nachdachte, fiel mir ein, dass ich kaum an meine Eltern gedacht hatte.

Traurigkeit und Schuld breitete sich in mir aus, während mein Herz sich zusammenzog und mir somit einen Stich verpasste, der mich tief einatmen lies. Ich hatte kaum an meine Eltern gedacht. Was war ich bitte für eine Tochter?

"Kathrin?", Alex Stimme riss mich aus meiner Trance. Erschrocken sah ich ihn an. "Ich habe gefragt ob alles in Ordnung ist.", wiederholte er sich. "Ja, alles okay.", log ich. Es kostete mich meine letzte Kraft noch ein Lächeln aufzusetzen. Dennoch sah er mich prüfend an. "Versprochen." Mein Gesicht fror ein.

So gut es ging versuchte ich meine Fassade aufrecht zu erhalten, sah auf meine Finger, die sich verkrampft in meine Hose krallten. "Ich habe nur kaum geschlafen. Bin ein wenig müde." Er schien noch nicht zufrieden zu sein, beließ es aber dabei. Aus Höflichkeit. Denke ich jedenfalls.

"Wie waren deine Ferien bis jetzt?", lenkte ich gekonnt von mir ab. Ignorierte dabei das Gefühl gleich Kotzen zu müssen und sah ihn neugierig an. Die Tränen, die sich immer wieder versuchten nach vorne zu kämpfen, blinzelte ich weg. Ich sah wie er den Mund öffnete, tauchte aber zeitgleich in meine Welt ein.

Ich hatte einfach auf sie vergessen. Das, wovor ich am meisten Angst hatte war eingetreten. Ja, ich wollte endlich abschließen, aber ich wollte sie nicht vergessen. Ich war eine schlechte Tochter. Jedes Haar an meinem Körper stellte sich auf, während eine unmenschliche Last auf meine Schultern fiel. Ich spürte wie ich zu zittern begann. Fest krallte ich mich tiefer in den Stoff. Ich versuchte mein Gesicht nicht vor Schmerz zu verziehen.

Eine Hand legte sich auf meine Schulter, weswegen ich sofort zurück zuckte. Der Moment war vorbei. Ich war zurück im Hier und Jetzt. Vor mir saß ein besorgter Alex, der mich immer wieder musterte.

"Du bist plötzlich ganz blass geworden.", informierte er mich. "Ich sollte dich heim bringen." Ohne auf meine Antwort zu warten stand er auf. "Und der Kaffee?", den ich wieder nicht bekommen hatte. "Wir werden schon noch die Zeit dazu haben.", lächelte er mich an, danach hielt er mir die Hand hin um mir aufzuhelfen. Als Antwort konnte ich bloß nicken
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10 Minuten später kamen wir bei mir an. Kein Auto, das auf meinen Großvater hinwies. Was für eine Überraschung. "Danke fürs Heim bringen.", murmelte ich, brachte es aber nicht zusammen ihn anzusehen. Ich hatte nicht vor gehabt so vor ihm einzubrechen.

Wo waren meine starken Mauern hin, die ich auf zog, wenn es um meine Gefühle ging. "Sicher dass ich dich alleine lassen kann? Du siehst so aus als würdest du jeden Moment zusammen brechen." Er klang ehrlich besorgt, was mich dazu ermunterte doch noch auf zusehen. Gequält begann ich zu lächeln.

"Das ist wirklich lieb, aber ich muss einfach nur ins Bett.", redete ich auf ihn ein. Innerlich bettelte etwas in mir, dass er widersprach, sich mir widersetzte und mich begleitete. Ich wusste was auf mich zukommen würde, wenn ich alleine wäre.

Alex warf mir einen weiteren zögernden Blick zu, bevor er nickte. "Na gut. Wenn du das meinst.", plötzlich wirkte er wieder so unglaublich kühl, dass es mir den Atem raubte. Seine stechenden Augen wurden matt.

"Wir sehn uns.", war das Einzige, was er noch sagte, bevor er sich umdrehte und in die Richtung ging, von der wir gekommen waren
Seufzend machte ich mich daran meinen Schlüssel zu suchen, um mich gleich darauf in meinem Zimmer zu verkriechen um in Selbstmitleid zu baden. Die Stimmen in meinem Kopf begannen mich zu erdrückend. Ich hatte sie einfach vergessen, kein einziges Mal mehr an sie gedacht.

Ich war eine schlechte Tochter. Sie hatten mir mein Leben geschenkt, damit ich sie so einfach vergaß. Bitter lachte ich, während ich auf das Hintergrundbild meines Laptops sah. Dort, in dem Bild, saß eine glückliche Familie, die strahlend in die Kamera blickte. Eine Familie die nichts auseinander gebracht hätte.

Nichts, außer der Tod. Wut keimte ihn mir auf, als ich mich erhob und den Laptop mit voller Wucht vom Tisch schleuderte. Mit einem unglaublich lautem Knall landete er vor der Tür.

"Von wegen Glücklich.", schrie ich. Tränen begannen mir die Wangen hinunter zu laufen. Mit der nächsten Welle Wut zerknüllte ich meine Zeichnungen. "Von wegen es wird alles gut."

Ein Schluchzer verließ meinen Mund, als ich das Bild in der Hand hielt, dass ich damals für meine Mutter gezeichnet hatte. Sie hatte mich immer in allem Unterstützt und ich? Ich hatte sie immer und immer wieder verletzt. Mit meinen Aussagen, meinen Taten, mit einfach allem.

"WIESO?" Sauer zerriss ich es. Es fühlte sich so an, als würde ich mit jedem zerstörten Bild, ein Stück von meinem Herzen heraus-reißen. Langsam ließ ich mich zu Boden fallen, um meine Hände in meinen Haaren zu vergraben und laut loszuweinen. Das ziehen in meinem Herzen versuchte ich so gut wie möglich zu ignorieren.

Ich dachte ich könnte es alleine schaffen. Ich dachte ich wäre stark genug, aber ohne meine Eltern und ohne Lia war ich nichts. Ich war nicht stark, egal wie sehr ich versuchte es mir einzureden. Mir wurde klar, dass es so nicht weitergehen könnte

Das hier musste endlich aufhören.

LostWo Geschichten leben. Entdecke jetzt